"Die Herkunft spielt eine Rolle"
Österreich hat ein enormes Problem mit männlicher Gewalt gegen Frauen. Fünf ermordete Frauen seit Jahresbeginn, in allen Fällen waren es Beziehungstaten. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Alice Schwarzer Das ist ja nicht neu. Manche Männer scheinen Frauen immer noch als ihren Besitz zu betrachten – und ehe sie sie gehen lassen, bringen sie sie um. Nicht zuletzt aus den Frauenhäusern wissen wir seit Jahrzehnten: Der gefährlichste Moment für eine Frau ist, wenn sie geht. Da können auch Lämmer zu Wölfen werden. Übrigens: Die Polizei erkennt Beziehungsmorde auch daran, dass sie oft besonders grausam verlaufen. Statt ein, zwei, drei Messerstichen eben zehn, zwanzig, dreißig.
Die mutmaßlichen Täter waren großteils Ausländer: Reicht es, mit dem Finger auf Ausländer zu zeigen, wie nun manche meinen?
Ja, es hat keinen Sinn, das zu leugnen. Unter den fünf Mördern zu Beginn dieses Jahres ist ein „Bio-Österreicher“. Von den restlichen vier kommen drei aus islamischen Ländern beziehungsweise haben diesen Hintergrund. Wenn man das feststellt, ist das keine Ausländerfeindlichkeit, sondern eine Tatsache. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir das erstens eingestehen und uns zweitens fragen: Warum ist das so?
Welche Rolle spielt denn die Herkunft des Täters?
Die Herkunft, also seine Prägung, spielt immer eine Rolle. Das bei der Beurteilung einer Tat zu erkennen, hat uns seit Ende der 1960er der Fortschritt, auch die Gerichtspsychologie gelehrt. Sie kann allerdings keine Entschuldigung sein, dieses Wissen dient nur dem besseren Verständnis der Motive – und damit auch der Prävention. In dem Fall der Männer, die jetzt aus kriegsgeschüttelten islamischen Ländern zu uns kommen, liegt die Antwort auf der Hand: Erstens sind das Männer, die in Kriegen und Bürgerkriegen Furchtbares erlebt oder/und auch getan haben.
Das heißt?
Sie sind kriegsbrutalisiert und kriegstraumatisiert. Eigentlich dürfte man sie so gar nicht in eine zivile Gesellschaft entlassen, sondern müsste sie therapieren. Zweitens kommen diese Männer aus Ländern, in denen Frauen rechtlich Unmündige sind, abhängig von Bruder, Vater oder Ehemann. Und in denen die Gewalt gegen Frauen und Kinder nicht geächtet, sondern selbstverständlich ist. Der Algerier und Muslim Kamel Daoud hat einmal gesagt: „Diese Männer müssen die Tausenden Kilometer, die sie mit den Füßen zurückgelegt haben, auch noch mal im Kopf zurücklegen.“ Das heißt, sie müssen umlernen; verstehen, dass in unserer Kultur auch Frauen Menschen sind und Menschenrechte haben. Und dass sie nicht ihr Besitz sind, den sie lieber zerstören, bevor sie ihn ziehen lassen.
Manche schlussfolgern nun, dass erst durch die Zuwanderung die Frauenfeindlichkeit nach Österreich kam. Wie sehen Sie das?
Das ist natürlich Quatsch. Die Männergewalt ist ein zentrales Problem im Verhältnis der Geschlechter. Doch wir haben uns im Westen in den letzten 50 Jahren sehr mühsam eine gewisse Gleichberechtigung der Geschlechter erkämpft. Es ist noch lange nicht genug, aber es ist viel passiert seit der auch bei uns herrschenden weitgehenden Rechtlosigkeit von Frauen noch in den 50er-Jahren. Dieser Fortschritt ist uns nicht geschenkt worden. Und wir können stolz darauf sein, Frauen wie Männer. Die nun zugezogenen Männer aus anderen Kulturen haben diesen Prozess – noch – nicht durchgemacht. Sie denken und fühlen anders. Sie erschüttern durch ihre Haltung und Handlungen das Erreichte, reißen das Niveau der Gleichberechtigung der Geschlechter wieder nach unten.
Wieso ist eine differenzierte Behandlung des Problems Gewalt gegen Frauen so schwierig?
Und es wird immer schwieriger. Nun kehrt zum Beispiel die öffentliche Gewalt gegen Frauen zurück. Dabei haben wir auch ohne dieses Phänomen zu kämpfen, nämlich gegen die sogenannte private Gewalt gegen Frauen, die hinter verschlossenen Türen. Jetzt aber taucht mit den Männern aus diesen Ländern wieder die öffentliche Gewalt auf: diese grausamen, oft rituellen Beziehungsmorde. Da wird ganz klar: Damit ist nicht nur die eine Frau, nicht nur das Opfer gemeint. Damit sind wir alle gemeint: Seht her, das passiert mit so einer, die das wagt! So wie im Fall des Deutsch-Kurden, der seine Frau in Hameln gefesselt und an einen Strick gebunden hinter dem Auto kilometerweit durch die Innenstadt geschleift hat. Sie hat wie durch ein Wunder überlebt.
In einem Interview sagten Sie uns einmal: „Die Herausforderung liegt darin, die Probleme nicht zu leugnen.“ Was muss Ihrer Meinung nach geschehen?
Das Problem ist eigentlich alt. Es hat selbstverständlich nicht erst mit den Flüchtlingen angefangen. Über Jahre haben wir zugesehen, wie sich Parallelgesellschaften, ja regelrechte Gegengesellschaften, wie der Deutsch-Türke Ali Ertan Toprak sagt, mitten unter uns gebildet haben. Die haben sogar eine Paralleljustiz. Sie sind entstanden durch die islamistische Agitation, dank der von Saudi-Arabien oder der Türkei et cetera bezahlten Imame, die Hass predigen. Gebot Nummer 1: Allah ist der Größte und der Zweitgrößte ist der Mann. Gebot Nummer 2: die Trennung der Geschlechter. Gebot Nummer 3: die Verhüllung der Frauen. Das alles haben wir zugelassen. Im Namen einer falschen Toleranz für eine „andere Kultur“, eine „andere Religion“ haben wir weggesehen. Dabei hat das übrigens mit Religion wenig zu tun. Das ist ein Missbrauch der Religion für eine rechte Ideologie. Und nicht der Islam ist das Problem, der politisierte Islam der Islamisten ist das Problem – und seine ersten Opfer sind die aufgeklärten Musliminnen und Muslime.
Was muss von politischer und gesellschaftlicher Seite angegangen werden?
Wir müssen da rein! Wir müssen diesen Hetzern, deren Ideal die verhüllte Frau und der Gotteskrieger ist, etwas entgegensetzen. Demokratie! Rechtsstaat! Meinungsfreiheit! Gleichberechtigung der Geschlechter! Wer bei uns lebt, hat sich nach diesen unseren Werten zu richten. Und er muss sie auch verinnerlichen. Das müssen wir fordern und fördern. Gleiche Rechte und Pflichten für alle.
Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich sagte einst sinngemäß, dass viele Menschen die Konflikte in ihren engen Beziehungen insofern lösen wollen, als sie sich draußen ein Feindbild aufbauen, auf das sie ihren ganzen Hass projizieren. Müssen wir da in Zeiten von Migration nicht besonders aufpassen?
Mit Feindbildern müssen wir immer aufpassen. Der beliebteste Feind ist ja der eigene Nachbar. Im Fall von rückständigen, rechtsradikalen Kräften wie den Islamisten müssen wir endlich die bittere Wahrheit erkennen: Hier geht es nicht um Feindbilder, es geht um Gegner – und um Versäumnisse. Und dafür zahlen in erster Linie nicht wir, sondern die aufgeklärten Muslime die Rechnung. Mit ihnen müssen wir solidarisch sein.
Mitscherlich sagte auch, dass in einer Gesellschaft Werte aufgestellt werden müssen, die mit Einfühlung zu tun haben, nicht mit Ausgrenzung, Rache oder Ausbeutung. Was bedeutet das im Jahr 2019?
Margarete Mitscherlich, die eine enge Freundin von mir war, hatte meistens recht. Und auch hier zitieren Sie sie trefflich. Aber gerade sie hätte niemals zweierlei Maß bei Menschenrechten und Unterdrückung im Namen einer anderen Kultur oder Religion gutgeheißen. Bei Muslimen so wenig wie bei Christen. Auch da sind die radikalen Fundamentalisten ja längst ein Problem. In Amerika haben 80 Prozent der Evangelikalen Trump gewählt.
Wieso müssen wir uns 2019 noch immer darüber unterhalten, dass so viele Männer Frauen Gewalt antun?
Ganz einfach, weil Gewalt der Kern aller Machtverhältnisse ist. Das ist zwischen Völkern so, zwischen Ethnien oder Rassen – und eben auch zwischen den Geschlechtern. Die Männergewalt wird erst verschwinden, wenn wir vollständig gleichberechtigt sind. Und bis dahin ist es noch eine Strecke – vor allem mit den neuen Hürden, die sich da vor uns auftun.
Das Gespräch führte Manuela Swoboda. Es erschien am 27.1.2019 in der "Kleinen Zeitung" Graz.