Das Medikament gegen den Backlash
"Die Antwort", das neue Buch von Alice Schwarzer, bietet den Neokonservativen Paroli, findet die Autorin Ruth Schweikert.
Eigentlich dachten wir, die Sache sei ausgestanden, zumindest theoretisch: gleiche Rechte und Pflichten für Mann und Frau in Politik, Gesellschaft und Familie; damit einhergehend, zu Gunsten aller, die nachhaltige Entsorgung diverser Rollenklischees.
Doch seit letztem Herbst scheint klar: Der Backlash hat uns wieder. Religiöse und biologistische Fundamentalisten, mental unterforderte Einkindhausfrauen und rechtsbürgerliche Politiker schliessen sich zur Lichterkette zusammen und propagieren lautstark, was die Weltwoche unlängst zum "Erfolgsmodell Familie»" kürte: Vater im Büro, Mutter zu Hause. Die Pharmaindustrie frohlockt und kurbelt schon mal die Produktion von Valium & Co an, in den Fünfzigerjahren als "Mother’s little helper" bekannt.
Mittlerweile immerhin durfte eine Journalistin die flächendeckende Rückkehr der so genannt traditionellen Familie im gleichen Blatt als naiv-nostalgische (Männer)Fantasie entlarven. Denn die Statistik spricht zum Glück eine andere Sprache; seit Jahren steigt europaweit der Prozentsatz erwerbstätiger und gut ausgebildeter Frauen, ja selbst in Top-Positionen und Verwaltungsräten werden sie ab und zu gesichtet; gleichzeitig allerdings ist das traute Heim, Glück allein, nach wie vor der gefährlichste Aufenthaltsort für weibliche Individuen der Spezies Mensch; zehnmal so häufig wie nachts im dunklen Park werden sie innerhalb der eigenen vier Wände Opfer von Gewalt, meistens im Namen der (enttäuschten, verweigerten) Liebe.
Was außerdem der Fall ist: Die Pornografie boomt, der religiöse Fundamentalismus ist im Vormarsch, der Frauenhandel blüht, und ganze Dörfer – Frauen voran – nehmen vor laufenden Fernsehkameras ab. Haben alle diese Phänomene etwa miteinander zu tun? Selbstverständlich, meint EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer, 65, in ihrem neusten Buch "Die Antwort". Die Lektüre lohnt sich.
Die unblutigste soziale Revolution
Zunächst rekapituliert Schwarzer mit Verve, unterhaltsam und anekdotenreich eine im Rückblick geradezu ungeheure Erfolgsgeschichte (die wir ihr wesentlich mit zu verdanken haben): denn was weder die deutsche Aufklärung noch die französische Revolution hinkriegte, die Egalité der Geschlechter, den Ausgang der Frauen aus der (dem Patriarchat geschuldeten) Unmündigkeit, haben Feministinnen und Feministen in knapp vier Jahrzehnten erkämpft; angefangen vom Stimm- und Wahlrecht über die Lohngleichheit, die Entkriminalisierung der Abtreibung bis zum Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe. Damit ist die unblutigste, grösste soziale Revolution der letzten Jahrhunderte Tatsache geworden: Zum ersten Mal in der Geschichte sind Frauen (im Westen) uneingeschränkt gleichberechtigt.
Wo also liegt das Problem? Die lange ersehnte Teilhabe an der Macht – und die daraus resultierende Verantwortung – machen eben nicht nur frei, sondern auch Angst; nicht wenigen Männern, aber auch vielen Frauen. Denn die latente Drohung heisst: Verlust der Weiblichkeit bzw. des Geliebtwerdens. "Frauen haben zwar viel zu gewinnen, aber sie riskieren dabei die Liebe der Männer", schreibt Schwarzer und listet gnadenlos auf, wie Frauen sich noch immer verkrümmen, um vielleicht doch noch – für ihre Schwächen, für ihre Abhängigkeit – geliebt zu werden.
Die Auswahl ist groß und reicht von der Brigitte-Diät – Männer machen Karriere, Frauen Diäten – bis zum Kleinmädchen-Look, hinter dem wir unsere intellektuelle Power verstecken, falls wir uns nicht gerade selber davon überzeugen, dass wir Pornografie cool finden und Vergewaltigungsfantasien haben. Oder wir ziehen es von Anfang an vor, einen klassischen Frauenberuf zu ergreifen, von der Arzthelferin etwa bis zur Coiffeuse. Oder wir kaschieren die Leidenschaft für unseren Beruf schamhaft als "notwendigen Zustupf zum Familieneinkommen" und jammern gleichzeitig über den ständig abwesenden Ehemann. Oder aber wir glauben, wir müssten grundsätzlich einen Preis bezahlen, wenn wir es den Männern gleich tun wollen; zum Beispiel den, keine Kinder zu haben. Oder den, uns im Bett erniedrigen zu lassen. Irgendwo, glauben wir, muss der arme, verunsicherte Mann den Draufgänger spielen dürfen.
"Schmerzlich klaffen innere Widersprüche", konstatiert Schwarzer, "bei Frauen wie bei Männern." Doch von Männern, meint sie realistisch, könne nicht erwartet werden, dass sie freiwillig auf ihre Privilegien verzichten, und schließt daraus: "Frauen müssen lernen, Männer einzuklagen. Nicht dieses halb resignierte Nörgeln von unten, sondern realistische Forderungen und Kompromisse von Gleich zu Gleich." Dies gilt auch für Paare mit Kindern. Schwarzer hat genaue Vorstellungen, wie Berufs- und Familienleben für alle Beteiligten bekömmlich zu vereinbaren sind: Ein Jahr paritätisch aufgeteilter Erziehungsurlaub, danach Ganztageskrippen und -schulen sowie eine reduzierte Arbeitszeit von 30 bis 32 Stunden für beide Elternteile.
Kenntnisreich und humorvoll
Das mag mancher und manchem zu rigoros vorkommen und als Eingriff des Staates in die Privatsphäre. Aber es wäre ein effizientes Mittel, um die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in diesem wichtigen Bereich durchzusetzen. Denn von Gleich zu Gleich – daran führt für Schwarzer kein Weg vorbei. Humorvoll und kenntnisreich schmettert sie die biologistischen "Erklärungen" für den "kleinen Unterschied" ab; es gibt für sie weder "männliche" noch "weibliche" Gehirne oder Eigenschaften; viel stärker als geschlechtsspezifische fielen individuelle Unterschiede ins Gewicht.
Entschieden plädiert sie für einen "neuen" Menschen jenseits aller Zuordnungen und für eine Liebe, die nicht auf – materiellen oder emotionalen – Abhängigkeiten beruht. Wie diese aussehen könnte, ist noch offen und eine Chance für alle. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie Alice Schwarzer, das wirkungsvollste Medikament gegen den Backlash.
Ruth Schweikert, Tagesanzeiger, 4.6.2007