Mutige Menschen: Alice Schwarzer
„Frauen begnügen sich nicht länger mit der Hälfte des Himmels, sie wollen die Hälfte der Welt.“
Als Angela Merkel schließlich gewählt, ernannt und vereidigt worden war, machten viele Kommentatoren Alice Schwarzer zur Hebamme der Bundeskanzlerin: Ohne die Frauenbewegung, ohne Alice und ihre Zeitschrift EMMA wäre das Frauenwunder von Mecklenburg nicht möglich gewesen. Mag sein.
Ich war immer ein Bewunderer von Alice Schwarzer, auch wenn ich mich oft über ihren schartigen Feminismus geärgert habe. Aber ihr frischer Mut, ihre lässige Unabhängigkeit und ihr betörender Witz waren mir am Ende doch wichtiger als jene polemische Härte, die mir, den einst babywindelnden Vater, dem Kochen, Abwaschen, Einkaufen und Bettenmachen nie eine Affäre war, oft so überholt erschien. Vermutlich fühlte ich mich einfach beleidigt und hätte Alice Schwarzers Feldzug nicht so persönlich nehmen sollen.
Gesellschaftliche Entwicklungen haben tiefere Strömungen, und wo wir sie zu steuern scheinen, dort schwimmen wir oft nur auf den Gezeiten. Die Pille hat vermutlich die Emanzipation der Frau mächtiger vorangebracht als alle Frauenbewegungen: Und es war ein Mann, der sie erfand. Frauen könnten auch kaum einen Kran bedienen oder eine Drehbank, wenn die einfallsreichen Männer nicht zunächst den Muskelbedarf wegkonstruiert hätten. Aber wie wir im Wechsel der Gezeiten die Geschichte dann begleiten, das zählt. Und das ist Alice Schwarzer eine große Figur. Eine bedeutende Frau. Ein Charakter, der man hätte sein mögen.
Dass es keine konkrete Freiheit auf dieser Welt geben kann ohne die Gleichberechtigung der Geschlechter hat Alice Schwarzer schon von ihren großen Vorgängerinnen gelernt. Sie hat also die Melodie unserer Zeit nicht erfunden, diesen Ton für mehr Freiheit und mehr Menschlichkeit, der unsere Breiten erfüllt. Aber sie hat dann diese Melodie für die Gleichberechtigung der Frau hier und in der Welt wirkungsvoll orchestriert, zeitweise das Orchester auch dirigiert und uns hören und sehen lassen, wie schön alles sein könnte.
Nicht Harmonie, sondern Eindeutigkeit war stets ihr Merkmal. Von sich selbst hat sie kürzlich gesagt, es habe sie nie viel Mut gekostet zu tun, was sie wichtig und richtig fand. Den Mutigen ist der Mut eben eine Selbstverständlichkeit. Unbekümmert hat Alice Schwarzer viele Türen geöffnet; die männlichen Türsteher haben sie nicht erschreckt. Ein Vorbild für Zivilcourage in unserem so ängstlich konformistischen Land ist sie allemal.
Keine Partei konnte sie zur Anpassung verführen, kein Gegenwind zum Beidrehen veranlassen. Im Kampf um die Freiheit und Unantastbarkeit muslimischer Frauen kennt sie keine Toleranz und duldet keine Multikulti-Sprüche. Weil also die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Welt noch immer mehr Tinte als Wirklichkeit ist, werden wir sie noch lange brauchen. Tätig und als Vorbild.
Klaus von Dohnanyi in „Mutige Menschen – Frauen und Männer mit Zivilcourage“ (Sandmann Verlag)