Meine Existenz stand auf dem Spiel
Ich möchte euch die einfachere und persönlichere Seite der Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die nicht nur einem Journalisten passieren kann. Die Realität ist, dass ich nicht gerade gefeiert wurde, als ich im letzten Jahr begann, die Geschichte rauszubringen. Ich machte meinen Job in einer Zeit, in der wenige Menschen daran glaubten, dass das eine Erfolgsgeschichte werden würde.
In Wahrheit stand meine Karriere vor dem Abgrund. Ich hatte keine Unterstützung mehr von meiner Agentur. Mein Vertrag ging zu Ende. Und da ich mich weigerte, mit der Recherche an der Weinstein-Geschichte aufzuhören, bekam ich auch keinen neuen. Der Verleger meines Buches über „Das Ende der Diplomatie“ (Anm.d.Ü.: Gerade auf Deutsch erschienen) ließ mich fallen; er weigerte sich, auch nur eine einzige Seite meines Manuskriptes, an dem ich seit Jahren gearbeitet hatte, anzusehen.
Ich musste
mein Zuhause verlassen, weil ich verfolgt und bedroht wurde
Gleichzeitig erfuhr ich, dass eine andere Zeitung an einem Exklusivbericht über die Weinstein-Story arbeitete und dass sie mich überholen wollten. Mir wurde klar, dass ich allein dastand. Ich wusste nicht, ob es mir jemals gelingen würde, die Geschichte zu veröffentlichen, ob ein ganzes Jahr Arbeit daran zu irgendetwas führen würde. Ich wusste nicht, ob ich all die mutigen Frauen, die mir vertraut hatten, würde enttäuschen müssen.
Ich musste mein Zuhause verlassen, weil ich verfolgt und bedroht wurde. Ich wurde von einem mächtigen und reichen Mann mit Klagen bedroht. Er sagte, dass er die besten Juristen des Landes anheuern werde, um mich auszulöschen und meine gesamte Zukunft zu zerstören.
Ich dachte, selbst wenn es mir gelingen würde, all das durchzustehen, und ich einen Weg finden würde, diese Geschichte zu publizieren, wusste ich immer noch nicht, ob sie überhaupt irgendjemanden interessieren würde. Denn ich hatte ein Jahr lang mit Menschen verbracht, die mir sagten, dass dies keine Geschichte sei. Ich war ernsthaft an einem Punkt, an dem ich nicht wusste, ob ich morgen noch einen Job im Journalismus haben, ob ich überhaupt jemals wieder im Journalismus arbeiten können würde.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen erzählen, dass ich zuversichtlich war. Dass ich meiner selbst sicher war. Dass es mir nichts ausmachte, oder ich einfach sagte: „Zur Hölle damit!“. Würde es jemals einen Film darüber geben, bin ich sicher, dass es da einen Moment geben würde, an dem der Schauspieler grinsen, seine Stimme senken und sagen würde: „Nur über meine Leiche werde ich aufhören“ und dann festen Schrittes aus dem Raum schreitet.
Ich war verzwei-
felt, ich hatte Angst & wusste nicht, ob ich das Richtige tat
Aber die wahre Version ist, dass ich verzweifelt war, dass ich Angst hatte und nicht wusste, ob ich das Richtige tat. Da waren so viele Stimmen in meinem Ohr, die so überzeugende Argumente dafür hatten, dass ich gerade im Begriff sei, einen großen Fehler zu machen. Diese Menschen waren nicht böse, aber sie sahen die Welt so, wie sie vor einem Jahr noch war und schlussfolgerten: „Es ist es nicht wert. Du erzählst diese eine Geschichte auf Kosten so vieler anderer Geschichten“. Sie sprachen angesichts der Realität sehr rational darüber, was unsere Kultur akzeptieren würde und was die Gesellschaft interessiert. Und das waren Menschen, denen ich vertraute.
Auch meine Chefs sagten: „Du musst damit jetzt aufhören, lass es los“. Mein Agent sagte: „Das wird zu viele Beulen in deiner Karriere hinterlassen.“ Und selbst geliebte Menschen fragten: „Ist es das wirklich wert?“ Sie sagten, dass ich meine gesamte Karriere aufs Spiel setzen würde für eine Geschichte, die vielleicht nichts bewirke. Ich habe über all diese Einwände sehr genau nachgedacht, weil ich selbst einfach überhaupt nicht mehr wusste, was ich denken sollte.
Ich erinnere mich gut an den Tiefpunkt im letzten Herbst. Ich schlief nicht mehr und verlor Gewicht. Ich saß in einem Taxi und fuhr von einem Informanten zum nächsten, am Telefon meine schon so lange tapfer mitleidende Beziehung. Ich hatte gerade erfahren, dass ich vermutlich endgültig von einer anderen Zeitung überholt worden war. Ich sank in mir zusammen und weinte. Ich erinnere mich, dass ich sagte: „Ich habe mich zu weit aus dem Fenster gehängt. Ich habe mich verzockt. Ich habe alles verloren.“ Und meine Beziehung sagte: „Okay, wir werden zuhause über all das sprechen. Aber gib jetzt dem Taxifahrer erstmal ein ordentliches Trinkgeld.“ (Der Fahrer hieß Omar, und er war sehr mitfühlend. Vielen Dank, Omar.)
Ich habe dennoch nicht aufgehört. Ich hätte mir sonst nie wieder ins Gesicht schauen können, wenn ich den Frauen, die so viel riskiert haben, nicht gerecht geworden wäre. Und auch, weniger nobel: Weil ich schon zu hoch gepokert hatte und es keinen Weg mehr zurückgab.
Im Rückblick ist es immer klar, ob Entscheidungen richtig waren oder nicht. Im Rückblick weiß man, ob es richtig war, die Pistolen rauszuholen oder aber die andere Wange hinzuhalten. Ob es richtig war, eine Geschichte nicht aufzugeben und weiterzumachen, oder ob es richtig war aufzugeben. Und zwar nicht, weil du feige bist, sondern weil es andere Geschichten gibt und so vieles, was man machen kann.
Ich habe nicht aufgehört. Ich hätte mir sonst nie wieder ins Gesicht schauen können.
Aber in dem Moment, da weiß man nicht, wie wichtig eine Geschichte wird. In dem Moment, da weiß man nicht, ob man kämpft, weil man richtig liegt, oder ob man kämpft, weil das eigene Ego, der Wunsch zu siegen, das Selbstbild vom Helden in der Geschichte die eigene Wahrnehmung vernebeln. Man kann ein Feeling haben. Man kann einen Instinkt haben. Man kann einem Bauchgefühl folgen: Eine kleine innere Stimme sagt dir, was zu tun ist. Aber du kannst dir eben nicht sicher sein.
Das ist ein Thema, das viele Journalisten und Journalistinnen hier in ihrer Arbeit beschäftigt. Auch Alice hat dies getan, sie hat harte politische Fights ausgefochten und den Frauen immer und immer wieder eine Stimme gegeben - selbst wenn dies hieß, harte Kontroversen durchzustehen. Und auch das Team von der Zeit, das den Skandal um den deutschen Regisseur recherchiert hat, hat das riskiert.
Also, wenn ihr überzeugt seid von eurer Wahrheit, liebe Kollegen und Kolleginnen. Lasst euch nicht einschüchtern! Macht euer Ding!
Der Text ist ein gekürzter Auszug aus der Dankesrede von Ronan Farrow für die Verleihung des Sonderpreises vom „Reporterpreis“ am 3. Dezember 2018 in Berlin. Hier Teil 1 und Teil 2 der Rede zum Anhören.