Alice im Männerland
Alice Schwarzer. Allein der Name polarisiert. "Macho im Rock", "Rassistin" - es sind nicht unbedingt die nettesten Begriffe, welche der Feministin angedichtet wurden und werden. Alice Schwarzer steht für die Zeitschrift "EMMA", ist bekannt für ihr vehementes Engagement gegen Kopftuch und sexistische Herabwürdigung von Frauen. Sie steht seit 30 Jahren in der Öffentlichkeit, man meint, sie zu kennen, ähnlich, wie man vielleicht einen Daniel Küblböck, einen Dieter Bohlen kennt.
Und nun sitzt diese Alice Schwarzer vor gut 500 Frauen, einigen Männern, allein auf der großen Bühne in der Stadthalle Tuttlingen. Hockt da, locker, unverschämt strotzend vor Weiblichkeit, eine stolze, sich selbst bewusste Frau, und verströmt eine Wärme und Herzlichkeit, dass selbst die zugige Halle zum gemütlichen Wohnzimmer zu werden scheint.
Wo bitte, ist da "Macho", die "Rassistin", die "männermordende Emanze"? Sie erscheint viel mehr wie die Fleisch gewordene Archetype der (männlichen) Vorstellung von "Mutter". Groß und füllig, warm, verständnisvoll, beschützend und jederzeit bereit, wie eine Löwin ihre Kinder, die Frauen, Menschen zu verteidigen.
Wenn sie über ihr Selbstverständnis als Feministin spricht ("Ich bin eine Gleichheitsfeministin, für mich sind Männer und Frauen gleich viel wert") dann schnurrt sie dies wie ein Kätzchen. Kommt sie auf die Macht der Medien und die Zerstörung von Menschen durch mediale Inszenierung zu sprechen ("Feldbuschisierung der Gesellschaft"), wird ihre Stimme leise, kriecht geschmeidig ins Gehör.
Und wenn sie erzählt, wie Frauen im überwiegenden Teil der Welt unter Ungleichbehandlung leiden müssen ("Uns in Deutschland geht es ja Gold"), dann zeigt sie ein wenig ihre Krallen, dann erahnt man, welche Wut, welcher unbändige Gerechtigkeitswille sich in dieser Frau mühsam im Zaum zu halten versucht.
Sie liest ein wenig aus ihren Büchern. Hier ein paar Sätzchen, dort ein kleiner Abschnitt. Genial ihr Kapitel über ihre Studiobegegnung mit Verona Feldbusch, man schwankt zwischen Lachen und Kopfschütteln. Urplötzlich verfällt Schwarzer ins Monologisieren, legt Gedanken den ihr lauschenden Frauen zu Füßen, und die sammeln sie auf wie Kinder die Bonbons, welche an einem Rosenmontag vom Umzugswagen ins Volk geworfen werden. Nicht jedes mundet süß, manche reizen zum Widerspruch, andere schmecken so abgelutscht, dass es graust.
Nicht lange spielt sie dieses Spiel, sie möchte mit den Frauen diskutieren. Und die stellen ihre Fragen. Wie man junge Frauen für die Vorstellungen der Frauenbewegung gewinnen könne, will eine wissen. Alice Schwarzer lächelt, die meisten Zuschriften, erzählt sie, erhält sie gerade von jungen Frauen. Sie ist optimistisch. Auch wenn sie zu bedenken gibt, dass es junge Frauen heute wesentlich schwerer hätten als sie damals. Viele glaubten mittlerweile an eine Gleichheit von Mann und Frau. "Spätestens wenn diese Frauen Kinder in einer Welt ohne Ganztagesbetreuung wollen oder in die dünne Luft von Leitungspositionen im Beruf kommen, wo sie mit Männern konkurrieren müssen, werden sie desilllusioniert", schockiert sie.
Alice Schwarzer hört zu, verständnisvoll, hilft mit Worten, wo sie kann. Brillant im Analysieren, praktisch veranlagt und intellektuell kaum angreifbar. Langanhaltender, herzlicher Applaus zum Schluss.
Uwe Spille