Meine Katzen und ich
Meine Lebenskatze hieß Lilli. Sie war von 1979 bis 1998 an meiner Seite. Für uns beide eine entscheidende und nicht immer leichte Zeit. In der EMMA-Redaktion pflegte Lilli am liebsten auf meinem Schreibtisch in meinem Körbchen „Aktuelles“ zu sitzen – und wehe, ich wollte eine Unterlage rausfischen. Dann wurde gefaucht und die Tatze erhoben. Ihr Lieblingsspielzeug waren Büroklammern, die sie wie ein Hund apportierte. Und ihre Lieblingsüberraschung war, über Nacht das gefüllte Gemüsefach aus der Redaktionsküche bis vor mein Büro zu schleifen: Guck mal, nur Gemüse…
Lilli konnte nämlich Eisschränke öffnen. In meiner Kölner Wohnung, die modern ohne Türen zur Küche war, bedeutete das, dass die Eisschranktür mit mindestens drei breiten Klebestreifen verschlossen werden musste.
Lilli war rothaarig, noch bevor rote Katzen dank Whiskas in Mode kamen. Ich wollte unbedingt eine Rothaarige und bekam den Tipp: In einem Dorf im Bergischen soll es eine rote Katze geben. Ihre Mutter war halbwild und lebte draußen. Sie kam mit ihren vier Kleinen nur zum Fressen ins Haus, wo sich dann alle um den Fressnapf schlugen. Es galt das Recht des Stärkeren. Lilli war die Stärkste.
Mädchen oder Junge? Mädchen, hieß es. Im Alter von etwa drei Monaten musste Lilli zum Tierarzt. Redaktionsschluss. Stress. Also ging die junge Packkraft mit ihr zum Tierarzt. Zurück grinste sie von einem Ohr zum anderen: „Schönen Gruß vom Tierarzt, Alice. Diese Hoden wären unübersehbar.“ Tja. Ich beschloss, Lilli dennoch weiterhin Lilli zu nennen. Ich bin schließlich keine Biologistin.
Im Sommer 1980 kaufte ich ein Haus auf dem Land, ein altes Fachwerkhaus. Erster Akt: den viereckigen wurmzerfressenen Holztisch aus Irland in die Küche stellen. Zweiter Akt: die Hoftüre aushängen und zum Schreiner fahren. Der sägte die Katzenklappe in die Türe. Freiheit für Lilli.
Als ich zum ersten Mal drei Wochen weg war, in Urlaub, ließ ich Lilli allein zurück, wohlversorgt vom Nachbarn, der längst mehr Respekt vor Lilli hatte als vor seiner eigenen Katze. Zurück, würdigt Lilli mich keines Blickes. Beleidigt.
Am nächsten Morgen träume ich im Aufwachen, ich sei in einem Swimmingpool und werde im glucksenden Wasser hin und her gewiegt. Ich öffne die Augen. Fünf Zentimeter vor meinem Gesicht sitzt Lilli und starrt mich an. Langsam werde ich wach und realisiere – ich liege in Katzenpisse, die sich in der Mulde meines Kopfkissens gesammelt hat. Lilli starrt. Ich starre zurück. Und seufze: Ach, Lilli… Ich stehe auf, gehe ins Bad und stecke meinen Kopf unter die Dusche. Lilli folgt mir auf Schritt und Tritt. Sehr zufrieden.
Klar, Katzenpisse auch in der Reisetasche. Und Mäuse in meinen Schuhen und auf meiner Brust im Bett. Das ist ja kaum der Rede wert. Aber wie wir Verstecken gespielt haben! Dann versteckte Lilli sich in dem Regel hinter der offenstehenden Wohnzimmertüre. Ich musste durchs Haus gehen und Sätze sagen wie: „Ja, wo ist denn nur die Lilli… Ich kann sie ja gar nicht finden…“ Wurde es Lilli zu bunt, weil sie mich gar zu doof fand, kam sie hinter der Türe hervorgestapft, mit Holzpantinen, damit ich sie endlich, wenn schon nicht sehe, dann wenigstens höre. JedeR KatzenfreundIn weiß, wie laut diese Samtpfoten trampeln können, wenn sie nur wollen. In Berlin habe ich mal an einem Museum die Ankündigung einer Ausstellung gesehen, die den Titel hatte: „Tiere lügen nicht“. Haha.
Doch ich will auch nicht verschweigen, dass Lilli trotz aller grausigen Liebesbeweise wirklich Stil hatte. Aß ich alleine, durfte sie vor mir auf dem Tisch sitzen. Hatte ich ein Stück Fleisch auf der Gabel, hob sie schon mal die Tatze, um es runterzuhauen. Ich pflegte dann innezuhalten und ganz ruhig zu sagen: „Ich muss schon sehr bitten, Lilli. Ich klaue dir ja auch nicht dein Essen.“ Dann senkte Lilli mitten in der Bewegung die Pfote und ließ mich unbehelligt zuende essen.
Einmal hatte ich ein verirrtes kleines Kätzchen mit nach Hause gebracht. Ich war noch nicht ganz durch die Gartentür, da wurde Lilli der Chose ansichtig und begann, Laute auszustoßen, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte. So abgrundtief, so verzweifelt. Ich habe den Fall dann sehr, sehr schnell geklärt. Länger als eine halbe Stunde hätte Lilli diese Zumutung nicht überlebt.
Zwei Jahre nach Lillis bis heute nicht verwundenem Tod holte ich Frizzi. Sie sollte auf jeden Fall ganz anders sein als Lilli und ist es auch. Frizzi ist jetzt auch schon zwölf, sieht aber immer noch aus wie drei. Alle finden sie entzückend. Sie ist ein viertel Angora und eine Prinzessin. Sie ist in einem Korb unterm Bett der Hausherrin geboren. In ihrem Wurf war sie die Kleinste und Hübscheste. Ihr Lieblingsspiel im ersten Jahr war, auf die höchsten Bäume zu klettern und nicht mehr runterzukönnen.
Maunzmaunz. Das hat sie sich inzwischen abgewöhnt.
Einmal war ich für ein paar Wochen verreist und schwer erreichbar. Ich gab Frizzi so lange zu einer tierlieben Nachbarin, einen knappen Kilometer entfernt, wo sie im Bett schlafen durfte. Als ich zurück kam, starrten mich alle erschöpft an. Ein Drama war passiert. Frizzi war einige Tage nach meiner Abreise verschwunden. Unauffindbar. Was sollte man mir nur sagen, wenn ich zurück komme… In höchster Verzweiflung ging eine Freundin schließlich in mein verlassenes Haus, rief: “Frizzi! Frizzi!“ Und siehe da: Frizzi kam die Treppe runter, mit einer Maus im Maul. Frizzi, die Prinzessin, kann eben auch anders. Sie hatte sich zur Selbstversorgung entschlossen.
Von Frizzi ist zu berichten, dass ihr nächtlicher Lieblingsplatz meine linke Hüfte ist. Ich schlafe auf der Seite und Frizzi springt gerne nachts mit Wucht aufs Bett und stapft mit Holzpantinen auf meine Hüfte. Ich bin dann genervt. Aber auch geschmeichelt. Da ist sie ja.
Weihnachten. Klar, dass Frizzi unterm Baum sitzt und nach den Kugeln schlägt. Einmal hatte ich Mäuse. Es flog auf, weil sie an späten Abenden geschlichen kamen, um sich Lebkuchen vom Weihnachtsteller zu stibitzen. Und was tut Frizzi, das Prinzesschen, das gerne nachts zum Jagen unterwegs ist? Dreht einfach den Kopf weg. Keinen Bock auf Stress.
Alle meine Katzen kann ich hier nicht aufzählen. Aber meine erste will ich noch erwähnen. Ich hatte sie mir selber vom Heustall geholt in dem Dorf, in dem wir nach dem Krieg evakuiert waren.
Mein Großvater hatte mir einen Puppenwagen geschenkt, mit einer Puppe, die Mama sagen konnte. Das war eine unvorstellbare Rarität anno 1946. Aber wieso konnte sie Mama sagen? Ich untersuchte die leblose Puppe, montierte sie auseinander und war enttäuscht. Also lief ich in die Scheune, wo die Hauskatze ein paar Wochen zuvor Junge bekommen hatte. Und holte mir ein lebendiges Kätzchen. Mucki.
Als wir zurückzogen in die Stadt, saß Mucki auf meinem Schoß. Da sitzen seither alle meine Katzen.