Frauen brauchen Vorbilder!

Smile! Saffiyah Khan aus Birmingham.
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Würden wir Frauen selbst fragen, ob sie sich als Vorbilder verstehen - die meisten von ihnen würden entschieden verneinen, ja erschrocken abwehren. Was nicht nur mit der über Jahrhunderte anerzogenen weiblichen Bescheidenheit und dem angetanen Unwertgefühl zu tun hat. Traditionell gibt es ein regelrechtes Verbot für Frauen, sich als Vorbild zu begreifen und zu vermitteln. Denn das hieße ja, dass eine Frau sich selber ernst nimmt. Das hieße, dass sie der Auffassung ist, sie habe Beispielhaftes geleistet. Das hieße, dass sie glaubt, sie sei prägend für den Lauf der Dinge und für nach ihr Kommende. Kurzum, es hieße, dass sie sich erkühnt, aus der ersten Reihe vorzutreten - statt sich in der zweiten zu ver­stecken.

Es gibt ein regelrechtes Verbot, sich als Vorbild zu begreifen

Das zu wagen, daran werden Frauen nicht nur von Männern gehindert, sie hindern sich auch selbst. Denn ihre Selbstverachtung impliziert immer auch Verachtung des eigenen Geschlechts. Aber eine, die sich nicht selbst verachtet, die stark ist und auch noch zu Recht stolz, die ist, ob sie will oder nicht, automatisch eine Herausforderung für alle Frauen: Seht her, es geht auch anders ... Eine ernst gemeinte Solidarität ist darum - neben der offenen Austragung von inhaltlichen Differenzen und Kontroversen - immer auch an dem Ernstnehmen von Frauen durch Frauen zu erkennen und an ihrer Freude an weiblichen Vorbildern.

Traditionell ist es Frauen nur in einer Rolle gestattet, Vorbild zu sein: in der Rolle der Mutter. Und in der Tat sind die eigenen Mütter für zwei von drei Frauen das Vorbild Nr. 1, bei den vorbildhungrigen 14- bis 17-Jährigen sogar für drei von vier Töchtern. Aber noch nicht einmal dieser Trost wird den Frauen gegönnt. Wir begegnen in der Kultur zwar zuhauf Darstellungen des - in der Tat auch existierenden - Mütter-Töchter-Horrors in allen Varianten, doch wir erfahren kaum etwas über die positive Vorbild-Funktion so vieler Mütter für ihre Töchter.

Menschen brauchen Vorbilder. Vor allem, wenn sie jung und in der Orientierungsphase sind. Denn sie werden nicht von abstrakten Erkenntnissen und hehren Zielen ermutigt, sondern vom Stoff des Lebens: von Menschen, die ihnen vorleben, was möglich ist und was nicht. Doch „der“ Mensch ist traditionell der Mann. Die Frau kommt nicht vor, sie steht daneben. Identifiziert eine Frau sich dennoch mit Männern, wird sie im allerbesten Falle ein halber Mann werden können. Sie wird, auch wenn sie noch so tüchtig und anpassungsbereit ist, nur Gast sein in den Männerbünden - und sich als Frau verleugnen müssen. Will eine Frau wirklich ihren Weg gehen, kann sie sich zwar auch von Männern ermutigen lassen, ja braucht in der Regel ihren Segen - wie im klassischen Fall der „Vatertochter“ des mit dem Vater identifizierten Mädchens -, aber sie muss sich letztendlich auch an Frauen orientieren können. Denn steht sie nicht in der Tradition ihres eigenen Geschlechts, bleibt sie ein Strohhalm im Wind und ist leicht wieder wegzupusten.

Männer hingegen können wählen, über mehrere Jahrtausende

Männer haben Vorbilder und Idole. Sie können wählen über mehrere Jahrtausende Geschichte: von Sokrates, Marx, Goethe, Einstein oder Picasso über Gandhi und Brandt bis zu einem Richard Gere oder Arnold Schwarzenegger. Auch Frauen könnten solche Vorbilder haben. Es mangelt nicht an weiblichen Persönlichkeiten und Stars in Geschichte wie Gegenwart. Denn auch Frauen haben trotz aller Widrigkeiten in allen Sparten der Gesellschaft immer wieder viel riskiert und Hervorragendes geleistet.

Dennoch wird Frauen die Wahrnehmung als „vorbildhaft“ meist schon zu Lebzeiten verwehrt. Nach ihrem Tode werden dann auch noch die raren Ausnahmen, die sich bei ihren Zeitgenossinnen einer relativen Anerkennung, ja Berühmtheit erfreuten, flugs wieder in die Versenkung verstoßen. Ihr Werk wird ignoriert, manipuliert, vernichtet.

Vorbildsein ist unlösbar mit Machthaben verknüpft, und sei diese Macht auch noch so relativ. Und Macht ist nicht minder tabu für Frauen - wie für jede unterdrückte Gruppe. In unseren modernen Gesellschaften aber werden die Machtlosen vom Griff zur Macht nicht mehr durch äußere Fesseln abgehalten, sondern durch innere. Und das so tief sitzende Desinteresse der Machtlosen an der Macht ist Voraussetzung für den Machterhalt der Machthaber. Frauen haben ihre Machtlosigkeit verinnerlicht, und die meisten verklären diese auch noch. Sie sind stolz darauf, keine Macht zu haben, oder kokettieren maximal mit der Macht innerhalb der Familie. Gesellschaftliche Macht scheint vielen Frauen das Böse an sich. Auch wenn sie in Wahrheit nach Macht streben, weisen sie dies gerne als Unterstellung weit von sich. Zumindest bisher war das so. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts fängt es an, anders zu werden.

Wie alles bei Frauen ist auch die Machtfrage sexualisiert und der Wert oder Unwert einer Frau als Objekt davon betroffen. Mächtige Männer sind männlich, mächtige Frauen sind unweiblich. Mächtige Männer gelten als erotisch, mächtige Frauen als abtörnend. Männer können sich ihrer Macht brüsten, Frauen müssen sich für Macht entschuldigen. Frauen müssen sich also entscheiden: Wollen sie Macht haben - oder wollen sie begehrt/geliebt werden? Da der Wert einer Frau traditionell von ihrem Begehrtwerden abhängig ist, lautet die Entscheidung einer Frau gemeinhin: Lieber machtlos sein und begehrt werden! Bei Frauen, die Macht wollen, aber nicht dazu stehen, führt dies häufig zu bigotten Inszenierungen des Stils: innen hart wie Kruppstahl und außen gewandet in rosa Zuckerguss; Befehle erteilen, aber mit Piepsstimmchen; Interessen durchsetzen und dabei mit den Wimpern klimpern.

Wie alles bei Frauen ist auch die Machtfrage sexualisiert

Auch die Kleiderfrage ist als Teil der Gesamtinszenierung eine hoch politische Frage für alle Karrierefrauen. Das gilt selbstverständlich auch in der Kultur und in der Wirtschaft. Neuere internationale Studien zeigen, dass die so genannten soft skills - also die Inszenierungen und Eigenschaften, die traditionell Frauen zugewiesen werden, wie Emotionalität und Einfühlungsvermögen - zwar hoch willkommen sind zum Schmieren der verhärteten Berufswelt, den Frauen selbst aber eher schaden als nutzen. Weibliche Eigenschaften bei Chefinnen werden von Untergebenen genossen, aber nicht geachtet. Und die gelangen auf die weibliche Tour nur bis in die zweite Reihe, in der ersten aber sitzen weiterhin Männer - und die raren „männlichen“ Ausnahmefrauen. Denn wirklich nach vorne im patriarchalen System kamen bisher nur die Frauen, die sich den Männern anpassen. Doch auch die bleiben, wie gesagt, irgendwie auf der Strecke. Man spricht ihnen entweder die „Weiblichkeit“ sofort ab - und damit das Begehrtwerden - oder stößt sie mit spätestens Mitte/Ende Vierzig in die Unsichtbarkeit. Bisher zumindest war das so.

Jetzt tritt eine neue Frauengeneration an, die hofft, dass es ihr nicht so ergehen werde. Sie ist natürlich nicht die erste Generation, die das glaubt. Aber sie weiß das nicht, weil sie die vorhergehende nicht fragt und sich - wieder mal – opportunistisch spalten lässt in die „Jungen von heute“ gegen die „Alten von gestern“. Soll sich jedoch das Gewohnte morgen nicht wiederholen, muss heute gegengearbeitet werden. Und das geht nur via Schulterschluss der Generationen.

Als ich 1989 eine erste Sammlung meiner Frauenporträts und -gespräche veröffentlichte, schrieb ich: „Die erfolgreiche Frau ist immer eine „männliche“ Frau und wird nur in drei Varianten geduldet: Entweder sie hat einen geschlechtsneutralen Auftritt, ist „weder Fisch noch Fleisch“ (Karriere­politikerinnen wählen gerne diese Lösung): Oder sie inszeniert sich betont weiblich (eine Variante, die in der Kultur häufig anzutreffen ist). Oder aber sie tritt, quasi transvestitisch, resolut männlich auf (vorwiegend in der Wissenschaft und Wirtschaft). Und dann gibt es noch eine vierte, moderne und besonders schizophrene Variante: die Karrierefrau, die nach außen „ganz Frau geblieben“ ist, hinter den Kulissen aber hart durchzieht wie ein Kerl.“

Dazu kommt jetzt eine fünfte Variante: die Frau, die sich nicht mehr zwingen lassen will zu wählen, die gleichzeitig ein weibliches und ein männliches Leben leben will. Das sind die Töchter der Emanzipation, denen erzählt wurde: Du kannst alles! Sie haben nicht selten wohlwollende Väter und emanzipationsfordernde Mütter. Und sie mischen Gelassenheit mit Gerissenheit. Denn sie haben gesehen, wie ihre Mütter sich die Köpfe blutig gestoßen haben. Und sie glauben ans Ziel kommen zu können, ohne den gleichen Preis dafür zu zahlen.

Diese Töchter kennen sich aus. Sie sind kompetent und allemal tüchtiger als vergleichbare Männer, sonst wären sie gar nicht bis dahin gekommen. Sie wollen „einfach nur Mensch“ sein und sich nicht länger einschließen lassen in der Frauenecke, weder von Männern noch von Frauen. Sie leben aber leider in einer Welt, in der Frauen weit davon entfernt sind, einfach nur Mensch sein zu dürfen, sondern noch immer - und neuerdings wieder verschärft - an der Frauenelle gemessen und auf ihr Frausein zurückgeworfen werden.

Frauen dürfen trotzdem nicht vergessen, dass sie Frauen sind

Was aber wäre die richtige Strategie? Das eine tun, ohne das andere zu lassen! Denn ob sie will oder nicht, auch die tüchtigste und erfolgreichste Frau wird nie als Individuum, sondern immer nur als Angehörige ihrer Gattung wahrgenommen. Sie kann es darum alleine gar nicht schaffen. Vergisst sie, dass sie eine Frau ist, werden die Männer (und ihre Weibchen) es ihr nur umso schmerzlicher wieder bewusst machen. Darum: „Wohin du gehst, nimm immer eine Frau mit.“ So lautet der goldene Satz von Gloria Steinem, der Gründerin von Ms. (der amerikanischen EMMA). - Will sagen: Allein bist du verloren. Und: Es kann nicht nur um individuellen Erfolg gehen, es muss um den Erfolg der ganzen Gattung gehen. Denn die Männerbünde lassen keine durch, und wenn, dann nur auf Zeit. Wann diese Zeit abgelaufen ist, bestimmen sie.

Sicher, ohne Kompromisse geht es nicht, aber wenn schon, dann bitte nur bewusst und dosiert. Der einzige Weg mit Zukunft scheint mir die Gradwanderung der Doppelstrategie: Frauen müssen so tüchtig sein wie Männer, ja tüchtiger - sie dürfen aber nicht vergessen, dass sie Frauen sind. Vergessen sie es, verlieren sie ihre Identität und ihre Wurzeln - und damit ihre originäre Kraft. Nur die Frau, die im vollen Bewusstsein um ihr Frausein gleichzeitig die „männliche Anmaßung“ (Jelinek) wagt, kann ein echtes Gegenüber für Männer sein.

Doch, auch die Frau, die nicht auf der Höhe dieses so schwer erreichbaren Ideals ist, aber dennoch öffentlich existiert, hat immer auch eine ermutigende Funktion für alle Frauen. Egal, ob sie das beabsichtigt, wie Simone de Beauvoir, oder nicht, wie Marion Dönhoff. Denn ihre Existenz beweist, dass es möglich ist: dass Mensch eine Frau sein kann, und dennoch Nobelpreisträgerin oder Schriftstellerin oder Komikerin etc. Darum ist – unabhängig vom jeweiligen Bewusstsein – jede Frau, die aus der Reihe der weiblichen Tradition tritt, eine Rollenbrecherin und Wegbereiterin für alle Frauen.

Alice Schwarzer, September 2003, aus "Vorbilder und Idole".

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