Warum ich für BILD den Prozess kommentiere
Jörg Kachelmann? Den konnte ich immer gut leiden. Ich war mehrfach in einer seiner Sendungen. Und einmal haben wir sogar Rock’n Roll zusammen getanzt. Live. Und uns ziemlich amüsiert. Ich bin also eine von vielen, denen das scheinbar Unbekümmerte, das Lässige an ihm gefiel.
Auch darum galt im März, als er verhaftet wurde, bei EMMA die Richtlinie: abwarten. Denn es stand – und steht – Aussage gegen Aussage. Und so eine Anklage wegen „besonders schwerer Vergewaltigung“ ist schließlich kein Pappenstiel. Weder für den Angeklagten, noch für das mutmaßliche Opfer.
Seither ist viel passiert. Dem ersten Erschaudern, das durch Medien und Menschen ging beim Anblick des abgeführten Kachelmann, folgte ein radikaler Meinungswechsel. Doch der ist weniger den veränderten Tatsachen, sondern vor allem den gewieften Medienanwälten des Medienstars zu verdanken.
So warteten etliche seriöse Blätter keineswegs den Prozess ab, sondern schienen schon vorher die Wahrheit zu kennen. Manche titelten bereits im Sommer mit Schlagzeilen wie „Schuldig auf Verdacht“ und zögerten nicht zu suggerieren, die vielfach betrogene und frustrierte Ex-Freundin wolle sich nur rächen an dem Armen.
Kachelmann dürfe darum eigentlich gar nicht erst angeklagt werden. Zumindest aber müsse er nach dem rechtsstaatlichen Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ freigesprochen werden.
Aufwind bekam die Pro-Kachelmann-Fraktion, als sich herausstellte, dass die Ex-Freundin in einem Detail gelogen hatte: Sie hatte von der „Anderen“ – in Wahrheit waren es ja viele Andere! – nicht erst am Tag der mutmaßlichen Tat erfahren, sondern bereits Wochen zuvor. Und als der TV-Star dann auch noch nach 130 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, da ging ein Seufzen durch die Reihen der Kachelmann-Freundinnen in den Medien (Es sind auffallenderweise tatsächlich vor allem Frauen): „Endlich!“
Doch während der Angeklagte Urlaub in Kanada machte, musste die Klägerin in Schwetzingen unter Polizeischutz gestellt werden. Denn die Hetzjagd ist im Internet seit Wochen eröffnet. Gegen sie. Die Radiomoderatorin wird als „faule Luxusfrau“ beschimpft, die „diese Vergewaltigungsgeschichte erfunden“ habe. Verkehrte Welt?
In einem Forum emanzipations-matter Männer wurde gar ein Foto der Klägerin, ihr voller Name plus Adresse (inklusive Abbildung ihres Wohnhauses), sowie ihr Autokennzeichen veröffentlicht. Dann kann es ja losgehen.
So ein Klima kann nur entstehen, wenn ein Mensch öffentlich degradiert und für vogelfrei erklärt wird. Nicht zuletzt darum werde ich ab heute den Kachelmann-Prozess an manchen tagen auch ganz aus der Nähe, im Sitzungssaal Nr. 1 des Landgerichts Mannheim, verfolgen. Denn noch steht Aussage gegen Aussage. Noch sind die Worte der Ex-Freundin nicht weniger ernst zu nehmen als die des Mannes, den sie der Vergewaltigung beschuldigt.
Alice Schwarzer in Bild, 6.9.2010
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