Alice Schwarzer schreibt

Abtreibung: Es ist eine Schande!

Horst Seehofer, Helge Braun, Katarina Barley und Franziska Giffey auf der Pressekonferenz: Es soll alles beim Alten bleiben..
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Die vier traten am späten Mittwochabend vor die Kameras. Rechts standen zwei blasse, stumme Frauen; links zwei aufgeräumte, gesprächige Männer. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) verkündete den „Kompromiss“ zum Informations-Verbot (genannt „Werbeverbot“) für Ärztinnen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte den Vorschlag der Regierung. Und die beiden SPD-Frauen? Die Ministerinnen Katarina Barley und Franziska Giffey schwiegen, zunächst. Mit Grund.

Denn das, was da nach monatelangen Verhandlungen von Regierungsmitgliedern der CDU/CSU und SPD vorgetragen wurde, ist schlicht eine Schande! Ursprünglich ging es darum, das 1933 von den Nationalsozialisten eingeführte Gesetz, das Frauen entmündigt und ÄrztInnen bedroht, endlich abzuschaffen. Schließlich war es auch seit Jahrzehnten nicht angewendet worden. Den Vorschlag zur Streichung des Gesetzes hatte SPD-Chefin Andrea Nahles vor Monaten eingebracht. Grüne, FDP und Linke pflichteten ihr bei. Aber als die SPD dann doch in die Regierung einstieg, zog Nahles die Forderung zur Streichung des §219a wieder zurück.

Angezeigte
Ärztinnen
sind "entsetzt".

Sodann wurde monatelang geschwiegen. Und zuletzt hinter verschlossenen Türen verhandelt. Heraus kam: Nichts. Oder fast nichts. Es soll alles beim Alten bleiben: Dass die ÄrztInnen selbst nicht öffentlich darüber informieren dürfen, ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ungewollt Schwangere sollen sich in Zukunft an die Bundesärztekammer oder „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ wenden, um zu erfahren, ob es in ihrer Region Ärzte gibt, die bereit wären, ihnen zu helfen.

Man ahnt, wie einschüchternd das wäre – und was für ein Eingriff in die Intimsphäre einer Frau. Sie soll sich statt an einen Arzt, eine Ärztin ihres Vertrauens in Zukunft an eine Behörde/Institution wenden. Klar, dass viele Frauen sich gar nicht trauen würden – und in der Illegalität, bei Kurpfuschern bzw. „EngelmacherInnen“ landen. Sie würden wieder riskieren, bei illegalen Abtreibungen steril zu werden oder sogar ihr Leben zu verlieren.

Doch in genau diese Richtung wurden jetzt von der schwarzroten Regierung die Weichen gestellt. Im Laufe des Januars will die Große Koalition den genauen Text der „Reform“ vorstellen – und sodann entscheidet der Bundestag. Das heißt: Es gibt noch Hoffnung!

Nazi-Gesetz:
SPD-Spitze
knickt ein!

Der 1933 von den Nationalsozialisten verabschiedete §219a war jahrzehntelang gar nicht beachtet und überhaupt nicht mehr angewandt worden. Bis so genannte „Lebensschützer“ ihn entdeckten: Sie begannen, die ÄrztInnen anzuzeigen. In den vergangenen Monaten wurden daraufhin mehrere Ärztinnen vor Gericht gezerrt und verurteilt – nur weil sie auf ihrer Homepage die Information stehen hatten, dass sie Abbrüche vornehmen. Das sei „Werbung“ für Abtreibung, lautet das Argument. Als wäre Information gleich Werbung - und als könne eine Schwangere mit „Werbung“ dazu angestiftet werden, abzutreiben.

Jetzt protestieren drei dieser Ärztinnen gegen den faulen Kompromiss der Großen Koalition. „Wir sind entsetzt und empört“, schreiben sie. Darüber, dass sie weiterhin nicht informieren dürfen, sondern in Zukunft die Frauen an staatliche Stellen verweisen müssten.

Auch das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, in dem u.a. die SPD-Frauen (AsF) und die Jusos organisiert sind, kritisiert das "Eckpunktepapier aufs Schärfste“. Es weist darauf hin, dass das Papier „leider deutlich zeigt, dass sich christliche Fundamentalist*innen und selbsternannte Lebensschützer*innen in der Bundesregierung durchgesetzt haben“.

So ist es. Von der CDU/CSU war in dieser Beziehung darum nichts zu erwarten. Die C-Parteien sind in Deutschland seit Jahrzehnten streng auf Vatikanlinie. Und nicht nur fundamentalistische Christen (Evangelikale etc.) sondern auch Papst Franziskus hat abtreibende Frauen bekanntermaßen noch jüngst des „Auftragsmordes“ bezichtigt. Für diese Leute steht ihr Glaube, bzw. ihre Ideologie über den Menschenrechten und dem Gebot der Humanität.

Regierung
kuscht vor
Vatikan

Die Grünen, die FDP und Die Linke sind für die Streichung des §219a. Sie haben bereits gegen den faulen Kompromiss der großen Koalition protestiert. Alle drei fordern weiterhin die ersatzlose Streichung des §219a.

Und die Sozialdemokraten? Die sind – mal wieder! – eingeknickt. Und das bei einer Frage, die nicht zufällig vor einem knappen halben Jahrhundert in der gesamten westlichen Welt zum Auslöser für die Frauenbewegung wurde. Zumindest die SPD-Spitzen sind eingeknickt. An der Basis aber rumort es.

Florian Post (SPD): Paragraph 219a StGB verachtet betroffene Frauen!
SPD-Abgeordneter Florian Post: Der Paragraph 219a verachtet betroffene Frauen!

So kritisierte der Münchner SPD-Abgeordnete Florian Post die SPD-VerhandlungsführerInnen für ihre „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ und die bekennend gläubige Katholikin und SPD-Chefin Nahles für deren „vorauseilenden Gehorsam“. Der 37-Jährige Post veröffentlichte jetzt aus Protest gegen seine eigene Partei auf seiner Internetseite eine Liste aller bayerischen Kliniken, die einen Schwangerschaftsabbruch anbieten (Viele sind es nicht, die meisten sind in katholischer Hand).

In quasi allen westlichen europäischen Nachbarländern ist das Recht von Frauen, eine nicht gewollte Schwangerschaft in den ersten drei Monaten abzubrechen, seit Jahrzehnten selbstverständlich. Auch in einem katholischen Land wie Italien. Sogar das ultrakatholische Irland führte jüngst die Fristenlösung ein. Nur in Deutschland scheint die Stimme des Vatikan und seiner Gefolgsamen schwerer zu wiegen als die der Bürgerinnen.

Frauen wissen
selber, was
sie fühlen!

Doch das Tollste ist, dass der scheinheilige „Vorschlag der Bundesregierung zur Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonfliktlagen“ unter Punkt 5 eine „wissenschaftliche Studie“ ankündigt: zur Gewinnung von „Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“. Als würde über diese Fragen nicht seit Jahrzehnten eine Flut von nationalen und internationalen Erkenntnissen vorliegen! Vor allem aber: Als wären ungewollt schwangere Frauen, die nicht Mutter werden wollen, Kinder! Kinder, die nicht wissen, was sie tun und denen man sagen muss, was sie selbst zu fühlen haben.

Alice Schwarzer

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Alice Schwarzer schreibt

Abtreibung ist ein Menschenrecht!

Alice Schwarzer in den 80ern auf einer Kundgebung gegen den §218.
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Reden wir also nochmal darüber. Zum hundertsten Mal. Es ist noch nie darum gegangen, ob eine Frau abtreibt. Es ging immer nur darum, wie eine Frau abtreibt. Illegal, also unter Gefährdung ihrer Gesundheit und sogar ihres Lebens – oder legal mit medizinischem Beistand bei einem ambulanten Eingriff von wenigen Minuten.

Denn eine Frau, die ungewollt schwanger ist, treibt ab. Unter allen Umständen. Selbst bei Androhung der Todesstrafe, wie bei den Nazis. Warum? Sie tut es, weil sie um die Konsequenzen einer Mutterschaft weiß: Knapp zwei von drei der abtreibenden Frauen in Deutschland sind bereits Mütter. Sie treibt ab in einer Gesellschaft, in der noch lange nicht alle Väter die elterliche Verantwortung mittragen und Vater Staat nur sehr langsam in die Gänge kommt mit den Ganztags-­Kindergärten und -schulen. Und sie treibt ab, weil es ihr Körper und ihr Leben ist. Übrigens: 96 Prozent aller Frauen in Deutschland treiben auch nach der Zwangsberatung („pro werdendem Leben“) ab.

Nicht zufällig wurde Anfang der 1970er-Jahre der Kampf gegen das Abtreibungsverbot zur Ini­tialzündung für die Neue Frauenbewegung. Denn das Elend der Frauen war unermesslich. Der § 218 überschattete nicht nur ihre gesamte Sexualität, sondern ihr ganzes Leben. Seither gilt bei Deutschlands westlichen Nachbarn und selbst in katholischen Ländern wie Italien die Fristenlösung; also das Recht der Frauen, eine ungewollte Schwangerschaft in den ersten drei Monaten zu beenden.

Eine Frau, die ungewollt schwanger ist, treibt ab. Selbst unter Androhung der Todesstrafe.

In Deutschland sieht das anders aus, ganz anders. Zwar führte die DDR 1972 mit scheelem Blick auf die protestierende Frauenbewegung im Westen die Fristenlösung ein (denn eine hauseigene Frauenbewegung wollten die Genossen nicht riskieren). Doch in der BRD, in der in den 1970er-Jahren eine überwältigende Mehrheit der Frauen und auch Männer für die Fristenlösung war, wurde die Fristenlösung zwar mit Ach und Krach im Bundestag (von SPD und FDP) verabschiedet – aber gleich wieder via Verfassungsklage der CSU gestürzt.

Seither arrangieren sich alle mit einem faulen Kompromiss, nicht nur die Konservativen, auch die Sozialdemokraten. Bei der Wiedervereinigung wurde der Kompromiss gesamtdeutsch. Noch ehe die Ex-DDR-Bürgerinnen sich versahen, war ihr Recht auf Abtreibung futsch.

Der Kompromiss sieht so aus: Auch nach 1995 bleibt Abtreibung eine Straftat und ist die Schwangere zum Austragen verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht formulierte es so: „Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruches und die grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente“.

Der Körper der Frau als Gebärmaschine. Das klingt wie abgeschrieben aus einem Programm der „Lebensschützer“, die in der Regel christliche Fundamentalisten sind oder aber im Vatikan sitzen. Neuerdings verstärkt von den Damen und Herren der AfD.

Abtreibungen sind in Deutschland also verboten und strafbar. Eigentlich. Denn das mit der Strafe haben sie bei den Frauen diesmal weggelassen. Es hat einfach noch nie funktioniert. So sind 1969 von den hunderttausenden, die abgetrieben haben, ganze 276 Frauen vor Gericht gelandet. Quasi versehentlich. Denn der 1872 im Kaiserreich eingeführte § 218 entsprach nicht dem Rechtsempfinden der Menschen und schon gar nicht der Realität. Man wollte den Frauen drohen und sie einschüchtern – aber man wollte die Frauen nicht ins Gefängnis stecken. Denn wer hätte die Arbeit machen sollen, wenn Millionen Frauen im Gefängnis sitzen, die unbezahlte Arbeit in der Familie wie die unterbezahlte im Beruf?

Also musste ein Kompromiss her, bei dem der Kern erhalten blieb: die Bevormundung, Einschüchterung und Entmündigung der Frauen. In Deutschland müssen Frauen, die abtreiben wollen, sich durch eine Beratung bestätigen lassen, dass sie dürfen. Frauen haben bis heute nicht das Recht abzutreiben, man gewährt ihnen lediglich die Gnade. Den wenigsten unter den Jüngeren dürfte das bewusst sein.

Schon bei der Formulierung dieses Gesetzes war klar, dass es ein Einfallstor ist für ein erneutes totales Verbot der Abtreibung. Nicht nur die fanatischen Lebensschützer, auch der Vatikan und so mancher Konservative arbeiten unermüdlich auf so ein totales Abtreibungsverbot hin.

Nach deutschem Recht gehört der Körper der Schwangeren nicht ihr, sondern dem Fötus

Bis auf weiteres „dürfen“ ungewollt Schwangere noch abtreiben, solange sie schön Bittebitte machen. Aber siehe da: Immer weniger Frauen treiben ab! Seit der verbindlichen Erfassung der Zahlen 1996 sank die Zahl der Abtreibungen unaufhaltsam, um ein Viertel innerhalb von 20 Jahren auf 98.721 im Jahr 2016.

Warum? Ganz einfach, weil Frauen aufgeklärter und emanzipierter sind – ergo die Gefahr, ungewollt schwanger zu werden, sinkt. Niemand hat darum mehr zu dem Kampf gegen Abtreibungen beigetragen als die Frauenbewegung. Darauf können wir stolz sein!

Denn auch wir Feministinnen finden Abtreibung keinesfalls wünschenswert. Wissen wir doch nur zu gut, dass es immer auch eine individuelle Gewissensentscheidung ist, die nicht jeder Frau leichtfällt. Aber im Gegensatz zu CDU-Kauder und AfD-Storch sind wir nicht der Auffassung, dass Abtreibung ein Verbrechen ist. Für uns ist und bleibt das Recht auf Abtreibung ein elementares Menschenrecht!

Solange der Schritt vom Fötus zum Kind noch nicht getan ist, also das „werdende Leben“ den Körper der Frau noch nicht verlassen hat, muss es das Recht jeder Frau sein, über ihren Körper und ihr Leben frei zu verfügen. Bei freier Entscheidung wird eine ungewollt Schwangere so früh wie möglich abtreiben.

Doch die Abtreibungsgegner haben es in den vergangenen Jahren geschafft, die Gesellschaft einzulullen. Ihr demagogisches Vokabular – „Kind“ statt „Fötus“ etc. – ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der Druck auf die Frauen und ÄrztInnen hat sich wieder verstärkt. Immer mehr Frauen reden wieder von ihrem „schlechten Gewissen“.

Dieser Druck auf die Frauen wird flankiert von einer Repression gegen die Ärzte. Seit Jahren gibt es katholisch dominierte Städte, ja ganze Regionen, in denen Hilfesuchende keinen einzigen Arzt mehr finden, der bereit ist, medizinischen Beistand zu leisten. Diese ÄrztInnen verweigern sich im Namen ihres „Gewissens“ oder aus Angst vor ihrem (oft katholischen) Arbeitgeber. ÄrztInnen, die offen sagen, dass sie bereit sind, Abtreibungen vorzunehmen, müssen sich auf den Terror der Lebensschützer sowie Geld- bzw. Gefängnisstrafen gefasst machen.

Für uns Feministinnen bleibt das Recht auf Abtreibung ein elementares Menschenrecht

Fängt also alles wieder von vorne an? Es sieht ganz so aus. Am 22. September werden sie wieder in Berlin antreten zum „Marsch für das Leben“. In ihren Reihen marschieren nicht nur christliche Fundamentalisten, sondern auch „Christdemokraten für das Leben“. 2017 waren sie rund 3.000. Ihren „Marsch für das Leben“ müssten sie eigentlich in „Marsch für den Tod“ umbenennen. Denn an den Folgen illegaler Abtreibungen sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) alljährlich weltweit 47.000 Frauen. Und fünf Millionen Frauen landen im Krankenhaus wegen verpfuschter Abtreibungen. Viele dieser Frauen werden nie mehr ein Kind bekommen können.

Da ist es nur halb beruhigend, dass es seit 2012 eine Gegenbewegung gibt: das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“. In diesem Bündnis sind neben diversen feministischen Organisationen immerhin auch: SPD, Grüne und Die Linke – auch wenn einzelne RepräsentantInnen der beiden ersteren Parteien im Namen ihres persönlichen „christlichen Gewissens“ gerne schon mal Lebensrechtler-Töne anschlagen.

Seit ich 1971 das im Stern veröffentlichte Manifest der 374 initiiert habe („Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu“), ist fast ein halbes Jahrhundert vergangen. Bis heute bewundere ich den Mut der 373 (ich war die 374ste). Keine von ihnen konnte wissen, ob am nächsten Tag die Nachbarn oder Kollegen noch mit ihr sprechen, ob ihr Mann sich scheiden lässt, ob sie verhaftet wird. Und das Dutzend so genannter Prominenter hat seine Karriere aufs Spiel gesetzt. Diese Frauen haben viel riskiert – und viel gewonnen. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich im Jahr 2018 noch immer und immer wieder um das elementarste Menschenrecht einer Frau würde kämpfen müssen: um die selbstbestimmte Mutterschaft.

Alice Schwarzer

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