Alice Schwarzer schreibt

Gnade uns Allah!

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Wie machen die Menschen das nur? Ein so kurzes Gedächtnis zu haben! Oder ist manchen alles egal – Hauptsache sie sitzen im Warmen? Die Abstinenz Deutschlands im Libyen-Krieg sei „ein skandalöser Fehler“ ließ Ex-Außenminister Joschka Fischer verlauten. Ausgerechnet. Ausgerechnet der Minister, der Deutschland nach 1945 erstmals wieder mit Pauken und Trompeten – sowie dem auf gefälschten Dokumenten basierenden Argument „Nie wieder Auschwitz“ - in den Krieg geführt hat, in den Kosovo-Krieg. In diesen, wie alle Kriege aus der Sicht der Kriegsführenden, „gerechten Krieg“, der die ganze Region destabilisierte und den heimlichen Herrn des Kosovo, den Islamisten der UCK, Tür und Tor nach Europa öffnete. Ausgerechnet der Minister, der auch den nächsten „gerechten Krieg“ 2001 uneingeschränkt begrüßte: den Afghanistan-Krieg (beim ersten Irak-Krieg waren Grüne und SPD noch in der Opposition und Pazifisten). Dass der Westen auch im Irak den Teufel (Hussein) mit dem Beelzebub (Islamisten) ausgetrieben hat, dürfte inzwischen selbst den Dümmsten klar sein. Und jetzt also Libyen. Dabei sprechen sehr viele Gründe gegen diese Intervention des Westens in Nordafrika.

Erstens sind kriegerische Interventionen in einem anderen Staat fast immer falsch (Ausnahme: Hitler-Deutschland). Denn sie verletzen die Souveränität eines Staates und destabilisieren das Land in der Regel nur noch mehr. Zweitens ist die Lage in Libyen weitgehend undurchschaubar. Es sieht so aus, als sei das Land geteilt: in pro und contra Gaddafi – was einen Bürgerkrieg zur Folge haben könnte. Drittens beschwören die arabischen Länder schon jetzt die „Kreuzritter“, die sie wieder einmal überfallen. Anzunehmen, dass der Krieg gegen Libyen sehr bald von den meisten islamischen und arabischen Ländern als Krieg der Christen gegen die Mohammedaner verstanden wird. Viertens sind die Motive des Kriegshetzers Sarkozy durch und durch unlauter.

Auch die Motive der Berliner Regierung, in den Krieg gegen Libyen nicht einzusteigen, mögen vielfältig sein. Vermutlich spielen auch wirtschaftliche Interessen, spielt der Handel mit Libyen und das feine Wüsten-Öl eine Rolle. Aber das ist egal. Der Krieg gegen Libyen ist falsch! Und ich bin erleichtert, dass wir nicht dabei sind.

Die Motive von Präsident Sarkozy nun stehen auf einem ganz anderen Blatt und sind nur zu durchsichtig. Er glaubt, seine korrupte Komplizität mit den alten Regimes in Tunesien und Ägypten wieder wettmachen zu können durch die eiserne Faust über Libyen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Frankreich und mit ihm ein Teil des Westens wird Nordafrika und Arabien nur noch mehr gegen sich aufbringen.

Hinzu kommt bei Sarkozy ein innenpolitisches Motiv, das bisher in Deutschland nicht thematisiert wurde. Im nächsten Jahr sind Wahlen. Und da liegt zurzeit in allen Umfragen Marine Le Pen, die Tochter des rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen, vorne. Sie ist, im Gegensatz zu ihrem Vater, der ein Faschist der alten Schule ist, eine „moderne Rechte“: Anwältin, Mutter zweier Kinder, geschieden, selbstbewusst. Sie ist keine Antisemitin und hat auch nichts gegen Homosexuelle. Nicht auszuschließen, dass sie sich sogar als Frauenrechtlerin bezeichnen würde. Sie setzt vor allem auf die Angst der Franzosen vor dem Islam (also nicht nur vor den Islamisten), der in dem einstigen Kolonialstaat mächtig präsent ist.

Marine Le Pen könnte tatsächlich die nächste Präsidentin Frankreichs werden – zumindest aber wird sie vermutlich Sarkozy den Todesstoß versetzen. Nur ein Dominique Strauß-Kahn, der auch von den Konservativen geschätzte Sozialist, könnte sie noch verhindern. Und nur ein Krieg könnte Sarkozy eventuell die Haut retten, gar noch ein Krieg gegen ein islamisches Land. Darum das Gerassel.

Auf Kosten der Menschen in Libyen. Und auf Kosten des Respekts vor der Souveränität eines Landes, dessen Diktator der französische Präsident noch vor zwei Jahren mitten im Elysee-Palast ein Beduinen-Zelt aufbauen ließ – und den er jetzt bombardiert.

Nein, die einzige Lösung wäre gewesen, die Opposition in Libyen nach allen Kräften zu unterstützen, damit das Volk selber in die Lage versetzt wird, einen ungeliebten Diktator zu verjagen. Dazu ist es jetzt zu spät. Gnade uns Allah.

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