Am 15. Mai war ich einen Tag lang in einer Konferenz mit algerischen JournalistInnen und SchriftstellerInnen im Goethe-Institut in Paris. Ich war die einzige Nicht-Algerierin, weil ich jüngst ein Buch über das Land geschrieben habe („Meine algerische Familie“). Das ist jetzt in Frankreich erschienen und gilt als „das erste Buch über Algerien heute“.
Die von dem großen, mutigen Schriftsteller Boualem Sansal (zusammen mit dem deutschen Professor Jürgen Wertheimer) geleitete Konferenz über Algerien war sehr bewegend. Denn es ging um viel. Einige der AutorInnen auf dem Podium waren wegen nicht staatstreuer Meinungen schon im Gefängnis, andere mussten in den 1990er-Jahren vor den mordenden Islamisten ins französische Exil fliehen. Wie wird es weitergehen mit Algerien, diesem größten afrikanischen Land? Die Antwort kann auch für Europa sehr ernste Folgen haben.
Am nächsten Tag war ich mit der iranischen Schriftstellerin Chahla Chafiq verabredet. Sie ist seit fast 40 Jahren im Exil in Frankreich, geflohen vor dem islamistischen Terror in ihrer Heimat. Wir haben zusammen überlegt, was wir noch tun können, um Nasrin Sotoudeh zu helfen. Die auch in Europa bekannte Menschenrechtlerin ist vor einigen Monaten in Teheran zu 38 Jahren Gefängnis und 143 Peitschenhieben verurteilt worden. Grund: Sie hat es gewagt, Frauen, die öffentlich gegen den Kopftuchzwang und für Frauenrechte demonstriert haben, als Anwältin zu verteidigen. In Frankreich gibt es eine große öffentliche Solidarität. In Deutschland herrscht überwiegend Schweigen, matt unterbrochen durch diplomatisches Gemurmel – bis auf die Berichterstattung in EMMA (3/19).
Als einzige Referentin habe ich mit den DemonstrantInnen gesprochen
Eine Woche zuvor hatte ich an der Universität Frankfurt an einer Konferenz über „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ teilgenommen. Veranstalterin war Prof. Susanne Schröter, renommierte Ethnologin, Islamwissenschaftlerin und Direktorin des „Forschungszentrums globaler Islam“.
Schon die Ankündigung der Konferenz hatte einen „Proteststurm“ ausgelöst. Anonym. Sturm von wie vielen Menschen? Einem? Zwei? Drei? #schroeter_raus! hieß der Hashtag, „Rassistin“ lautete der Vorwurf.
Die Konferenz fand statt und wurde zu einem Meilenstein. Erstmals wurde an einer deutschen Universität öffentlich unterschieden zwischen „Islam“ und „Islamismus“, zwischen Glauben und Ideologie.
Eingangs hielt Prof. Susanne Schröter einen augenöffnenden, bebilderten Vortrag über die Entwicklung Indonesiens zwischen 2011 und 2018: „Vom ‚Recht‘ auf das Kopftuch zur ‚Pflicht‘ zum Kopftuch“. Und sodann belegten zwei IslamwissenschaftlerInnen, Dr. Abdel-Hakim Ourghi von der Pädagogischen Hochschule Freiburg und Dr. Dina El-Omari von der Universität Münster, unabhängig voneinander, dass das Kopftuch keineswegs „eine religiöse Pflicht“ sei und niemand sich damit auf den Koran berufen könne. Eine Auffassung, die übrigens schon längst offiziell auch von der Al-Azhar-Universität in Kairo bestätigt wurde, der höchsten theologischen Autorität des Islam.
Über die Konferenz wurde in den Medien durchaus breit und auch differenziert berichtet. Im Netz allerdings ging es dann quasi nur noch um mich. Und das kam so:
Ich hatte in der Konferenz über den Siegeszug des politisierten Islam gesprochen: ausgehend von Khomeinis Gottesstaat Iran ab 1979 bis in die islamischen Communities im Herzen Europas. Als einzige Referentin der Konferenz war ich dann irgendwann im Laufe des Tages durch den Nieselregen auf die andere Straßenseite gegangen, um mit den DemonstrantInnen zu sprechen. Etwa ein Dutzend Frauen, plus ein, zwei Männer. Es empfing mich Gebrüll. Ich ließ mich nicht entmutigen, versuchte zu verstehen und zu diskutieren. Dabei tippte ich einer kopftuchtragenden Demonstrantin ganz leicht an den linken Arm. Noch mehr Gebrüll. Rassistin! Frauenfeindin! „Wie können Sie es wagen, mich ohne Erlaubnis anzufassen? Ich zeige Sie an!“, schrie die Betroffene. Darauf antwortete ich ironisch: „Ich dachte, nur Männer dürfen Sie nicht anfassen.“
Jetzt war der „Skandal“ komplett. Der Initiator der Demonstration, Zuher Jazmati, hatte mitgedreht und stellte einen manipulativ verkürzten Auszug ins Netz. Zum Glück hatte auch jemand von EMMA und Kollegen von der Welt mitgedreht. Wir stellten eine längere Sequenz ins Netz, bis hin zu meinem Schlusssatz: „Ladet mich ein. Ich komme, und wir diskutieren.“
https://www.youtube.com/watch?v=daV4aGWOjb4
Im Netz ergossen sich dennoch die rituellen Beschimpfungen der selbsternannten „Anti-Rassistinnen“ und „intersektionellen Feministinnen“ über mich. Shitstorm. Allerdings auch wahnsinnig viel Zustimmung. Über 90 Prozent aller Stimmen waren auf meiner Seite (siehe Seite 110).
Die Menschen fangen allmählich an zu begreifen. Zu begreifen, dass sie mit ihrem Unbehagen und ihrer Kritik an einem schariahörigen Islam recht haben. Doch sie wurden bisher eingeschüchtert und mundtot gemacht mit dem Rassismus-Vorwurf.
Dabei sind Millionen aufgeklärte MuslimInnen in den heute 35 islamischen Ländern auf der Welt plus die im Westen lebenden die ersten Opfer dieser Fundamentalisten. Selbsternannte „Anti-Rassisten“ und postkoloniale „KritikerInnen“ sind die Helferlein dieser Fanatiker. Nützliche IdiotInnen oder geschulte Provokateure? Aus Naivität oder aus ideologischem Interesse?
Diese IdeologInnen halten nicht etwa zu den Opfern, sondern zu den Tätern. Und die deutsche Politik macht mit, indem sie seit Jahrzehnten „Dialoge“ führt mit Scharia-gläubigen Islam-Verbänden. Und viele Medien, allen voran linksliberale, schreiben diesen „Anti-RassistInnen“ nach dem Mund. Dabei braucht es nur ein paar Klicks, um zum Beispiel zu erfahren, wer der Mann ist, der die Demo angemeldet hat.
Nein. Lieber veröffentlichen manche linksliberale Medien, von Ze.tt bis Tagesspiegel, ungeprüfte Diffamationen über mich. Die kommen im besten Fall von Unbedarften, im schlechteren von Leuten, die genau wissen, was sie tun.
Ich kenne mich da aus. Zum ersten Mal wurde ich 1979 als „Rassistin“ beschimpft, als ich wenige Wochen nach der Machtergreifung von Khomeini und der Etablierung des „Gottesstaates“ im Iran war. Zurück in Deutschland habe ich geschrieben, was ich gesehen und gehört hatte. Meine düsteren Erwartungen haben sich nicht nur erfüllt, sondern wurden weit übertroffen. Aber was schallte mir schon damals aus gewissen – linken – Kreisen entgegen? Rassistin! Schon 1979 wurde ich also als „Rassistin“ diffamiert.
Schon 1979 wurde ich als "Rassistin" beschimpft
Oder 1993, das Jahr des Beginns der islamistischen Offensive in Deutschland. Damals bezeichnete mich eine gewisse Amina Erbakan in einem Interview als „unsere Feindin Nr. 1 in Deutschland“. Die Konvertitin war die Frauenbeauftragte der vom Verfassungsschutz scharf beobachteten islamistischen Organisation Milli Görüs und Schwägerin von Necmettin Erbakan, dem Chef der rechtsnationalen Wohlfahrtspartei. Erbakan galt als Inspirator von Milli Görüş sowie der rechtsnationalen „Grauen Wölfe“, war kurzzeitig Ministerpräsident der Türkei und wurde wegen „Volksverhetzung“ verurteilt. Er war außerdem der politische Ziehvater des heutigen Präsidenten Erdoğan. Noch Fragen?
Ich bin es also gewohnt, von gewissen Kreisen als „Rassistin“ beschimpft zu werden. Das kann mich nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Ich bin stolz darauf! Stolz, in Deutschland eine der – leider noch immer viel zu raren – Stimmen zu sein, die über den politischen Islam aufklären; über die internationale Offensive des politisierten Islam und die Agitation mitten unter uns, von Teheran bis Frankfurt. Und die seit Anbeginn den Schulterschluss mit aufgeklärten MuslimInnen praktiziert hat. Denn der Islamismus ist eine der größten Gefahren unserer Zeit. Er ist mindestens so ernst zu nehmen wie das Erstarken der traditionellen Rechten. Genauer: Der Islamismus ist Teil der internationalen Rechten.
Dass immer mehr Menschen auch in Deutschland das begreifen, zeigen ihre Reaktionen.
Im Netz
Video-Aufzeichnung der Kopftuch-Konferenz: https://bit.ly/2ZmNWMo