Frankreich erlaubt den Burkini!
Mit großer Spannung haben Politik, Medien und Öffentlichkeit die heutige Entscheidung des Conseil d’Etat erwartet. Jetzt ist das Urteil gefallen: Das höchste Verwaltungsgericht hat die Verbote einzelner Gemeinden, an ihren Stränden den Burkini zu tragen, außer Kraft gesetzt. Der Entscheidung durch den Conseil d’Etat waren über Wochen heftige Debatten vorausgegangen, quer durch alle politischen und gesellschaftlichen Lager.
Französische Feministinnen sind zerrissen wegen des Burkinis
Am 5. August hatte die Gemeinde Villeneuve-Loubet an der Côte d’Azur, nähe Nizza, ein Burkini-Verbot für ihren Strand erlassen. Zwischen dem 15. Juni und 15. September sollen von nun an alle Personen am Strand eine „korrekte Bekleidung“ tragen, die „die guten Sitten und die Prinzipien der Laizität respektiert“. Eine Formulierung, die in der Tat vielfache Interpretationen zulässt. Aber klar ist: Gemeint war vor allem der Burkini, der den ganzen Körper sowie das Haar bedeckt.
Das zuständige Verwaltungsgericht von Nizza bestätigte den Erlass der Kommune und wies auf den „Kontext“ der Entscheidung hin: Nämlich das Attentat auf der Promenade des Anglais am 14. Juli, bei dem der 31-jährige Marokkaner Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit einem Lastwagen in die feiernde Menge gerast war und 84 Menschen getötet hatte. Im Namen Allahs. Verständlicherweise lägen den Menschen die Nerven blank. Denn auch der Burkini, so die Richter in Nizza, stehe in der Tradition „des religiösen Fundamentalismus“.
Prompt folgten etwa dreißig Strand-Gemeinden, vom Mittelmeer bis zum Atlantik, und erließen ebenfalls Burkini-Verbote. Seither ist die Pro&Contra-Burkini-Debatte das Sommerthema in Frankreich.
Die „Liga der Menschenrechte“ und das „Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich“ wollten das nicht hinnehmen. Sie reichten Klage beim höchsten Verwaltungsgericht, dem Conseil d’Etat in Paris, gegen den Burkini-Erlass ein, im Namen der „Religionsfreiheit“. „Heute ist es der Strand. Morgen wird es die Straße und der ganze öffentliche Raum sein“, argumentierte die Anwältin der Menschenrechtsliga gegen das Burkini-Verbot.
Frankreich, das durch seine Ex-Kolonien und Protektorate, wie Algerien und Marokko, eine noch größere fundamentalistisch-islamistische Community hat als Deutschland, hatte schon vor Jahren versucht, Grenzen zu ziehen. 2004 verbot Frankreich in Schulen Lehrerinnen wie Schülerinnen das Kopftuch als „demonstratives religiöses Zeichen“. Darunter fiel das Kopftuch ebenso wie das christliche Kreuz und die jüdische Kippa.
Das Verbot war ausgelöst worden von einem Streit 1989 über drei Kopftuch-Mädchen, denen eine Schule in Creil den Zutritt verboten hatte. Die Väter bzw. Onkel dieser Mädchen waren bekannt als aktive Islamisten und zuvor von Deutschland nach Frankreich gezogen. Die Philosophin Elisabeth Badinter schrieb damals einen auch in EMMA veröffentlichten Grundsatztext, warum sie für das Kopftuch-Verbot plädiert.
2010 folgte in Frankreich das Verbot der Vollverschleierung, „die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum“ (Burka und Niqab). Der europäische Menschenrechtshof bestätigte 2014 dieses Verbot. Geklagt hatte eine Franko-Pakistanerin.
Seither sind in fünf Jahren rund 1.500 Frauen wegen widerrechtlicher Vollverschleierung in der Öffentlichkeit zu je 150 Euro Strafe verurteilt worden. Die wurden in der Regel allerdings von dem algerischen Unternehmer Rachid Nekkaz erstattet, der in diesem Sinne auch im Tessin aktiv geworden ist. Er tue das im Namen der „Religionsfreiheit“, argumentiert der Muslim.
In der französischen Politik scheint die Mehrheit der Konservativen eher zum Burkini-Verbot zu neigen – nicht zuletzt mit Blick auf die rechtspopulistische Marine le Pen, deren Front National seinen gewaltigen Stimmenzulauf in erster Linie Le Pens entschiedener Kritik am Islamismus verdankt.
In Deutschland trägt nur eine von fünf Musliminnen ein Kopftuch
Auch in der Debatte in Frankreich kursiert das fatale Missverständnis, die Bekleidungsgebote für „religiöse Gebote“ zu halten – und nicht für ideologische Gebote; nämlich die fundamentalistische Interpretation schriftgläubiger, rückschrittlicher Muslime, deren erste Opfer, ganz wie in Deutschland, die aufgeklärten MuslimInnen sind. In Deutschland trägt nur eine von fünf Frauen muslimischer Herkunft das Kopftuch - in Frankreich werden es noch weniger sein.
Bei den SozialistInnen geht die Pro&Contra-Front querdurch. Premierminister Manuel Valls plädiert vehement für ein Burkini-Verbot. Innenminister Bernard Cazeneuve hält sich zurück. Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem, die in Marokko geboren ist, erklärte, sie missbillige den Burkini, wolle ihn aber nicht verbieten. Und Präsident Hollande? Der schweigt vornehm – und ließ das hohe Gericht entscheiden.
In der seit Wochen hohe Wellen schlagenden Debatte argumentierten viele Linke, die Burkini-Diskussion sei "ein falsches Problem". Das Land solle sich lieber um seine Millionen Arbeitslosen kümmern. Auch die Feministinnen sind zerrissen.
Die den Sozialisten nahestehende Organisation "Osez le feminisme" erklärte, "die großen Verliererinnen" bei dem Burkini-Verbot seien die Musliminnen: "Auf der Basis von Sexismus und Rassismus werden sie an den französischen Stränden erniedrigt." Dem widersprach die einst von Simone de Beauvoir gegründete "Liga der internationalen Frauenrechte". Für sie ist "der Burkini eine symbolische Provokation". Ja, mehr noch: "Eine Aufforderung zu sexistischer Gewalt."
Das Kopftuch in der Schule und im Öffentlichen Dienst bleibt auch in Zukunft in Frankreich verboten. Ebenso die Vollverschleierung im öffentlichen Raum (auch wenn sie von Geldgebern der Pro-Burka-Strategie unterlaufen wird). Doch der Burkini wird in Zukunft in Frankreich erlaubt sein. Die leidenschaftliche Debatte darüber aber ist damit noch lange nicht beendet.
Alice Schwarzer