Die Burka & die Emanzipation

Lies Hebbadj und seine vollverschleierte Ehefrau Anne Hebbadj.
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Als das französische Parlament am Vorabend des 14. Juli 2010 das Verbot der Burka in der Öffentlichkeit beschloss, enthielten sich – bis auf 20 Abweichler – die Sozialisten, Kommunisten und Grünen der Stimme. In der Kopftuchdebatte scheint die politische Front in allen europäischen Ländern ähnlich zu verlaufen: Linke neigen zur Tolerierung, Konservative und Rechte zum Verbot. Und die Bevölkerung? 82 Prozent der Französinnen und Franzosen bejahten das Burka-Verbot. Und die Mehrheit der sechs Millionen MuslimInnen in Frankreich ist ebenfalls dafür. Auch das enspricht der Stimmung in der Bevölkerung der westlichen Länder.

Das Gesetz muss nur noch den Senat passieren (ganz wie in Belgien). Dann wird in Zukunft eine Frau, die in Frankreich öffentlich vollverschleiert auftritt, mit 150 Euro Strafe und einem Kurs in Staatsbürgerkunde rechnen müssen. Männern, die ihre Frau unter die Burka „zwingen“, drohen ein Jahr Gefängnis und Geldstrafen bis zu 30.000 Euro – was allerdings reine Theorie ist. Denn eine Frau, die so unterwürfig ist, in dem schwarzen Loch eines Vollschleiers zu verschwinden, die wird wohl kaum die Aufsässigkeit haben, ihren Mann wegen Burka-Zwang anzuzeigen.

Mehr als jede dritte Voll-
verschleierte
ist Konvertitin

Als die Burka-Debatte in Frankreich 2009 begann, angestoßen von einem kommunistischen Bürgermeister, behaupteten die Burka-Tolerierer zunächst, im ganzen Land gäbe es überhaupt nur 156 Burka-Trägerinnen, von daher sei ein Verbot irrelevant. Inzwischen sind die Burka-Trägerinnen in der offiziellen Statistik auf 2000 angewachsen. Wobei bemerkenswert ist, dass mindestens jede dritte Verschleierte in Frankreich eine Konvertitin ist. In der Regel verdanken deren muslimische Ehemänner der Eheschließung mit ihnen die französische Staatsangehörigkeit.

So ist es auch im Fall des Algeriers Lies Habbadj, dessen vollverschleierte französische Ehefrau Anne die Debatte in Frankreich auslöste. Ein Polizist hatte ihr eine Geldstrafe aufgebrummt wegen Fahrens am Steuer im Niquab (Vollschleier mit Sehschlitz). Ihr Ehemann ist ein aktiver Anhänger der schriftgläubigen Missionarssekte Tabligh. Der Metzger in Nantes wurde schon länger vom französischen Geheimdienst beobachtet, weil er seit Jahren regelmäßig Wochen in Pakistan verbringt.

Habbadj hat übrigens noch drei weitere Ehefrauen, mit denen er jedoch nicht nach französischem, sondern nur nach islamischem Recht verheiratet ist. Als die Justiz ihm wegen Polygamie an den Kragen wollte, ging der offenbar gut Geschulte cool an die Öffentlichkeit und erklärte, dann müssten aber auch die vielen französischen Männer, die Geliebte haben, der Polygamie angeklagt werden. Lies Habbadj ist also keineswegs ein naiver Gläubiger, sondern ein taktisch agierender Islamist, für den das Strafmandat seiner Frau vermutlich ganz in seinem Sinne war, da er auf Provokation des Rechtsstaates aus zu sein scheint.

Ganz wie einst die Deutsch-Afghanin Fereshta Ludin, die für das Recht von Lehrerinnen auf das Kopftuch in der Schule über acht Jahre lang bis zum höchsten Gericht klagte. Oder wie im Fall der so genannten „Kopftuchaffäre“, die 1989 Frankreich beschäftigte. Da hatten politisch einschlägig aktive Väter und Onkel drei kleine Mädchen provokant mit Kopftuch in die laizistische Schule geschickt – und damit eine jahrelange Debatte ausgelöst, in der quasi die gesamte Linke pro Kopftuch war.

Eine Ohrfeige
für alle
unterdrückten Schwestern

Die Philosophin Elisabeth Badinter, Ehefrau des früheren sozialistischen Justizministers, war damals eine der raren Stimmen aus der Linken, die gegen das - 19 Jahre später verbotene - Kopftuch in der Schule plädierte und von einem „verschleierten Verstand“ sprach. Auch jetzt erhob Badinter wieder ihre Stimme und schrieb einen Offenen Brief an die Burka-Trägerinnen: „Sind wir in Ihren Augen so verachtenswert und unrein, dass Sie jeden Kontakt, jede Beziehung mit uns verweigern, bis hin zu einem kleinen Lächeln?“, fragte sie und fuhr fort: „In Wahrheit nutzen Sie die demokratischen Freiheiten, um die Freiheit abzuschaffen. Das ist eine Ohrfeige für alle Ihre unterdrückten Schwestern, denen für diese Freiheiten, die Sie so verachten, die Todesstrafe droht.“

Es ist in der Tat schwer nachvollziehbar, wie Frauen – und gar Konvertitinnen! – freiwillig eine Verhüllung anlegen können, die in den „Gottesstaaten“ und allen Ländern, in denen die Islamisten inzwischen die (heimliche) Macht haben, Frauen mit Todesdrohungen aufgezwungen wird. In diesen Ländern haben die verzweifelten Frauen keine andere Wahl. Und auch innerhalb der islamistisch beherrschten Communitys mitten in Europa ist es für die Musliminnen nicht immer einfach.

Aber was ist nur los mit den Konvertitinnen, die in Ländern aufgewachsen sind, in denen ihre Vorfahrinnen die Gleichberechtigung – vom Wahlrecht bis zum Recht der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum – so mühsam erstritten haben? Ihre Motive scheinen Angst vor Freiheit und Selbstverantwortung zu sein sowie weiblicher Masochismus– als Folge einer langen realen Unterdrückung und Demütigung des weiblichen Geschlechts.

Das Kopftuch - die Flagge des politisierten Islam

Doch die subjektiven Motive von Mädchen und Frauen, die sich in Demokratien „freiwillig“ unter ein Kopftuch oder den Ganzkörperschleier begeben, sind nur die eine Ebene und übrigens vielfältig und wechselnd (so diese Frauen überhaupt die innere und äußere Freiheit haben, die Meinung zu wechseln). Die zweite Ebene aber, die objektive Bedeutung des Schleiers, ist eindeutig: Kopftuch und Tschador waren auch in der muslimischen Welt Relikte der ländlichen, unaufgeklärten Bevölkerung – bis Khomeini in Iran den Gottesstaat ausrief. Seither ist das Kopftuch die Flagge des politisierten Islam – und der Ganzkörperschleier sein totaler Sieg.

Die Mehrheit der IslamwissenschaftlerInnen scheint sich einig zu sein, dass weder das islamische Kopftuch (das die Haare ganz bedeckt) noch der Ganzkörperschleier religiös begründet sind. Doch, ehrlich gesagt, finde ich diese Frage für unsere Debatte eigentlich unerheblich. Denn es kann doch nicht sein, dass wir Texte, die aus religiösen oder machtpolitischen Interessen vor Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden geschrieben wurden, im Rechtsstaat als Realität anerkennen – selbst wenn sie gegen die elementarsten Menschenrechte verstoßen.

Mit den kopftuchtragenden Musliminnen in unseren Ländern haben wir selbstverständlich zu reden und ihnen nicht mit Verboten zu begegnen. In Kindergärten, Schulen und im öffentlichen Dienst allerdings hat dieses Kopftuch - das kein religiöses, sondern ein politisches Zeichen ist - nichts zu suchen. Hinzu kommt, dass es eine gewaltige Erleichterung für viele muslimische Mädchen aus orthodoxen oder fundamentalistischen Familien wäre, wenn das Kopftuch sie wenigstens in der Schule nicht als die „Anderen“ stigmatisieren, in ihrer Bewegungsfreiheit behindern und sie von den Jungen wie Wesen von unterschiedlichen Sternen trennen würde. Wir würden den Mädchen mit dem Freiraum Schule überhaupt erst die Chance zu einer eines Tages wirklich freien Wahl geben.

Der Ganzkörperschleier aber hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Er raubt den weiblichen Menschen jegliche Individualität und behindert sie aufs schwerste in ihrer Bewegungsfreiheit. Burka und Niquab sind zutiefst menschenverachtend. Nicht nur für die in ihren Stoffgefängnissen eingeschlossenen Frauen – auch für die Männer, denen ja unterstellt wird, sie würden sich auf jede Frau, von der sie auch nur ein Haar oder ein Stück Haut erblicken, wie ein Tier stürzen.

Die Burka -
in Deutschland
kein Problem?

In Deutschland wurde in den vergangenen Monaten über die französische Burka-Debatte in fast allen Medien herablassend spöttisch berichtet. Stil: Haben die Franzosen eigentlich keine anderen Probleme? Wir jedenfalls haben diese Probleme nicht! Angeblich gibt es bei uns keine Burka- bzw. Niquab-tragenden Frauen. Mit Verlaub, da staune ich. Ich sehe seit geraumer Zeit bei jedem Gang durch die Kölner Innenstadt mindestens zwei, drei vollverschleierte Frauen (selbst bei 35 Grad Hitze, wie in diesen Tagen), meist in Begleitung lässiger Männer in Jeans. Wie lange wollen wir eigentlich über einen solchen Sklavinnen-Auftritt noch wegsehen?

Als Frankreich im Herbst 2008 das Kopftuchverbot in der Schule für Lehrerinnen und Schülerinnen verabschiedete, drohte der Al-Quaida-Führer Abou Moussab Abdoul Wadoud ganz offen: „Wir werden uns im Namen der Ehre unserer Töchter und Schwestern an Frankreich rächen. Heute ist es der Tschador, morgen ist es der Niquab.“ (Also die zusätzliche Verschleierung des Gesichts.) Wadoud und seine Gotteskrieger scheinen ernst machen zu wollen.

Doch Präsident Sarkozy ließ sich nicht einschüchtern. Als Sohn eines emigrierten Ungarn und einer griechischen Jüdin – aufgewachsen bei den jüdischen, einst vor den Nazis geflüchteten Großeltern – hat er selber einen „Migrationshintergrund“ und ein sehr pragmatisches, unsentimentales Verhältnis zur Integration. „Wir sind eine alte Nation, die sich einig ist in Bezug auf eine gewisse Vorstellung von der Würde des Menschen, insbesondere der Würde der Frau“, erklärte Sarkozy stolz. „Der Vollschleier, der das Gesicht verbirgt, verletzt unsere fundamentalen republikanischen Werte.“

Auch Sarkozys muslimischen Kabinettsmitglieder erklärten, die Burka sei „ein sichtbarer Ausdruck der Fundamentalisten in unserem Land“ (Staatssekretärin Fadela Amara, Franco-Algerierin) bzw. „menschenverachtend und der reine Hohn“ (Staatssekretärin Rama Yade, Franco-Senegalesin).

Ganz anders tönen europäische, linke Menschenrechtsorganisationen. So warnte Human Rights Watch vor einer „Stigmatisierung“ der Burka-Trägerinnen durch ein Verbot; erklärte amnesty international, ein Burka-Verbot würde „die Grundrechte von Frauen verletzen“; und gab Sozialistenführerin Martine Aubry der Sorge Ausdruck, damit „isoliere“ man die burkatragenden Frauen nur noch stärker. Als sei eine Steigerung der Isolation einer Frau unter der Burka überhaupt noch möglich…

Die Linke überlässt den Kampf gegen Islamismus der Rechten

Dieser Paternalismus der Linken ist nicht neu. Auffallend ist, dass in ganz Europa die Linke den Kampf gegen die Islamisierung den Konservativen bzw. Rechten überlässt. Mit dem Resultat, dass die Rechte dies zum Teil populistisch funktionalisiert bzw. missbraucht. Und die Linke? Die relativiert mit einer solchen falschen Toleranz nicht nur mühsam errungene westliche Werte – wie Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung – sondern sie ignoriert auch die berechtigten Ängste der Bevölkerung und vor allem: Sie lässt die Mehrheit der MuslimInnen im Stich, die ja die ersten Opfer der fundamentalistischen Agitatoren sind.

Die Gründe für diese scheinbare „Fremdenliebe“, die eigentlich nur die Kehrseite des Fremdenhasses ist, scheinen vielfältig. Sie reichen von Gleichgültigkeit und schlechtem Gewissen bis hin zu einem sehr grundsätzlichen Differenzialismus dieser Söhne und Töchter von Michel Foucault und Claude Lévi-Strauss. Andere Religionen oder Ethnien, andere Sitten… Es waren diese Kreise, die die Offensive des Islamismus lange als „Revolution des Volkes“ gefeiert haben. (So war Foucault einer der ersten und glühendsten Befürworter des iranischen Gottesstaates.) Und die Liberalen und Konservativen? Die machten und machen fröhlich Geschäfte mit den Islamisten. Von den Menschenrechten, in dem Fall aller Frauen, redet da niemand.

Als die Feministinnen ab den späten 1970er Jahren die Genitalverstümmlung kritisierten, wurden sie von der Linken des „weißen, bürgerlichen Eurozentrismus“ beschuldigt und angewiesen, sich rauszuhalten. In bezug auf die grausame Genitalverstümmelung gibt es inzwischen einen allgemeinen Sinneswandel. Müssen wir die Gesellschaftsfähigkeit der Burka auch noch 20, 30 Jahre gewähren lassen – bis es zu spät ist? Sollen wir uns wieder einmal raushalten, wenn vor unser aller Augen mitten unter uns Frauen ihrer elementarsten Menschenrechte beraubt und unsichtbar gemacht werden? Wollen wir immer noch nicht begreifen, dass es sich hier nicht um Glaubensfragen, sondern um gezielte politische Provokationen handelt, die Dank unserer falschen Toleranz die Grenzen des Rechtsstaates überschreiten könnten?!

Es gibt
Grenzen der
Religionsfreiheit

„Sollen wir die Burka verbieten?“, wurde ich jüngst bei einer öffentlichen Veranstaltung gefragt. Was für eine Frage! Selbstverständlich Ja! Mit welchen spitzfindigen formaljuristischen Formulierungen auch immer. Denn es gibt Grenzen der „Religionsfreiheit“. Mit der wollen ja auch christliche Fundamentalisten zum Beispiel begründen, wenn sie ihre Kinder nicht in unsere Schulen schicken. Schon seit Papst Johannes Paul II. ist übrigens ein Schulterschluss zwischen den Konservativen bzw. Fundamentalisten beider Religionen zu beobachten. Im Visier haben sie beide dabei ihre Privilegien – und die Selbstbestimmung der Frauen. Eine auch für die Christen gefährliche Strategie. Denn sie würden am Ende den kürzeren ziehen.

Ein Burka-Verbot sei nur symbolische Politik und das Problem der Unterwanderung durch den schriftgläubigen Steinzeit-Islamismus damit nicht gelöst, argumentieren die ganz Schlauen. Das stimmt. Aber symbolische Politik ist auch Politik. Und ein Verbot wäre ein erster Schritt und ein sichtbares Zeichen – nicht nur für die unsichtbaren Frauen. Nicht zufällig verabschiedete schließlich das französische Parlament das Burkaverbot am Vorabend des 14. Juli, dem Jahrestag der französischen Revolution (am 14. Juli selbst wird in Frankreich nicht gearbeitet, sondern gefeiert). Diese französische Revolution proklamierte vor über zweihundert Jahren die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ für alle Menschen. Und wir Frauen fügten die „Schwesterlichkeit“, genauer: die „Geschwisterlichkeit“ hinzu. Dahinter wollen wir nicht mehr zurück fallen.

Alice Schwarzer für die FAZ, 20.7.2010

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Alice Schwarzer schreibt

Frankreich: Die Burka ist verboten

Die französische Konvertitin Anne mit Ehemann Lies Hebbadj und Anwalt. - Foto: Evrard/AFP/getty
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Nicht zufällig zum Jahrestag der Französischen Revolution verabschiedete das französische Parlament mit großer Mehrheit ein Verbot der Burka. Die rechtlich vorsichtige Formulierung lautet: „Niemand darf im öffentlichen Raum eine Kleidung tragen, die dazu bestimmt ist, das Gesicht zu verhüllen.“ Die Sozialisten, Kommunisten und Grünen enthielten sich – bis auf 20 AbweichlerInnen – der Stimme. 82 Prozent aller FranzösInnen begrüßen das Burka-Verbot ebenso wie die Mehrheit der sechs Millionen MuslimInnen in Frankreich. Präsident Nicolas Sarkozy hatte das Gesetz vorangetrieben und erklärt, die Burka verstoße „gegen die Würde der Frau“. - Auch in Belgien wurde der Ganzkörperschleier verboten. In Deutschland scheint das Problem noch kein Thema zu sein.

Frankreich macht Ernst mit dem Verbot der Burka. Am 19. Mai 2010 verabschiedete die Regierung einen Gesetzentwurf, nach dem das Tragen der Burka im öffentlichen Raum mit einer Geldstrafe bis zu 150 Euro und/oder der Verurteilung zu einem Besuch eines Aufklärungskurses über die Bürgerrechte geahndet wird. Am 13. Juli wurde der Gesetzentwurf von der Nationalsversammlung verabschiedet. Und es besteht kein Zweifel daran, dass das Gesetz im September im Senat durchgeht.

Eine Vorstellung von der Würde des Menschen

Nicolas Sarkozy steht seit einem Jahr an der Spitze derer, die ein Burka-Verbot fordern. „Wir sind eine alte Nation, die sich einig ist in Bezug auf eine gewisse Vorstellung von der Würde des Menschen, insbesondere der Würde der Frau“, erklärte der Präsident. „Der Vollschleier, der das Gesicht verbirgt, verletzt unsere fundamentalen republikanischen Werte.“

Im Sommer 2009 war die Debatte von dem kommunistischen Bürgermeister André Gérin angestoßen worden. Ihm war mitten auf dem Marktplatz von Vénissieux eine Gestalt unter der Burka entgegengekommen. Gérin ging in die Offensive. Dieses Gewand sei „ein ambulantes Gefängnis“ erklärte der Bürgermeister. „Und die Burka ist nur die Spitze des Eisberges. In etlichen Vierteln unserer Stadt sind überhaupt keine Kontakte zwischen Männer und Frauen mehr möglich ohne Bespitzelung. Der Fundamentalismus ist eine wirkliche Bedrohung für uns alle.“

Damit sprach Monsieur Gérin den Französinnen und Franzosen aus dem Herzen. Eine überwältigende Mehrheit ist inzwischen für ein Burka-Verbot, und das nicht nur unter den Konservativen, sondern auch unter den Liberalen und Linken. Nicht zuletzt diese Stimmung ist es, die den angeschlagenen Präsidenten Sarkozy zum Durchgreifen in der Frage beflügelt.

Selbst die Sozialisten, die gegen ein Verbot der Burka sind, vertreten inzwischen die Auffassung, das Tragen des Ganzkörperschleiers sei „ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit von Männern und Frauen“. Dabei hatte Sozialisten-Chefin Martine Aubry noch vor kurzem erklärt, bei einem Burka-Verbot blieben die „burkatragenden Frauen zu Hause, und wir sehen sie nicht mehr“. Dass die gestandene Parteiführerin die Burkaträgerinnen schon jetzt nicht mehr sieht, ist ihr anscheinend noch nicht aufgefallen. Vielleicht, weil sie nicht genau genug hinsieht?

Für die deutschen Medien bisher kein Thema

Auch Belgien hat im Mai 2010 ein Burka-Verbot erlassen und in den skandinavischen Ländern wird es heiß diskutiert. In Deutschland allerdings scheint man das Burka-Problem bisher nicht sonderlich ernst zu nehmen, zumindest in den Medien nicht. So hatte die deutsche Berichterstattung über die französische Burka-Debatte fast unisono einen Ha-ha-ha-Tenor (SZ: „Schleierhafte Debatte“).

Auch die Politik scheint sich bisher noch wenig Gedanken über das Kopftuch hinaus gemacht zu haben. Nur die liberale EU-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, in Brüssel internationaler informiert, forderte das Verbot der Burka für ganz Europa, Argument: „Wer Frauen verhüllt, nimmt ihnen das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit. Die Burka ist ein massiver Angriff auf die Rechte der Frau, sie ist ein mobiles Gefängnis.“ Und auch die CSU-Ministerin Haderthauer erklärte: „Das Tragen einer Burka raubt Frauen ihre Identität, würdigt sie zu gesichts- und körperlosen Schatten herab. Solche Herabwürdigungen haben bei uns keinen Platz. Das müssen wir deutlich machen, wenn notwendig auch mit einem Burka-Verbot in Deutschland.“

Bei der Schwesterpartei scheinen diese Bedenken noch nicht angekommen zu sein. Gleich drei prominente CDU-PolitikerInnen äußerten sich jüngst pro Burka: Innenminister de Maizière findet ein Burka-Verbot „nicht erforderlich und unangemessen“. Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, hat noch nie eine Burka in Deutschland gesehen. Und Ex-Bundespräsident Köhler mochte „die Diskussion nicht ideologisch führen, sondern aufklären.“

Vollverschleierte Autofahrerin war der Auslöser

Eigentlich ein guter Ansatz – wenn alle das so sehen würden. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte in Frankreich nämlich im April 2010 eine Autofahrerin im Niqab, einer Burka-ähnlichen Vollverschleierung, die eine Strafe von 22 Euro wegen „verkehrsschädigenden Verhaltens“ zahlen musste. Es handelte sich um Anne Hebbadj, die Frau eines Algeriers, der dank seiner Eheschließung mit Anne im Besitz der französischen Staatsangehörigkeit ist. Die vollverschleierte Anne Hebbadj ist Konvertitin, wie die Mehrheit der aktuell etwa 2000 Burka-Trägerinnen in Frankreich (!).

Als die Affäre publik wurde, sickerte durch, dass Annes Ehemann, Lies Hebbadj, wohl noch weitere drei Frauen und zwölf Kinder hat. Daraufhin wurde Hebbadjs Ausweisung wg. Polygamie in Erwägung gezogen. Der Algerier-Franzose verteidigte sich geschickt: Wer denn beweisen könne, dass er vier Mal verheiratet sei? Schließlich hätten französische Männer auch oft Geliebte – ohne deswegen der Polygamie bezichtigt zu werden.

Doch wer ist Lies Hebbadj? Er hat eine Metzgerei in Nantes und ist Anhänger der Tabligh-Sekte, einer wortgläubigen Missionarsbewegung, die sich der strikten Auslegung des Korans verschrieben hat. Hebbadj war schon mehrfach in Pakistan und wird seit Jahren vom französischen Geheimdienst observiert. Seine Frau Anne, eine eifrige Konvertitin, wird also kaum aus Naivität gehandelt, sondern bewusst provoziert haben. Übrigens: Alle Prozesse, die bisher in Europa im Kampf um Kopftuch bzw. Burka gelaufen sind, scheinen einen organisierten islamistischen Hintergrund zu haben.

Und was ist mit dem Vorwurf der Polygamie gegen Monsieur Hebbadj? Seine Antwort darauf wird einfach sein: Ein strenggläubiger Muslim heiratet nicht standesamtlich, sondern nur nach muslimischem Recht. Rein juristisch ist Hebbadj also vermutlich keine „Polygamie“ nachzuweisen. Und die vollverschleierte Anne hat er wahrscheinlich nur standesamtlich geheiratet, um die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen. In Deutschland ist dieser Weg zur Erlangung der Staatsbürgerschaft übrigens in islamistischen Kreisen seit den 1980er Jahren eine regelrechte systematische Strategie.

Al-Quaida Führer droht mit Racheakten

Nachdem Frankreich im Herbst 2008 erfolgreich das Kopftuch-Verbot in der Schule für Lehrerinnen und Schülerinnen verabschiedet hatte, drohte der Al-Quaida-Führer Abou Moussab Abdoul Wadoud offen: „Wir werden uns im Namen der Ehre unserer Töchter und Schwestern an Frankreich rächen.“ Und er fuhr fort: „Heute ist es der Tschador, morgen ist es der Niqab.“ Seine Prophezeiung ist nun in Erfüllung gegangen. Jetzt ist es der gesichtsverdeckende Niqab. Und morgen? Morgen die ganze Welt?

Doch Präsident Sarkozy, der als Sohn eines Ungarn und einer griechischen Jüdin selber einen „Migrationshintergrund“ hat, ließ sich nicht einschüchtern. Die eher linke Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch allerdings warnte vor einem Burka-Verbot: Damit „stigmatisiere“ man die Frauen nur. Außerdem sei das Burka-Tragen ein „Menschenrecht“. Und Amnesty International erklärte, ein Verbot, das Gesicht zu verhüllen, würde „die Grundrechte von Frauen verletzen“, denn der Ganzkörperschleier sei „Ausdruck ihrer Identität und ihres Glaubens“.

Die Musliminnen in der französischen Politik, wie die (Ex)Staatssekretärinnen Fadela Amara oder Rama Yade, sehen das ganz anders. Amara, Franco-Algerierin, ist zuständig für die Vorstädte und Gründerin der Musliminnen-Organisation „Ni putes ni soumises“ (Weder Hure noch Unterworfene). Sie plädiert uneingeschränkt für ein Verbot der Burka, die für sie ein „sichtbarer Ausdruck der Fundamentalisten in unserem Land“ ist. Für die afrikanisch-stämmige Ex-Staatssekretärin Yade ist die „menschenverachtende Burka“ gar der „reine Hohn“.

Diese Musliminnen, die ja die ersten Opfer der Islamisten auch innerhalb ihrer eigenen Community sind, haben in Frankreich die Mehrheit der nichtmuslimischen Frauen an ihrer Seite. Als eine der ersten erhob die Philosophin Elisabeth Badinter – die sich bereits zur ersten Schleieraffäre in Frankreich, die 1989 ebenfalls von aktiven Islamisten inszeniert worden war, engagiert geäußert hatte – ihre Stimme: „Sind wir in Ihren Augen so verachtenswert und unrein, dass Sie jeden Kontakt, jede Beziehung mit uns verweigern, bis hin zu einem kleinen Lächeln?“, fragte sie in einem Offenen Brief die Burka-Trägerin. Und fuhr fort: „In Wahrheit nutzen Sie die demokratischen Freiheiten, um die Freiheit abzuschaffen. Das ist eine Ohrfeige für alle Ihre unterdrückten Schwestern, denen für diese Freiheiten, die Sie so verachten, die Todesstrafe droht.“

Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht. Auch in Deutschland.
 

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Alice Schwarzer (Hrsg.): „Die große Verschleierung – für Integration, gegen Islamismus“ erschienen bei KiWi.

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