Über Alice

Streeruwitz über Schwarzer

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Lassen Sie uns doch einmal feststellen, von welchem Punkt aus wir auf die Leistung Alice Schwarzers blicken. Wie sieht dieses Jetzt aus. Was ist erreicht. Wie groß ist der Abstand zum Beginn.

Um dieses Jetzt zu beschreiben, standen mir zwei putzige Alltagserzählungen zu Verfügung. Zuerst einmal ist da die Geschichte einer Freundin, die als Direktorin von Kunstmuseen Karriere machte. Ihr Liebhaber, Vorstandsvorsitzender und Boss von 200.000 Angestellten weltweit bringt ihr aus New York als Mitbringsel den Kunstband ,Highlights of the MOMA’ mit. Er ist sehr erstaunt. Überrascht, dass dieses Geschenk zurückgewiesen wird. Die zweite Möglichkeit ein Jetzt zu untersuchen, ist immer das Studium der Bild-Zeitung. Anders als in der hiesigen Kronen-Zeitung, in der eine einzige verfestigte Herausgeber-Meinung über die Redaktion verteilt kommuniziert wird und damit die kirchliche Informationspolitik der Vermittlung der einen Wahrheit über die Predigt nachstellt. Also Verkündigung ist. Anders also als die Kronen-Zeitung ist die Bild-Zeitung bemüht, ihre Leser zu spiegeln. Die Leser werden so durch Bestätigung ihrer Wahrnehmungen an das Blatt gebunden und nicht durch Bestätigung ihres Glaubens.

Diese Bestätigung sah nun für den vergangenen Samstag so aus. Helmut Kohl hat ein neues Glück. Eine 41-jährige, schöne, kluge und erfolgreiche Volkswirtin ist die Frau an der Seite des Einheitskanzlers, wenn er seinen 75. Geburtstag feiert. Großes Bild des Kanzlers. Gleich daneben werden Papstmünzen zum Kauf angeboten. Winzig darunter ein Bild der englischen Königin. Sie feiert ihren 79. Geburtstag. Winzige Bilder von Schumi, Kardinal Lehmann und fünf anderen Männern aus Film, Funk und Fernsehen. Die blonde Bild-Zeitungsnackte liegt unten. Quer. Sie heißt Annette. Sie tröstet ihren Partner. Der hat keine Karten für die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland bekommen. Zu seinem Trost ist sie nur mit Diamantuhr und Diamantring bekleidet. Ein männertröstender Anblick eben. Gleich daneben ist das Bild von Margot Käßmann. Mit wieder einem winzigen Porträt wird sie als Gewinnerin bezeichnet, weil sie sich ein Beispiel am verstorbenen Papst nehmen will. Sie wird evangelische Pastoren medientauglich machen. Sie will von der ungeheuren Medientauglichkeit des verstorbenen Papstes profitieren.

Das Gesamtbild ist eindeutig. Der korrekt bekleidete, mild lächelnde Einheitskanzler über der entkleideten schmollmundigen brillantgeschmückten Annette ohne Familiennamen. Acht Männergesichter, die über ihre Tätigkeit in Sport und Medien auf die Titelseite geraten sind. Und zwei Frauen. Eine Bischöfin und eine Königin. Wir könnten diskutieren, ob wir die englische Königin zu den Personen rechnen mögen, die aufgrund einer Leistung abgebildet werden. Oder ob es sich bei ihr doch mehr um die Bedeutung ihres Körpers dreht, durch den ja die feudale Nachfolge hergestellt wird. Bleibt dann die Bischöfin, die in der Beschreibung der Bild-Zeitung als Papstnachahmerin gelobt wird. Aber immerhin. Eine Bischöfin. Eine bekleidete, erfolgreich berufstätige Frau. Eine Frau, die sich in der zentralsten Männerdomäne Religion durchgesetzt hat.

Dass das so ist. Dass das so sein kann. Was bedeutet das. Und. Waren wir nicht schon weiter. Waren wir nicht schon an einem Punkt, an dem das mit den Rollen weniger selbstverständlich schematisch zuging. Gut. Die Bischöfin hätte es vor 30 Jahren nicht geben können. Aber. Dass wir schon weiter waren und das auch ganz genau wissen. Und. Dass wir diesen Text der Titelseite so selbstverständlich kritisch entschlüsseln können. Daran hat Alice Schwarzer mitgewirkt. Mitgeschaffen. Mit hergestellt. Mit ihrem Einsatz in der Frauenbewegung. Auf zwei Ebenen hat dieser Einsatz stattgefunden. Von Anfang an. Auf der Ebene der persönlichen Erfahrung der Person Alice Schwarzer. Und in der Bündelung und Umsetzung der Erkenntnisse aus dieser gelebten Erfahrung in präzise und ihre Absicht nie verschleiernde Texte. In der Vermittlung dieser Texte war dann niemand kreativer und wirkungsbewusster als sie. Neben der Verschriftlichung hat Alice Schwarzer in genialer Weise alle anderen Medien zu nutzen gewusst. Von der Schaffung eines eigenen Mediums in EMMA bis zur Nutzung aller Medienmöglichkeiten geht hier die Entwicklung. Nur durch den Einsatz von sich selbst als Vermittlerin des Textes ist es ihr gelungen, Begriffsräume wie Frauenbewegung und Feminismus sichtbar zu machen und die Umstände der Auseinandersetzung um diese Begriffe in der Beschreibung beschreibbar zu machen.

Alice Schwarzer ist natürlich nicht die einzige Feministin. Aber sie ist die, die Feminismus verkörpert. Und ich möchte mich dafür bedanken. Wir haben mit den Begriffen EMMA und Alice Schwarzer Symbolchiffren, die die riesigen Bedeutungsräume Emanzipation und Gleichberechtigung fassbar und anwendbar gemacht haben. Dass im entlegendsten Ort die desinteressierteste junge Frau weiß, dass sie Rechte hat. Das ist diesen Namen zu verdanken. Ein Verdienst, das auf Widerspruch stößt. Das auf Widerspruch stoßen musste. 'Highlights of the MOMA' als Geschenk an eine Kunsthistorikerin mit besonderem Schwerpunkt Moderne und Postmoderne. Und die Titelseite der Bild-Zeitung. Das sind die Formen, wie der Widerspruch dagegen gesprochen wird. Wie in den Texten des Alltags Hegemonialität weitergeredet wird. Und wie sich Hegemonialität in diesem Widerspruch immer neu herstellt.

Gegenrede gegen diese strukturelle Hegemonialität ist ein schwieriges und selbst nun widersprüchliches Unternehmen, das zu seinem Gelingen Eindeutigkeiten sogar vermeiden muss. Aber gerade darin dann die so erfolgreiche Karriere Alice Schwarzers in den Äußerungsformen. Wenn es eine Talkshow sein muss, um die Vorstellung vom „guten Leben“ für Frauen zu vermitteln, dann hat sie eben das Talkshow-Format benutzt.

Ich dächte ja, dass auch ein Preis für die von ihr moderierte Talkshow beim hessischen Fernsehen fällig wäre. Und es war wieder einer der krasseren Eingriffe hegemonialen Verhaltens, diese Show einzustellen. Wobei das natürlich der Logik des Hegemonialen entspricht, dem Widerspruch, dem Einspruch die Sprechmöglichkeit zu entziehen. Schweigen herzustellen.
Gegen Schweigen und dagegen, dass dieses Schweigen weiblich ist. Dagegen hat Alice Schwarzer ihre Texte und deren Vermittlung gesetzt. Sie hat sich eigene Sprechmöglichkeiten verschafft. Eine Eroberung ist das, die in der Eroberung das zu Erobernde erst schaffen musste. Es gab ja keinen Bereich 'Frauenbewegungsfrau' als medientechnische Zielgruppe. So wie etwa Modeinteressierte. Oder Autointeressierte. Oder Philatelieinteressierte.

Die 2. Frauenbewegung begann ja wiederum fast geschichtslos und musste in Erfindung von sich selbst die Beschreibung von sich selbst erst herstellen. Aus den Argumenten und dem Entdecken einer eigenen Geschichte musste jede für sich und alle gemeinsam Selbstfindung betreiben. Ein schmerzhafter und verunsichernder Prozess. Keine Rezepte. Keine Baupläne. Oder zu viele. Immer die eigene, gelebte Erfahrung und die Inkongruenzen dazu und die, jeder Frau internalisierte Feindschaft gegen sich selbst.

Während die Hegemonialität aus dem Vorgang des je sich neu Entdeckens und in dieser Entdeckung sich zu rekonstruieren im Bewusstsein der eigenen Geschichte und der Macht aus diesem Wissen immer eine Verstärkung beziehen kann, war die Frauenbewegung in ihrer Geschichtslosigkeit und Angegriffenheit jeder neuen und veränderten Konstellation gegenüber zunächst einmal in Fragen gestürzt.

Alice Schwarzer hat die Fragen gestellt. An sich selbst. Nach innen. Nach außen. An die Macht. Immer. Und immer klar. Immer hat Alice Schwarzer klar beschrieben, von wo aus sie diese Fragen stellt. Sie hat immer ein Autor-Ich bekanntgegeben. In ihren Texten fungiert dieses Ich als Wahrnehmungszentrum, das als solches immer erkennbar bleibt. Das sich nicht hinter Objektivierung versteckt. Ein solches, personales Wahrnehmungszentrum ist die formale Erfüllung der inhaltlichen Forderungen der Texte von Alice Schwarzer.

Diese Inhalt/Form-Übereinstimmung ist nicht selbstverständlich. Die Emanzipation des bürgerlichen Mannes im 18. Jahrhunderts wurde vielfach in Texten beschworen, die einen Wahrheitsanspruch an sich stellen und begrenzungslos Allwissen und Allmächtigkeit behaupten. Diese Ansprüche sind demfolgend weiter eingeschrieben. Sie finden dann Ausdruck in ,Highlights of the MOMA’ und ,Wer ist die Frau an der Seite des Einheitskanzlers’. Denn. Der wunderbarste Ermächtigung anpreisende Text wird nicht zu Ermächtigung führen können, wenn der Text nicht über seine Form diese Ermächtigung selbst zulässt.

Es ist eine zutiefst politische Handlung, wenn Alice Schwarzer ihre Texte von diesem deutlichen Ich aus schreibt. Und. Es ist politisch, dass sie alle anderen Stimmen zu Gehör bringt. Ja. Sie berichtet sogar die Situation, aus der der Dialog ihres Text-Ichs mit einer anderen Person zu hören sein wird. Sie beschreibt die Räume, in denen sie hört und sieht und gibt damit alle Angaben, ihre Texte als hörende und sehende Person nun selber zu entschlüsseln.

Diese Freigabe des Blicks auf die Entstehungsbedingungen eines Textes werden oft als eine Art Einfallschneise für Projektionen missgestimmter Leser und Leserinnen angesehen. Dieses Schreiben, das ein demokratisches und teilnehmendes Lesen erst ermöglicht. Dieses Schreiben löst Aggressionen und Zerstörungswut aus. Manchmal. Weil das Korsett patriarchaler Eineignung als Stützung nicht geliefert wird. Und diese Aggression und Zerstörungswut muss dann von der hinter dem Autor-Ich existierende Person ertragen werden. Es ist also eine hochherzige Konsequenz von Alice Schwarzer nach hämischen Biografien und zahllosen Schwarzer-Witzen nicht von dieser Autor-Ich-Beteiligung des Lesers und der Leserin abzugehen. Und natürlich ist es ein Missverständnis, ihren Großvater der frühen Kindheit als autobiografische Realität aufzufassen. Die Autorin legt in den Beschreibungen ihrer Erfahrungen eine personalisierte Partitur vor, die Vorlage für das Lesen des eigenen Lebens werden könnte. In der Verschränktheit und den Zwängen unserer vieldeutigen Biografien benötigen wir die Vieldeutigkeit der gelebten Erfahrung, um unsere eigene Erfahrung für uns greifbar zu machen. Frau-Sein ist eben nicht in einer eindeutigen Essenz destillierbar und in einer Formel zu beschreiben. Wie die Vermittlung von gefasster Vieldeutigkeit und von formaler Mehrstimmigkeit einen Text herstellt, der weibliche Welt beschreiben kann, das möchte ich an einem Beispiel vorführen.

Zitat aus dem Buch "Romy Schneider. Mythos und Leben" von Alice Schwarzer: „Ich traf sie, zusammen mit ihrer Freundin Christiane, im Restaurant – und war überrascht, wie klein und zierlich sie war. Und, in der Tat, auf den ersten Blick eigentlich unauffällig. Aber an diesem Abend nach den Dreharbeiten zum 'Gruppenbild mit Dame' war sie sprühend vor Energie und Witz. Sie trug ihr Haar halblang mit Mittelscheitel und dazu ein schlichtes Kleid und eine gesmokte Strickjacke, wie unsere Mütter sie in den 40ern anhatten. Ins Bett gehen wollte Romy auch an diesem Abend nicht. Noch nachts um eins beschwatzte sie mich, weiterzureden, und kam – nicht ohne im Restaurant zwei, drei Flaschen Champagner zu greifen – mit zu mir nach Hause. Es wurde eine lange Nacht. Und ich begann zu ahnen, dass Romys lange Nächte viel mit ihrer Angst vor Einsamkeit zu tun haben.

Jetzt sitzen wir also in Köln, in dieser von ihr so gefürchteten, weil mit drückenden Erinnerungen belasteten Stadt. – Das war mir ehrlich gesagt damals noch nicht so klar, ich hätte ihre flatternde Verzweiflung an diesem Tag sonst noch besser verstanden. Sie trägt ihre Haare wie beim letzten Mal in Berlin, diesmal aber ein langes, weites Folklorekleid, wie es gerade Mode ist, allerdings in einer sehr edlen Pariser Ausgabe.

Romy ist angereist, um Heinrich Böll zu besuchen. Sie war in dem Glauben, es sei ihm eigentlich nicht recht, dass sie die Leni spielt, diese Deutsche, die sich in der Nazizeit in einen russischen Kriegsgefangenen verliebt. Das Gerücht, Böll hätte für die Rolle Angela Winkler vorgezogen, hatte Romy sehr verletzt. Gleichzeitig planten wir für diesen Tag das EMMA- Interview.

Kurz vorher rief sie mich an. 'Gehst du mit zu Böll? Allein trau’ ich mich nicht.' Ich hole sie im Hotel ab, wir machen uns auf den Weg, ich neben einer nervösen, eingeschüchterten Romy, die tief überzeugt scheint von der unerreichbaren intellektuellen und moralischen Überlegenheit eines deutschen Dichters und Nobelpreisträgers. Böll, der kritische Nachkriegsautor und 'gute Mensch von Köln', wurde in diesem sogenannten 'deutschen Herbst' besonders heftig angegriffen: als angeblicher 'Sympathisant' der RAF-Terroristen war er in das Fadenkreuz des Bundeskriminalamtes und der Springer-Presse geraten. Was einfach war in dieser Zeit der hysterischen 'Terroristen'-Hatz und der inneren Aufrüstung des deutschen Vaterlandes gegen seine Söhne und Töchter, von denen doch nur eine Handvoll die Verhältnisse mit Waffengewalt ändern wollte.“

Wir werden auf die Suche nach dem Glück als Erfüllung in unsere Leben geschickt und sind sehr schlecht ausgerüstet. Ohne Geschichte. Ohne das Wissen eines Woher ist das Wohin nur sehr schwer zu finden. Und ohne das Wissen um das eigene Gewordensein gibt es keine Würde. Die Welt würde uns gerne in orientierungssuchender Isolation halten. Hilflos. Allein. Das war schon alle diese 50.000 Jahre bisher so. Und wie bisher war es nur mit höchster Anstrengung möglich, sich der Verführung in alle Formen der Versorgtheit zu entziehen. Und da musste immer schon das Versprechen von Versorgung ausreichen. In der Mühsal des täglichen Kampfes gegen diesen Sog brauchen wir Versicherungen. Wir brauchen keine Anleitungen. Denen soll ja entkommen werden. Aber wir benötigen Beispiele. Fallbeispiele diese Entkommens. Geschichten des Gelingens. Wir brauchen Parallelen zu unseren Lebensläufen. Komplexe Erzählungen müssen das sein. Erzählungen, die uns nicht wieder bevormunden. Erzählungen, die den Vergleich ermöglichen. Die den Vergleich herausfordern. Wir bedürfen der Versicherung nicht allein zu sein. In dieser Auseinandersetzung. In diesem Ringen. Und gleichzeitig dürfen wieder keine Vorbilder Nachahmung abfordern. Vorbilder, die sich dann doch wieder beengend formend über eine legen.

Alice Schwarzer geht mit jedem ihrer Texte – und ihrer Auftritte – einen solchen Versicherungsvertrag mit uns ein. Schon in 'Der kleine Unterschied und seine großen Folgen' 1975 sind es die vielen verschiedenen Geschichten der vielen verschiedenen Frauen, von denen sie ausgeht und von denen aus die Schlüsse gezogen werden. Immer nachvollziehbar. Nie sich in der kalten Logik universalistischer Ansprüche erzwingend. In 'Der große Unterschied. Gegen die Spaltung der Menschen in Männer und Frauen' 25 Jahre später stellt Alice Schwarzer ihren Traum von der Erlösung vom Geschlechterkampf in sechs Traumepisoden an den Anfang. In diesen Fantasien ist Geschlechtertheorie zu Erzählungen umgeschrieben. Die Autorin geht von den realen Folgen ihrer Überlegungen aus. Eine Vorgangsweise, die von Beauvoir gelernt werden konnte. Sie geht bei diesem Verfahren von einer Verdachtsrealität aus und nicht, wie das in der Wissenschaft üblich wäre, von einer Verdachtsthese. Die Wirklichkeit wird nicht der Theorie zugeschrieben. Die Wirklichkeit ist das Terrain der Überprüfung. Was ist wirklich. Was ist Schein. Eine solche Erzählweise ermöglicht Einsicht. Verständnis. Und Verstehen.

Und wenn die sogenannte und von den Medien konstruierte versorgte Hausfrau das auch verstehen kann. Umso besser. Eine solche Kritik lässt ja doch nur einerseits auf Vorurteile der Kritisierenden schließen. Andererseits ist eine solche Kritik auch der Nachweis, dass die Kritiker den Text auch verstehen können. Das ist beruhigend. Dass es keine Tugend sein sollte, wenn Texte klar und einsehbar im Argument, diese Klarheit in der Sprache unterstützen, das ist ja ohnehin unbegreiflich. Das ist wieder nur einer der mehr oder weniger maskierten Einsprüche der Hegemonialität, die sich immer im Besitz der Sprache wähnt.

Fallgeschichten. Biografische Skizzen. Literarisch kriminalistische Untersuchung. Die Bücher von Alice Schwarzer beginnen in der Realität. Sie fassen Leben in Sprache und verfassen die Fragen, die diese Realität aufwirft. Ob Marion Gräfin Dönhoff, Romy Schneider, Petra Kelly und Gert Bastian. Simone de Beauvoir oder Gerda Lerner. Irmtraud Morgner oder Margarete Mitscherlich. Die politischen Frage, die an alle diese Leben gestellt werden. Forschend und genau. Die Frage, wie die Würde ins Spiel kommt. Kommen kann. Und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Das ist philosophisches Schreiben. Das ist moralisches Schreiben. Das ist eine Aufzeichnung von Frauengeschichte. Darin Politik. Und. Das ist so leicht zu lesen, weil es so gut geschrieben ist.

Kehren wir zu den Ausgangsgeschichten zurück. 'Highlight of the MOMA' und die Bild-Zeitung als zeitgeschichtliches Dokument. Wir waren weiter. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass wir eine kurze Zeit Ende der 80er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre mit einer winzigen Selbstverständlichkeit der Frauenrechte rechnen konnten. Das ist im Wirbel der Geschichte seit damals untergegangen. Die Bedrohung jedes und jeder einzelnen in der Investoren-Gesellschaft hat sich vor das Motiv der Emanzipation geschoben. Ein Bedrohungsszenario von sozialem Kampf will nun von einer ganz anderen politischen Seite her die Frauenfrage zu einem altmodischen, weil irgendwie erledigten Nebenwiderspruch abqualifizieren.

Emanzipation ist ein Prozess. Jeden Tag muss je neu der Abstand zu den Prägungen und Versuchungen neu gesucht werden. Das ist mühevoll. Ermüdend. Und schmerzlich. Dieses immer wieder neu anfangen müssen, das sich in der Geschichte der Emanzipationen in größeren Bögen ebenso wiederholt. Das lässt einer manchmal das Unternehmen sinnlos erscheinen. Und wenn dann wieder die 'Highlights of the MOMA' hergeschenkt werden und die 75-jährigen Männer mit den 41-jährigen Frauen zumindest medial verkuppelt werden. Dann kann sich einer schon ein Achselzucken aufdrängen. Und erfolgreich ist im Spiel mit der Macht nur die, die überlebt hat. Und überleben ist auch Schwerarbeit. Deshalb alle Preise an Alice Schwarzer. Sie führt vor, wie dieses Überleben in Wirkmächtigkeit verwandelt werden kann. In ihrer Person und in ihren Büchern. Vielen Dank und Gratulation.

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