Die Feministin
Alice Schwarzer ist viel stärker als die Klischees über sie. Das beweist sie in ihrem neuen Buch "Alice im Männerland". Seit mehr als 30 Jahren schreibt die Autorin über Frauen. Das war mal en vogue, mal out, Alice Schwarzer ist unbeirrbar bei diesem Thema geblieben. Damit es nicht langweilig wurde, hat sie sich vorzugsweise auf Tabus gestürzt. Mal ging es um Abtreibung, Missbrauch von Kindern, Gewalt gegen Frauen, mal um den Diätwahn und dann wieder über die Gotteskrieger und den Schleier. Über die Taliban hat sie schon geschrieben, als hier zu Lande noch kaum jemand nur das Wort kannte. Die pointierte Auswahl von Beiträgen aus mehr als 30 Jahren zeigt auch Skeptikern, wie substanziell die Themen sind, die sie behandelt.
Der Griff zu diesem Buch ist gerade wegen der immer noch existierenden Klischees nicht selbstverständlich. Als die deutsche Frauenbewegung ein Gesicht brauchte, wurde Schwarzer schnell zum feministischen Schreckgespenst hochstilisiert. Man kämpft schließlich nicht, ohne sich Feinde zu machen, und diese Feinde errangen Punktsiege. Als sie vor kurzem in einer Talk-Show bekannte, dass sie niemals Latzhosen getragen hat, waren viele überrascht. Man hat sie mit Imagegeschossen offenbar fixiert in den bürgerbewegten Zeiten der 70er Jahre, als die lila Latzhose äußeres Zeichen der inneren Betroffenheit waren. Obwohl Schwarzer viel zu intelligent, zu analytisch und wohl auch zu tough ist für bloße Betroffenheit, hat sie Kommunikations-Moden schon früh für sich und ihre Sache genutzt. Die "Stilkontrolle" einer Illustrierten offenbarte kürzlich, dass die Vorzeige-Feministin immer ihren eigenen Stil hatte, den aber der Mode angepasst hat. Auch Angstobjekte der Männer müssen nicht frei von Eitelkeit sein. Einen schönen Einblick gibt die Hausmitteilung der November/Dezember-Ausgabe von "Emma". Dort erfährt man etwas über Selbstironie und mehr über den Chef, der hier so genannt wird, obwohl er eine Chefin ist und Fast-Französin dazu.
Das Fernsehduell mit Verona Feldbusch hatte Vorläufer, an die in dem Buch auch erinnert wird. 1975 gab es ein erstes Streitgespräch mit Esther Vilar, der Autorin von "Der dressierte Mann". Diese von ihr mit großem Ernst geführte Diskussion habe ihren Ruf als Medienhexe begründet, schreibt Schwarzer. Auch mit dem vor kurzem verstorbenen Rudolf Augstein gab es ein Gespräch, bei dem Statistiker notierten, dass er doppelt so lange redete wie sie, sie aber 30 Mal unterbrochen hat. Sie unterbrach ihn nur sieben Mal. Früh hat sie über Inzest geschrieben, über die pornographischen Aspekte von Helmut Newtons Kunst, hat begründet, warum Frauen in die Bundeswehr sollen und begründet, warum es Zeit ist, dass Frauen sich wichtig nehmen. Schwarzer geht nicht nur mit den Männern hart ins Gericht. Auch Frauen macht sie auf Defizite aufmerksam. Das wohl wichtigste: mangelnder Machtwille.
Die Lektüre des Buches ist auch ein Blick in die Zeitgeschichte. Es stimmt schon, dass manche Themen, die sie auf die Agenda der Gesellschaft gebracht hat, von Betroffenengruppen manchmal bis an die Schmerzgrenze publizistisch ausgewalzt wurden. Bisweilen wird ihr angekreidet, dass sie im Umgang mit Mitarbeitern bossy sei. Wer die Ehrerbietung beobachtet hat, mit der sich junge Mitarbeiterinnen ihrer Chefin nähern, der ahnt, was die vielen geschlagenen Schlachten auch mit ihrer Frontkämpferin angestellt haben. Erst gaben sie ihr Autorität. Versteckten sie dann hinter Klischees, bis man sie nicht mehr sah. Schließlich verwandelten sie sie in eine Ikone. Dieses Buch schafft es, die Ikone wieder zurückzuverwandeln in einen furchtlosen und geistvollen Menschen.