Alice Schwarzer in anderen Medien

In der Sonntagsbeilage

Foto: Henning Kaiser/dpa
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RND Frau Schwarzer, alle Welt redet mit Ihnen, der bekanntesten Feministin Deutschlands, über Frauen. Wollen wir einmal über Männer reden, zumindest zu Beginn unseres Gesprächs?
Alice Schwarzer Mit Vergnügen.

Gibt es einen Mann in Ihrem Leben, der für Sie prägend war, einen Lehrer oder Journalistenkollegen, der mit seiner Art zu denken und zu handeln möglicherweise sogar eine Art Vorbild für Ihre Arbeit war?
Zwei Männer waren für mich prägend: mein Großvater und Heinrich Heine.

Was hat sie ausgemacht, dass sie für Sie wichtig waren?
Mein Großvater war meine soziale Mutter. Ein junger Großvater, der mich in den Wirren der Nachkriegszeit gewickelt und gefüttert hat. Meine Mutter war weg, und meine Großmutter interessierte sich erst für mich, als sie mit mir reden konnte. Von meinem Großvater habe ich gelernt, dass auch Männer fürsorglich, ja, mütterlich sein können. Heinrich Heine ist Rheinländer und hat zwischen Deutschland und Frankreich gelebt, so wie ich. Ihn liebe ich nicht nur für seine tieffühlende, ironische Poesie, sondern auch als Journalisten. Da ist er mir bis heute Vorbild.

Ihrem Großvater, Ernst Schwarzer, haben Sie den ersten Teil Ihrer Autobiografie, “Lebenslauf” gewidmet. In diesen Tagen erscheint der zweite Teil Ihrer Biografie, “Lebenswerk”, in dem Sie auch Schlüsseltexte veröffentlichen. Dieses Buch widmen Sie Ihrer Großmutter, Margarete Schwarzer. Warum?
Weil ich von ihr den politischen Verstand gelernt habe, sowie auch mitfühlend und mutig zu sein. Sie hat die Nazis gehasst, ist am Morgen nach der sogenannten Kristallnacht in alle als “jüdisch” gebrandmarkten Geschäfte einkaufen gegangen – durch das Spalier der SA und verhetzten Menge. Dabei war sie eigentlich schüchtern und noch nicht mal 1,50 Meter groß. Und sie hat so manchen Zwangsarbeiter durchgefüttert. Schon in den Fünfzigerjahren hat sie Leserbriefe an den “Generalanzeiger” geschrieben und vor Pflanzengiften gewarnt. Und Tierrechtlerin war sie sowieso. Sie war gerecht mit der ganzen Welt, nur ihre Familie, vor allem ihren Mann, hat sie frustriert tyrannisiert. Sie war eben nicht als Hausfrau geboren, sondern hätte raus gemusst in die Welt.

Sie sind manchmal auch mit einer gehörigen Portion schwarzem Humor und Sarkasmus mit Männern ins Gericht gegangen. In der “Emma” – so kann man es jedenfalls in “Lebenswerk” lesen – haben Sie als Replik auf die in den Neunzigerjahren grassierenden Blondinenwitze Männerwitze veröffentlicht. Können Sie einen erzählen, der auch heute noch druckreif ist?
Ich erzähle mal den Lieblingswitz der Leserinnen: Was macht eine Frau, deren Mann sich beim Kartoffelholen auf der Kellertreppe den Hals bricht? Sie kocht Nudeln.

Richtig Spaß gemacht hat Ihnen und Ihren Kolleginnen bei “Emma” offenbar auch das sogenannte Pimmelcover der Januarausgabe 1984: 20 Penisse – 19 aus Fleisch und Blut und einer aus Marmor auf der Rückseite des Heftes. Was war da los?
Das war, ganz wie die Männerwitze, eine Parodie. Die Reaktion auf ein Busencover des “Stern” mit 20 Busen und der scheinheiligen Zeile: “Frauen sprechen über ihre Brüste”. Das hat damals hohe Wellen geschlagen. Auch die Kollegen haben sich kaputtgelacht.

Was glauben Sie, wie wären heute die Reaktionen auf eine so geartete journalistische Volte?
Schwer zu sagen. In Zeiten der “politischen Korrektheit” ist Satire ja nicht so angesagt.

Spaß beiseite: Ihnen ist – auch und gerade von Männern – jahrzehntelang eine kaum fassbare Aggression und Feindseligkeit entgegengeschlagen. Sie wurden als “Hexe mit dem stechenden Blick” verunglimpft, als “Schwanz-ab-Schwarzer” beschimpft, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wie hält man das aus?
Nun ja, meine Lebenserfahrungen waren so ganz anders. Und vor allem begriff ich schnell, dass man damit die anderen Frauen abschrecken wollte: Guckt mal, das machen wir mit so einer Feministin! Keine Frau lässt sich gerne als unbegehrt vorführen. Selbst mich hat es manchmal schlucken lassen.

Auch Ihrer Zeitschrift, der EMMA, schlug in der Anfangszeit offenbar so großer Hass entgegen, dass die gesamte Gründungsmannschaft – bis auf Sie – innerhalb eines Jahres kündigte. Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass es nicht immer einfach war, es zu schreiben, weil Sie sich an manche Phasen Ihres Lebens kaum erinnern wollten. War dies eine?
Ja, das war eine dieser Erfahrungen. Aber das ist so komplex, dass man es im Buch nachlesen muss, um es zu verstehen.

Vertrauen Sie Menschen noch?
Erstaunlicherweise ja. Ehrlich gesagt, bin ich in Wahrheit naiv.

Sie schreiben, es half Ihnen, dass Sie früh gelernt hatten, nicht auf traditionelle weibliche Attraktivität zu setzen. Was meinen Sie damit?
Ich bin ja bei diesen jungen Großeltern aufgewachsen, die eine partielle Rollenumkehrung hatten. Mich haben sie sehr frei aufgezogen. Ich wurde gelobt, wenn ich klug oder mutig war. Sie haben es einfach irgendwie versäumt, mich zum Mädchen zu dressieren. Von daher hat mein Selbstbewusstsein immer schon weniger auf meinem Aussehen beruht, selbst in meinen klassisch attraktiven Zeiten um die 20 oder 30 nicht, sondern vor allem auf meiner Persönlichkeit.

“Ich bin es gewohnt, nicht dazuzugehören”: Auch diese Kindheitserfahrung war Ihnen offenbar eine Hilfe gegen Diffamierungen. Warum?
Beide Großeltern kamen aus bürgerlichen Verhältnissen, aber haben nach dem Krieg nicht mehr richtig Tritt gefasst. Dazu trug bei, dass sie Anti-Nazis waren, das war auch nach 1945 in Deutschland nicht wirklich angesagt. Wir lebten in diesem Häuschen am Waldrand und waren, auch dank meiner unangepassten Großmutter, irgendwie randständig, wir gehörten nicht richtig dazu. Und ich, das Kind, hatte die Rolle der Vermittlerin: zwischen unserem Trio und der Welt. Diese Rolle habe ich irgendwie beibehalten: das Pendeln zwischen dem Rand und der Mitte.

Viele Kolleginnen von Ihnen, Journalistinnen wie Dunja Halali oder Anja Reschke, haben dem Frauenhass, der ihnen entgegenschlägt, öffentlich den Kampf angesagt. Hat dieser Hass im Netz für Sie eine neue Qualität?
Ja. Aber ich ignoriere es. Zumindest, was mich persönlich betrifft. Den allgemeinen Frauenhass im Netz bekämpfen wir mit “Emma” seit Jahrzehnten. Wir sind immer wieder erstaunt, dass zwar dem Rassismus und Antisemitismus der Kampf angesagt wird, Frauenhass und die Gewaltpornografie aber kein Thema sind.

Sie hatten offenbar zwischen 1991 und 2020 immer wieder Kontakt zu Angela Merkel. Wie haben Sie sich kennengelernt? Haben Sie je darüber geredet, warum sich Merkel als Bundeskanzlerin so wenig offensiv für Frauenrechte einsetzte? Man vergisst es heutzutage ja fast, aber Angela Merkel war – als “Kohls Mädchen” – von 1991 bis 1994 sogar Frauenministerin.
Wir waren 1991 erstmals zusammen essen, beim Italiener am Rhein. Da war Merkel Frauenministerin und kriegte als “Kohls Mädchen” in den Medien die volle Breitseite ab. Grund: Sie wollte ein Antidiskriminierungsgesetz einführen, das unter anderem die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sanktioniert hätte. Schon damals! Es war die Häme, die mich hellhörig machte. Habe ich gedacht, dass ich gerade die zukünftige Kanzlerin getroffen hatte? Nein. Aber sie hat mich mit ihrer Intelligenz, ihrem Humor und ihrer Integrität schon damals beeindruckt. Seither haben wir Kontakt gehalten, über alle Hochs und Tiefs hinweg. Ich erzähle diese zum Teil sehr komischen Begegnungen zwischen 1991 und 2020 in einem eigenen Kapitel im “Lebenswerk”.

Auch Angela Merkel wurde von männlichen Politikern zum Teil unverhältnismäßig heftig angegriffen. Unvergessen ist der Auftritt Gerhard Schröders, der ihr nach gewonnener Wahl 2005 in der sogenannten Elefantenrunde die Möglichkeit zur Kanzlerschaft absprach. Haben Sie beide je darüber gesprochen?
Ja, wir haben mehrfach telefoniert. Das war wirklich eine dunkle Stunde für eine Demokratie. Der Verlierer sagte der Siegerin ins Gesicht: Die kann das nicht! Ich regiere weiter. Alles nur, weil der Sieger eine Frau war. Erst ab dem Zeitpunkt habe ich mich pro Merkel in die politische Debatte eingemischt, bis dahin hatte “Emma” eher kritisch über sie berichtet. Aber als die gewählte Kandidatin gehindert werden sollte, Kanzlerin zu werden, da reichte es mir. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung habe ich einen Kommentar über die Sendung geschrieben, mit dem Titel “Ein Mann sieht Rot” und Schröder mit einem Gattenmörder verglichen. Doch es gibt einen Unterschied, schrieb ich: Der Ehemann vernichtet seine Frau, weil sie geht – Schröder vernichtet die Konkurrentin, weil sie kommt. In den darauffolgenden Wochen wurde dann allen Ernstes von allen, nicht nur von der Opposition, auch von Merkels eigener Partei, diskutiert, ob Merkel wirklich Kanzlerin werden könne. Das fand ich halluzinierend. Und auch das Ausland war fassungslos. Die Korrespondenten von Le Monde bis Times gaben sich bei mir in der Redaktion die Klinke in die Hand und fragten mich, die Feministin: Darf in Deutschland eine Frau nicht Kanzlerin werden?

Schmerzhafter noch als die Angriffe von Männern haben Sie solche von anderen Frauen, Frauenrechtlerinnen, Feministinnen empfunden: Streitigkeiten unter “Schwestern”. Können Sie ein Beispiel für so eine besonders schmerzliche weibliche Replik nennen? Es sei eine uralte Strategie: Frauen spalten, schreiben Sie. Warum ist das so?
Nun, dass manche Männer die ihnen lieb gewordenen Privilegien gegen den Feminismus verteidigen, verstehe ich. Bei Frauen aber hat die Distanzierung vom Feminismus tragische Züge. Sie wollen sich so bei den Männern anbiedern – aber letztendlich schlägt es gegen sie selbst zurück. Es ist schon lange ein beliebter Männertrick, Frauen auf Feministinnen zu hetzen.

Möglicherweise könnte man es auch als eine Art Schwesternstreit sehen, dass Sie zu vielen Feministinnen der jüngeren Generation ein gespanntes Verhältnis haben. Margarete Stokowski, die mit “Untenrum frei” einen Bestseller schrieb, Teresa Bücker, die lange das feministische Onlinemagazin “Edition F” leitete, oder Meredith Haaf, die “Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht” schrieb – nur eine Einzige, nämlich Stokowski erwähnen Sie in Ihrem Buch – und diese extrem kritisch. Warum?
Ich erwähne Stokowski kritisch, weil sie landauf, landab schreibt, EMMA sei “rassistisch”. Das ist schon ein sehr starker Tobak. Doch ich halte die Differenzen von mir und EMMA mit den von Ihnen genannten Frauen nicht für eine Generationenfrage. Uns trennen zen­trale politische Positionen: Sie sind pro Prostitution und pro Kopftuch. EMMA aber findet das mafiöse System Prostitution menschenunwürdig und hält Prostitution für den dunklen Kern des Machtverhältnisses der Geschlechter. Und über die Kopftuchideologie, nach der die Trägerinnen ihr “sündiges” Haar und ihre “sündigen” Körper verdecken, um die Männer nicht zu reizen, jubeln wir auch nicht gerade.

Wo könnten Brücken zwischen Ihnen und der neuen Generation der Feministinnen sein?
Das ist nicht nötig. Wir sind am selben Ufer. EMMA hat laut Leserinnenanalyse die jüngsten Leserinnen aller Frauenzeitschriften. Jede Dritte ist unter 30. Und meine “Emma”-Kolleginnen sind zwischen 21 und 59. Für uns sind die Generationen kein Problem.

Sie haben Ihr Buch “Lebenswerk” überschrieben: In welchem Bereich ist die Gleichberechtigung der Frau aus Ihrer Sicht am Weitesten vorangekommen?
Beim Schritt in die Welt. Die steht Frauen heute offen. Theoretisch. Aber es gibt neue Hindernisse: der Schlankheits- und Schönheitswahn zum Beispiel, die immer härter werdende Pornografie. Die Schlacht um die Gleichberechtigung wird mal wieder auf dem Körper der Frauen ausgetragen.

Wo, glauben Sie, liegt Ihr größter Verdienst an diesem Fortschritt?
Dass ich anderen Frauen Mut gemacht habe! Und noch immer mache.

Sie haben sehr lange verschwiegen, dass Sie Frauen lieben. Erst 2011, im ersten Teil Ihrer Biografie, sprechen Sie darüber. Und erst jetzt, in “Lebenswerk”, nennen Sie erstmals den Namen der Frau, mit der Sie seit mehr als 30 Jahren eine Beziehung haben, Bettina Flitner. Haben Sie sich nie gewünscht, öffentlich mit Ihrer Frau an Ihrer Seite aufzutreten – wie es etwa der FDP-Politiker Guido Westerwelle mit seinem Partner in seiner Zeit als Außenminister mit großer Selbstverständlichkeit tat?
Ich thematisiere allgemein nicht mein Privatleben. Denn ich finde, dass ich als seit fast einem halben Jahrhundert öffentliche Person ein Recht auf Privatleben habe. Ich habe darum ja auch nicht darüber gesprochen, dass ich Männer liebe. Da ich aber mit meiner heutigen Lebenspartnerin, der Fotografin Bettina Flitner, nun seit über 30 Jahren zusammen bin, fand ich: Es ist an der Zeit, es zu sagen. Wir waren übrigens von Anbeginn an ein offenes Paar – nur kein öffentliches.

Sie sind mittlerweile 77 Jahre alt. Wer könnte Ihre Nachfolgerin sein?
Es ist wirklich nett, dass sich so viele den Kopf darüber zerbrechen, wer meine Nachfolgerin sein könnte. Dabei habe ich doch das Alter des aktuellen Präsidentschaftskandidaten von Amerika, der hoffentlich eine Zukunft hat. Und ich bin ja auch keine Beamtin, die in Ruhestand gehen muss. Übrigens: Nachfolgerin auf welchem Platz? Der der Chefredakteurin von “Emma”, deren Verlegerin ich bin? Wir werden sehen. Eine Nachfolgerin für die öffentliche Person von Alice Schwarzer aber kann es nicht geben. Ich bin ich.

Das Gespräch führte Jutta Rinas für das Redaktions-Netzwerk Deutschland (RND).

 

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