Schwarzer kritisiert Hannelore Kraft
Was sagt es aus, wenn der NRW-Innenminister schon am Neujahrstag eine Meldung bekommt, wonach es elf sexuelle Übergriffe, darunter eine Vergewaltigung, begangen durch eine bis zu 50-köpfige Tätergruppe nordafrikanischer Herkunft, gegeben habe und dieser die Meldung als „nicht herausragend“ bezeichnet?
Alice Schwarzer: Elf sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht sind in der Tat nicht herausragend. Die Gruppenvergewaltigung hätte schon zu denken geben müssen. Doch es waren ja 627 – so viele Anzeigen wegen sexueller Gewalt liegen inzwischen vor. Und dass ein Innenminister auch am Tag danach noch nicht darüber informiert ist, das ist alarmierend.
Halten Sie die lange Reaktionszeit von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für angemessen?
Gerade von einer Ministerpräsidentin hätten die Opfer sich verständlicherweise ein einfühlsames Wort gewünscht. Und zwar sofort. Aber da stand anscheinend die politische Correctness davor: Als Erstes machte man sich Sorgen um die Täter. Rassismus-Alarm.
Polizeipräsident Albers wurde in den vorzeitigen Ruhestand geschickt - reicht das als personelle Konsequenz?
Vermutlich reicht das nicht. Aber es ist tröstlich, dass Jürgen Mathies, der neue Polizeipräsident, der richtige Mann zu sein scheint. Seither ist die Stadt sicherer.
Die Polizei konnte die Frauen nicht vor den Übergriffen schützten – wer ist verantwortlich für das Staatsversagen?
Wahrscheinlich hatten die Polizisten selber Angst. 1.000 bis 2.000 randalierende, enthemmte Männer, für die die Polizei keine Autorität ist, gegen nur zirka 100 Polizisten, wie wir heute wissen.… Die Verantwortung liegt für mich aber bei der Politik. Die hat ein Klima geschaffen, in dem es quasi verboten ist, genauer hinzusehen, sobald die Täter Ausländer sind. Vielleicht sogar Flüchtlinge? Man wollte es nicht wahrhaben – und hat es dadurch nur noch schlimmer gemacht.
In Ihrem Buch nennen Sie den Bahnhofsvorplatz „Tahir-Platz von Köln“. War der Mob vorhersehbar?
Nein. Das hat es nach 1945 in Deutschland oder Europa noch nie gegeben: Ein über Stunden rechtsfreier Raum mitten in einer Großstadt, wo Hunderte von Frauen Opfer kollektiver sexueller Gewalt werden – und die Polizei greift nicht ein. Die Parallelen zum Sexualterror auf dem Tahrir-Platz in Kairo waren unübersehbar, das haben wir sofort am 4. Januar auf EMMAonline geschrieben. In beiden Fällen ging es darum, Frauen zu demütigen und sie aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben.
Müssen wir uns auch in Deutschland mit dem Gewaltphänomen „Taharrush Jamai“ abfinden?
Selbstverständlich nicht! Wir sind ja kein Gottesstaat, sondern eine Demokratie. Aber wir müssen endlich lernen zu unterscheiden zwischen den Millionen friedlichen und aufgeklärten Muslimen und dieser radikalen Minderheit der Islamisten. Das sind Männer, für die die Scharia über dem Gesetz steht und die Frau unter dem Mann. Und ihre ersten Opfer sind nicht wir, sondern sind Muslime.
Wieso glauben Sie, dass der Mob eine organisierte Aktion war?
Der Polizeipräsident hat inzwischen bestätigt, dass die Männer auf dem Bahnhofsplatz sich verabredet hatten und die meisten von ihnen nicht aus Köln kamen, sondern angereist waren. Sie hatten nicht die Absicht, Silvester zu feiern, das tut man ja am Rhein. Nein, sie sind gekommen zum „Frauenklatschen“. Es war, wie ein Konfliktforscher gesagt hat, eine „Machtdemonstration Gleichgesinnter“. Was sie verbunden hat, ist ein radikaler Islam: die Verachtung der „Ungläubigen“ und Frauen plus Gewalt.
Was haben die Taten mit Religion zu tun?
Mit Religion hat das weniger zu tun. Der Islam als Glaube ist Privatsache und nicht das Problem. Der politisierte Islam, der seit Khomeinis Machtübernahme im Iran 1979 auf Kreuzzug ist, ist das Problem. Wir wissen, wie diese Islamisten wüten in Ländern, die sie beherrschen oder terrorisieren. Und sie agitieren schon seit Ende der 1980er Jahre auch mitten unter uns. Sie hetzen die jungen Männer auf und versprechen 70 Jungfrauen, wenn sie in den Dschihad ziehen. Sie geben den Eltern Geld, wenn ihrer Tochter sich verschleiert. Petrodollars aus Saudi-Arabien. Hinzu kommen die schein-liberalen muslimischen Organisationen, wie die Ditib oder der Zentralrat der Muslime. Die sind in Deutschland überwiegend schriftgläubig und stark rückwärtsgewandt. Sie repräsentieren zwar nur wenige Prozent der bei uns lebenden Millionen Muslime, sind aber die Gesprächspartner von Politik und Gesellschaft. Das muss sich ändern. Wir müssen endlich mehr auf die aufgeklärten, fortschrittlichen Muslime hören.
Wieso fühlten sich die Täter von Köln angezogen?
Weil Köln zentral liegt. Weil Köln liberal ist. Und vielleicht auch, weil in Köln das wichtigste Symbol der christlichen Welt steht: der Dom.
Das Gespräch führten Gerhard Voogt und Christian Wiermer, es erschien am 12.5.2016 im Express.
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Alice Schwarzer (Hg).: „DER SCHOCK – die Silvesternacht von Köln“ (KiWi, 7.99 €). Im EMMA-Shop