Alice Schwarzer schreibt

Daoud: Nach Fatwa neuer Angriff

In der aktuellen EMMA analysiert Daoud die Silvesternacht als „Ort der Fantasmen“ von allen Seiten.
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In dem von einem „Collectiv“ in Le Monde veröffentlichten Text gegen Kamel Daoud wird der Algerier von 19 französischen WissenschaftlerInnen des Verrats bezichtigt. Er sei Teil einer „westlichen intellektuellen Minderheit“ in seinem Land, der der „europäischen Islamophobie einer europäischen Mehrheit“ das Wort rede. Der „selbsternannte Humanist“ lasse in seinem Text „islamophobe Phantasmen“ wieder aufleben, über die Pegida sich freuen würde. Undsoweiterundsofort. 

Die Fatwa und diese Petition gegen Daoud gefährden sein Leben

Dieser Eingriff westlicher Intellektueller, gekoppelt mit der Fatwa algerischer Islamisten von 2014, könnten Daoud sein eh schon schweres Leben in seiner Heimat ab sofort noch viel schwerer machen – wenn nicht gar sein Leben gefährden. Was also hat der Journalist (der wöchentlich eine Kolumne für die Tageszeitung in Oran schreibt) und Schriftsteller (dessen gerade erschienener erster Roman „Der Fall Mersault – eine Gegendarstellung“ in 28 Sprachen übersetzt wurde) sich zuschulden kommen lassen?

In seinem Text (der in La Repubblica, New York Times, Le Monde und EMMA veröffentlicht wurde) analysiert Daoud die Kölner Silvesternacht als „Ort der Fantasmen“. Fantasmen von allen Seiten: Bei den einen würden „die alten Ängste vor einer Invasion der Barbaren“ wieder aufleben; die anderen, die „Gutmenschen mit der Überdosis Naivität“ würden den Flüchtling nur als Opfer sehen, aber nicht begreifen, dass er „aus einer Kultur-Falle kommt, die vor allem von seinem Verhältnis zu Gott und zur Frau bestimmt wird. (…) In Allahs Welt ist das Verhältnis zur Frau der zweite Gordische Knoten“, schreibt Daoud. „Die Frau wird verleugnet, abgelehnt, getötet, verschleiert, eingeschlossen oder in Besitz genommen.“

Schuld daran sind für den 45-jährigen Daoud die Islamisten. Die hatten in den 1990er Jahren Algerien in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt, der über 200.000 Menschen das Leben gekostet hat. Seither ist Algerien ein traumatisiertes Land. Die Menschen wissen nur zu gut, dass der Scharia-Islam nicht nur die Lebensfreude kosten kann, sondern auch das Leben.

Westliche Intellektuelle liefern Munition gegen die Anti-Islamisten

El Watan, die mutige antiislamistische Tageszeitung von Algier, erinnerte einen Tag nach der Veröffentlichung der Schmähschrift der 19 in einer leidenschaftlichen Stellungnahme für Daoud an die vielen in den „blutigen Jahren“ ermordeten algerischen Journalisten, „20 Jahre vor Charlie Hebdo“. El Watan fragt: „Wie kommen diese Intellektuellen mit ihrem strikten wissenschaftlichen Denken eigentlich darauf, dass Daoud, Boudjedra und Sansal (zwei weitere verfolgte Schriftsteller, Anm.d.Red.) zu einer ‚westlichen Minderheit‘ gehören? Was denn noch! Und selbst wenn es so wäre: Die Logik der Anzahl ist hier fehl am Platz.“

Um den Flüchtlingen gerecht zu werden, schreibt Daoud in seinem EMMA-Text, „muss man dem Körper Asyl bieten, aber auch die Seele davon überzeugen, sich zu ändern. (…) Asyl bedeutet nicht nur ‚Papiere‘ zu bekommen, sondern auch, die gesellschaftliche Übereinkunft der Moderne zu akzeptieren.“

Die Humanisten und Anti-Islamisten in der islamischen Welt, die es wagen, sich öffentlich kritisch gegen den Scharia-Wahn zu äußern, sind in der Tat in der Minderheit. Ganz einfach, weil Kritik das Leben kosten kann. Dass westliche Intellektuelle nun hergehen und den islamistischen Dunkelmännern auch noch Munition liefern gegen diese Todesmutigen, das ist ein Skandal.

Alice Schwarzer

Kamel Daoud: „Cologne, Ort der Fantasmen“, Essay, EMMA 2/2016. „Der Fall Mersault – eine Gegendarstellung“, Roman (KiWi).

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Alice Schwarzer schreibt

Die große Verschleierung

Alice Schwarzer mit ihrer algerischen Familie.
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Neben ihr rockte ihre gläubige, unverschleierte Schwester Zohra mit Ehemann Zahar, ein Möbelhandler, der in die Moschee geht und gerne Wein trinkt. Dazwischen die Töchter Lili und Mounia, die es in den „Schwarzen Jahren“ gewagt hatten, jeden Tag ohne Kopftuch zur Uni zu gehen, und das so manches Mal nur knapp überlebt haben. Nicht dabei war Djamilas alte Mutter, die das weiße, traditionelle Kopftuch trägt und jedes Jahr nach Mekka pilgert (wo sie seit Jahren auch für mich betet).

Doch am ausdauerndsten tanzte der Sohn des Hauses, Ganoud, tief gläubig und resolut lebenslustig. Wenn der Mittzwanziger mit uns durch die Stadt und an der Küste lang streifte, lautete jeder dritte Satz, mal ernst, mal lachend: „Alice, le prophete a dit ...“ Natürlich habe ich ihn damit aufgezogen. Aber ich habe ihn auch ernst genommen. Und er ist bis heute mein Maßstab: Ganoud, der sauer ist über die „Arroganz und Hegemonie des Westens“. Wenn ich mal wieder die Islamisten angreife, frage ich mich: Was würde Ganoud wohl dazu sagen? Und es würde mich tief beschämen, wenn er eines Tages auch mich in einen Sack mit den „arroganten Westlern“ stecken würde. Bisher ist das nicht geschehen. Ganoud und ich, wir bleiben im Dialog. In einem echten Dialog.
Denn der falsche Dialog und die so lange praktizierte falsche Toleranz haben allen geschadet, nicht nur uns Westlern, sondern allen voran der Mehrheit der nicht fundamentalistischen Menschen im muslimischen Kulturkreis, Gläubigen wie Ganoud und Nichtgläubigen wie Djamila.

Eine falsche Toleranz hat den Westen 30 Jahre lang wegsehen lassen: beim Iran, wo die Menschenrechte seit 1979 mit Füßen getreten werden; in Afghanistan, wo die Taliban mit aktiver Unterstützung Amerikas (und Deutschlands!) die sowjetischen Besatzer verjagten und 1992 die Terrorherrschaft übernahmen; in Tschetschenien, wo nicht nur die russische Soldateska von Übel ist, sondern auch die Islamisten ein Problem sind, die bereits 1996 (!) die Scharia einführten; in Algerien, wo die so genannten „Afghanen“, die aus dem Krieg in Afghanistan zurückgekehrten Söldner, in den 1990er-Jahren einen Bürgerkrieg anzettelten, der über 100 000 Menschen das Leben kostete; in Schwarzafrika, wo der von den Gotteskriegern gezündelte Flächenbrand unaufhaltsam um sich greift – und in Europa, wo wir es zugelassen haben, dass mitten unter uns Menschen als „die Anderen“, als BürgerInnen zweiter Klasse behandelt werden und der Rechtsstaat relativiert wird. „Die Kulturfalle“ nennt das die Fatwaverfolgte Khalida Messaoudi-Toumi, die als Mathematiklehrerin jahrelang auf der Flucht war und heute algerische Kulturministerin ist.

Dabei war alles von Anfang an klar. Als ich 1979 zusammen mit einer kleinen Gruppe französischer Intellektueller wenige Wochen nach der Machtergreifung Khomeinis im Iran war – dem Hilferuf entrechteter Frauen folgend – haben wir mit zahlreichen Verantwortlichen des neuen Regimes gesprochen: mit Ministerpräsident Bazargan (der wenig später ins Exil floh), mit Ober-Ayatollah Talegani (der später ermordet wurde) und mit den neuen Führerinnen der Iranischen Frauenunion (von denen bald viele spurlos verschwanden).

Diese in Granit gemeißelten „Heldinnen der Revolution“ hatten den Schah mit der Kalaschnikow unter dem Tschador verjagt oder waren aus dem Exil zurückgekehrt.

Sie alle waren aufgeklärte und hoch gebildete Menschen. Und sie alle antworteten auf unsere Fragen: Ja, wir wollen den Gottesstaat! Ja, wir werden die Scharia einführen, das ist Allahs Wille! Ja, selbstverständlich steht dann Tod durch Steinigung auf Homosexualität oder Ehebruch (der Frau)! Und dabei lächelten sie liebenswürdig.

Nein, die Islamisten haben nie einen Hehl aus ihren Absichten gemacht. So wenig wie einst die Nationalsozialisten. Auch in „Mein Kampf“ stand ja schon alles drin. Auch wir hätten es damals wissen können, ja müssen. Und auch die aufgeklärten Muslime haben lange, zu lange geschwiegen – aus Angst, des „Verrats“ an der eigenen Community bezichtigt zu werden. Die Ersten, die redeten, waren nicht zufällig die Töchter, die sich nicht langer wegsperren und zwangsverheiraten lassen wollten.

Als ich damals nach wenigen bewegenden Tagen Iran wieder verließ, schrieb ich: „Sie alle waren gut genug, für die Freiheit zu sterben – sie werden nicht gut genug sein, in Freiheit zu leben.“ Und seither hat EMMA nicht aufgehört, über die Gefahr des Islamismus zu berichten und vor den Folgen zu warnen.

Die Beiträge in "Die große Verschleierung" sind in den vergangenen Jahren in EMMA erschienen. Sie stammen von Betroffenen - wie der Deutsch-Türkin Necla Kelek, der Algerierin Djamila Benhabib oder anonymen deutschen Konvertitinnen - und Expertinnen: wie der Philosophin Elisabeth Badinter, der Islamwissenschaftlerin Rita Breuer oder der Journalistin Antonia Rados. Sie alle beschäftigen sich übrigens nicht mit dem Islam als Religion. Der ist eine Glaubensfrage und seine Reformierung in erster Linie Sache der Muslime selbst. Ihnen allen geht es um den Islam als politische Strategie, den Islamismus.

Die islamistischen Agitateure werden nicht selten ausgebildet in Iran oder Afghanistan beziehungsweise Ägypten und finanziert von Saudi-Arabien. Sie haben es verstanden, ihre wahren Motive zu verschleiern und Gutgläubige im Namen einer falschen „Toleranz“ und „Religionsfreiheit“ in die Irre zu führen. Doch ihr wahres Motiv ist nicht der Glaube, es ist die Macht.

In Deutschland sind die Islamisten vor allem in den Universitäten, bei den Protestanten und im alternativen Milieu auf offene Ohren gestoßen. Hierzulande waren das schlechte Gewissen und die Angst, wieder etwas falsch zu machen in Sachen Fremdenliebe, besonders groß. Und groß war auch die Bereitschaft gläubiger Altlinker, nach dem Tod ihrer Götter Mao und Che Guevara, neuen Göttern zu folgen: Allahu Akbar! Vermutlich hätten die jungen Konvertiten der so genannten „Sauerlandgruppe“, die beinahe ein blutiges Attentat unvorstellbaren Ausmaßes mitten in Deutschland angerichtet hätten, ein, zwei Generationen zuvor bei der RAF mitgemacht.

Doch die Terroristen sind in Europa heute eigentlich (noch?) nicht das Problem. Das wahre Problem ist die systematische Unterwanderung unseres Bildungswesens und Rechtssystems mit dem Ziel der „Islamisierung“ des Westens, im Klartext: die Einführung der Scharia mitten in Europa. Europas charismatischster islamistischer Propagandeur einer Islamisierung – und gern gesehener Gast bei renommierten akademischen und politischen Kolloquien – ist Tariq Ramadan. Der Mann mit dem Schweizer Pass ist ein Enkel des Gründers der ägyptischen Muslimbrüder, die die Urzelle der Islamisten waren.

Die eilfertigsten HelferInnen dieser Kräfte sind heute oft KonvertitInnen, und das in allen Lebensbereichen: an Universitäten, im Rechtswesen wie in den Medien. Diese Konvertiten sind mal offen, mal verdeckt konvertiert. Je nach Strategie. Die Taktik der Alt- und Neu-Islamisten ist seit dem 11. September 2001 mehr denn je die Verschleierung: die Verschleierung ihrer Absichten wie die Verschleierung der Frauen.

Doch unabhängig von den jeweils subjektiven Motiven der verschleierten Frauen selbst (die durchaus lauter sein können), ist die objektive Bedeutung eindeutig: Das Kopftuch ist seit dem Sieg Khomeinis im Iran 1979 weltweit die Flagge der Islamisten.

Wir dürfen nicht langer wegsehen, wir müssen hinsehen, genau hinsehen! Wem das bisher noch nicht klar war, dem öffnet die Lektüre dieses Buches hoffentlich die Augen.
 

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Alice Schwarzer (Hrsg) "Die große Verschleierung. Für Integration. Gegen Islamismus".  (KiWi)  Das Buch ist nur noch als Ebook erhältlich.

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