Ukraine-Krieg: Endlich Frieden!
Seit drei Jahren steht die Ukraine unter Beschuss. Tausende Menschen haben ihr Leben verloren. Millionen Menschen mussten flüchten. Der russische Angriffskrieg schien festgefahren, jetzt aber überschlagen sich die Ereignisse. Erst telefonierte der amerikanische Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dann trafen sich die Außenminister beider Länder in Riad, um die Weichen für Friedensverhandlungen zu stellen. Wird der Ukrainekrieg in naher Zukunft enden, oder bricht nach dem vermeintlichen Frieden ein erneuter Krieg in Europa aus? Alice Schwarzer, Publizistin, Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin, ist davon überzeugt, dass „Russland kein Interesse hat, von einem Krieg in Europa zu träumen“, wie sie im Interview mit der Berliner Zeitung erzählt. Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn forderte Schwarzer Friedensverhandlungen. Vor wenigen Tagen jährte sich die Veröffentlichung des „Manifests für Frieden“, das sie gemeinsam mit Sahra Wagenknecht veröffentlichte. Seitdem ist es stiller geworden um die Autorin. Hält sie noch heute, zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Manifests, an ihren Forderungen fest oder hat sie ihre Meinung geändert? Könnte sie sich vorstellen, ihre journalistische gegen eine politische Karriere zu tauschen? Und wie erklärt sie sich den Umfrageeinbruch des BSW, der Partei ihrer Friedensmitstreiterin Wagenknecht?
Frau Schwarzer, vor ziemlich genau zwei Jahren veröffentlichten Sie gemeinsam mit Sahra Wagenknecht das „Manifest für Frieden“. Obwohl Sie viele Unterstützer hatten, hat sich an der Kriegssituation in der Ukraine bis heute nichts geändert. Wieso ist das Manifest trotz einer enormen Mobilisierung erfolglos geblieben?
Das ist auch in den heutigen Demokratien leider keine Frage des Bürger:innenwillens, sondern eine reine Machtfrage. Und da die Mehrheit der Medien weiterhin verschweigt, dass die Hälfte der deutschen Bevölkerung für Friedensverhandlungen und gegen weitere Waffenlieferungen ist, die Aktienkurse der Waffenindustrie steigen und auch die Politik den Willen der Bürgerinnen und Bürger ignoriert, konnte man sich weiterhin dumm stellen. Stellen Sie sich das mal vor: Das „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und mir ist seither von 936.255 Menschen unterzeichnet worden. Eine knappe Million! Und der Kanzler hat es noch nicht einmal nötig, zu reagieren.
Haben Sie jemals an Ihren Forderungen – ein sofortiger Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine und Friedensverhandlungen mit Russland – gezweifelt?
Nein! Und die aktuelle Entwicklung bestätigt mich ja. Frieden ist möglich. Man muss ihn nur wollen. Wie kann es sein, dass erst über eine Million Menschen sterben müssen, die Ukraine verwüstet wird und ganz Europa erschüttert, bis eine Friedensinitiative ergriffen wird? Und dann noch nicht einmal von den Opfern auf allen Seiten, sondern vom fernen Amerika, das ja zuvor zur Fortsetzung des von Russland begonnenen Krieges durchaus beigetragen hatte.
Seit der amerikanische Präsident Donald Trump seine zweite Amtszeit angetreten hat, überschlagen sich die Ereignisse. Er fordert den „unverzüglichen“ Beginn von Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine. Wie könnte und sollte diese Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?
Das ist kein Wunschkonzert, sondern eine Machtfrage. So wie die Dinge stehen, werden die Krim und der Donbass unter russischem Einfluss bleiben, und die Ukraine zwar EU-, aber nicht Nato-Mitglied werden. Das heißt, die Ukraine muss bedeutend größere Konzessionen machen, als das gleich nach dem Angriff durch Russland der Fall gewesen wäre. Da lagen ja schon Friedenspläne vor, die von beiden Seiten akzeptiert waren. Aber der Westen hat die Ukraine tiefer in diesen Krieg gehetzt. Und Selenskyj hat sich nicht nur hetzen lassen, sondern hat selber auch noch eitel Öl ins Feuer gegossen. Dabei hätte ihm doch klar sein müssen, dass die kleine Ukraine die große Atommacht Russland einfach nicht besiegen kann.
Wie bewerten Sie die Tatsache, dass Donald Trump gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Ukraine-Deal ohne die direkte Beteiligung Europas aushandeln könnte?
Auch das ist eine Machtfrage. Europa – und allen voran die Führungsmächte Deutschland und Frankreich – hat sich bedauerlicherweise so naiv und verblendet verhalten, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind. Eine moralisierende Ideologisierung und der Mangel an Realitätssinn haben Europa regelrecht verblendet, haben uns nicht nur ökonomisch schwer geschwächt, sondern auch strategisch. Gerade Deutschland ist schon lange in einer zu starken Abhängigkeit von Amerika, ja einer regelrechten Hörigkeit. Kein Wunder, dass die Amerikaner uns nicht ernst nehmen. Der eine Präsident heizt den Krieg mit an, der nächste stoppt ihn. Und wir folgen.
Anfang der Woche warnte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, dass Russlands „imperiale Träume, ein stärkeres und größeres Russland zu schaffen“, nach einer möglichen Friedenslösung mit der Ukraine nicht ausgeträumt sind. Halten Sie es für möglich, dass Putin nach einem Friedensabkommen den nächsten Krieg vom Zaun brechen könnte?
Russland kann kein Interesse haben, von einem Krieg mit Europa zu träumen. Er träumt nach dem Verlust der Sowjetunion von sicheren Grenzen für Russland – und davon, dass die Nato nicht demnächst auf dem Roten Platz steht. Denn dass das Immer-näher-Rücken der Nato auf Russlands Grenzen ein entscheidender Faktor bei diesem Krieg war, dürfte doch inzwischen unstrittig sein.
Die Tage einer feministischen Außenpolitik in Deutschland, unter der Führung von Annalena Baerbock, sind gezählt. Glorreiche Zeiten, die Sie missen werden und die Deutschlands Ansehen in der internationalen Politik gestärkt haben?
Eine feministische Außenpolitik ist in allererster Linie eine Politik für Frieden. Denn in der Tat: Auch die Soldaten leiden, und wie, aber für die Frauen geht das Leid nach dem Krieg weiter: brutalisierte und bewaffnete Männer, traumatisierte Kinder – und die eigenen Wunden noch dazu. Nein, Frau Baerbock hat keine Sekunde lang eine feministische Außenpolitik gemacht, eigentlich überhaupt keine Außenpolitik, sondern das Gegenteil. Leider. Nun darf man gespannt sein, ob der beziehungsweise die Nachfolger:in es schafft, die Scherben zusammenzukehren.
Wenn Sie die nächste Außenministerin wären, wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen der syrische Machthaber den Handschlag verweigert?
Ich würde mich überhaupt nicht wundern. Der neue syrische Machthaber ist ein ausgewiesener Islamist und Muslimbruder. Auf Platz eins der Doktrin dieser Männer steht die Frauenverachtung. Das hat ja auch schon gut angefangen in Syrien: In der nächste Woche erscheinenden Emma veröffentlichen wir eine Chronik der ersten Monate von Ahmad al-Scharaas Machtausübung. Al-Scharaa hat seinen Feldzug übrigens unter anderem mit Drohnen aus der Ukraine gewonnen (gleichzeitig bittet die Ukraine uns um Drohnen zu ihrer Verteidigung). Ich sehe da fatale Parallelen zum Iran. So hat es auch da 1979 angefangen; wir wissen, wie es weitergegangen ist.
Und ich sehe die Fortsetzung der amerikanischen Politik des „grünen Gürtels“ – das heißt der Unterstützung der Islamisten im Süden der ehemaligen Sowjetunion, um Moskau in die Bredouille zu bringen. Was ja auch gelungen ist. Aber um welchen Preis?! Siehe zum Beispiel Afghanistan.
Stichwort glorreiche Zeiten – die von Ihrer Friedensmitstreiterin Sahra Wagenknecht gegründete Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht, erlebte im letzten Jahr einen Höhenflug. Innerhalb von sechs Monaten sind die Umfragewerte eingebrochen. Wie erklären Sie sich diese Talfahrt?
Zunächst ist es die normale Ernüchterung nach einer Euphorie. Natürlich hat eine Partei, die überhaupt erst vor einem Jahr gegründet wurde, noch Schwächen und Lücken. Natürlich können sich nicht alle einig sein, nicht alle Wünsche erfüllt werden. Interessant sind die Erwartungen an die Person Sahra Wagenknecht. Sie irritiert viele. Ist sie für eine Frau zu unkaschiert intelligent, lächelt nicht oft genug dümmlich? Ist sie zu sachbezogen? Zu wenig emotional? Nicht „weiblich“ genug, trotz der kniefreien Kleider? Frauen können es in der Politik einfach nicht recht machen.
Haben Sie nach der Gründung des BSW überlegt, ob Sie eine tragende Rolle einnehmen wollen, und wenn ja, wieso haben Sie sich dagegen entschieden?
Keine Sekunde lang! Ich bin Journalistin. Meine Aufgabe ist es, zu informieren und aufzuklären. Ich war noch nie in meinem Leben in einer Partei. Ich würde bei einer Partei auch ziemlich schnell wieder rausfliegen. Mir ist Parteidisziplin fremd. Dazu bin ich viel zu anarchistisch.
Gibt es Punkte, in denen Sie sich mit Sahra Wagenknecht in der Ukraine-Frage uneinig sind?
Nein.
Am Wochenende wird in Deutschland eine neue Bundesregierung gewählt. Ist das für Sie ein Grund zur Freude, oder blicken Sie mit Sorge auf eine von Friedrich Merz als Bundeskanzler angeführte Regierung?
Ich blicke mit Sorge auf das ganze politische Personal. Diese Wahldebatten … Technokraten, die nur mit Zahlen hantieren, aber die Lebensrealität, die Ängste, Sorgen und Träume der Menschen gar nicht im Blick haben.
Neben dem BSW setzt sich die AfD ebenfalls für Friedensverhandlungen mit Russland ein. Bedauern Sie, dass Merz an der Brandmauer festhält und eine Koalition mit der AfD ausschließt?
Ich gehe davon aus, dass die „Brandmauer“ bei den Bundestagswahlen 2029 nicht mehr existieren wird. Sie ist unrealistisch. Mit einer unliebsamen Partei muss man sich durch Argumente auseinandersetzen und nicht mit Verboten. Ich habe die Dämonisierung der AfD von Anbeginn an für einen schweren Fehler gehalten. Es wäre sinnvoller gewesen, man hätte die rechtskonservativen Elemente in der AfD ermutigt bei dem Bestreben, die eindeutig rechtsradikalen Elemente in ihrer Partei zu bekämpfen. Und vor allem hätte es Sinn gemacht, wenn Union, SPD und Grüne ihre eigenen Wähler und Wählerinnen, die zur AfD übergelaufen sind, gefragt hätten, warum. Warum wählt ihr uns nicht mehr, aber die? Was haben wir falsch gemacht? Es reicht eben nicht, immer nur gegen etwas zu sein, man muss auch sagen können, wofür man ist.
Das Interview führte Sophie-Marie Schulz für die Berliner Zeitung.