Alice Schwarzer schreibt

Haben Opfer eine Chance?

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Weitgehende Einigkeit herrschte lange vor den Prozessen darüber, dass die Frau das bestimmt selber gewollt habe („einvernehmlicher Sex“), eine Lügnerin sei, sich nur rächen wolle (Kachelmann) bzw. bezahlt sei (Strauss-Kahn). Als der weiße mächtige Strauss-Kahn wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung eines schwarzen armen Zimmermädchens verhaftet wurde, war die Em pörung in Amerika groß, die Reaktionen in Frankreich jedoch bis in die Wortwahl identisch mit dem deutschen Fall, nur noch ein bisschen zynischer seitens gewisser Männer.

Nachdem die lächerliche These vom angeblichen Komplott (von Sarkozy gegen seinen Rivalen oder von Putin gegen den IWF-Chef etc.) nicht länger haltbar war, ging man auch in Frankreich selbstverständlich zum „einvernehmlichen Sex“ über (Zwischen zwei Unbekannten, innerhalb von neun Minuten auf dem Boden, ohne Geld!). Hinzu kam die franzö sische Klassenarroganz („eine Dienstmädchen-Affäre“) plus eine Portion Rassismus des Ex-Kolonialherrn.

Doch es gab einen gewaltigen Unterschied zwischen dem Fall Kachelmann und der Affäre Strauss-Kahn: Nicht nur im empörten Amerika gingen schwarze wie weiße Frauen sofort auf die Straße – auch in Frankreich protestierten die Frauen schon eine Woche nach Strauss-Kahns Verhaftung öffentlich, allein in Paris demonstrierten am 22. Mai über 3 000 Feministinnen und andere.

Unabhängig von der Schuldfrage beklagten sie den enthemmten, kruden Sexismus der Medien und Mächtigen, der sich apropos der Affäre DSK Bahn gebrochen hatte. Und das vor allem in den Kreisen der Intellektuellen und Linken, zu denen der Sozialist und Beinahe-Präsidentschaftskandidat Dominique Strauss-Kahn sich zählen darf (siehe EMMA Sommer 2011). Im Juni trafen sich 44 feministische Organisationen in der Normandie, um zu beraten, was zu tun sei. Und alle – nicht nur die Feministinnen – sind sich einig: Nach der Affäre Strauss-Kahn wird es nie mehr sein wie davor! Der offensichtlich noch immer salonfähige krude Sexismus französischer Männer unter dem Deckmantel der Galanterie – allen voran der Männer an der Macht – wird bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Thema Nr. 1 sein.

Und in Deutschland? Ich erinnere mich nicht, dass auch nur eine einzige Frau während der zwölf Monate öffentlich protestiert hätte, in denen die Frau, die ihren langjährigen Freund der Vergewaltigung mit Todesdrohung beschuldigte, in Medien und Internet durch den Dreck gezogen wurde. Und auch als der Mann mit einer Begründung freigesprochen wurde, die eher nach einem Schuldspruch klang, war kein Wort des Mitgefühls für die Frau bzw. der Verachtung für diesen Mann und seine zynischen Reaktionen zu lesen. Nein, wahrlich, es steht nicht gut um die Würde der Frauen in Deutschland. Und um den Feminismus schon gar nicht.

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Dossier: Haben Opfer eine Chance? (4/11)
Dossier: Sex, Macht, Gewalt (3/11)

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