Abschied von Peter Merseburger
Er war der letzte dieser Handvoll großer Journalisten in den Sechziger- und Siebzigerjahren, die mich darin bestärkten, eine Journalistin mit Haltung zu werden. Jetzt ist Peter Merseburger im Alter von 93 Jahren gestorben. Wir haben uns noch vor wenigen Monaten wiedergesehen, beide ein wenig gerührt – was er wohl nie zugegeben hätte. Schließlich haben wir eine auch seiner größten Schlachten gemeinsam geschlagen: den Skandal um den 1974 nicht ausgestrahlten Film über eine Abtreibung.
Er war, wie es immer so nett heißt, „umstritten“.
Die war illegal, aber von Ärztinnen und Ärzten provokant öffentlich angekündigt worden, und wurde erstmals in Deutschland nach der sanften Absaugmethode durchgeführt. Chefredakteur Merseburger und NDR-Intendant Martin Neuffer hatten meinen Beitrag am späten Sonntagabend abgenommen. Am Montagnachmittag untersagten die ARD-Intendanten die Ausstrahlung des Abtreibungsfilms, sie hatten dem Druck der katholischen Kirche und der Bild-Zeitung nachgegeben. Es ist bis heute der eklatanteste Fall von Zensur in den Öffentlichen Anstalten.
Und was tat Merseburger? Er gab nicht etwa klein bei, sondern moderierte die Sendung demonstrativ nicht und setzte einen Sprecher an seinen Platz. Am nächsten Tag gaben wir – er, der Intendant und ich – eine Pressekonferenz, bei der sich die internationalen Medien drängelten. In den Tagen darauf strahlte der NDR den Beitrag aus.
Ich habe Merseburger für seine Charakterstärke nicht nur in dem Fall bewundert. Und ich war nicht die Einzige. Er war, wie es immer so nett heißt, »umstritten«. Von manchen reichlich gehasst, aber auch viel bewundert. Beides trug er mit Gelassenheit. Er galt als Linker, war aber eher ein Aufklärer und mit der SPD sympathisierender Liberaler. Politische Gläubigkeit war nicht seine Sache. Ihn charakterisierten Unabhängigkeit, Haltung und Gelassenheit.
Die Politik hatte ihn das Leben gelehrt. Der in einer bürgerlichen, eher unpolitischen Familie 1928 Geborene erlebte die Bundesrepublik ab ihrer Geburtsstunde als Student und Journalist hautnah. Das Grauen seines Kollegen Rudolf Augstein – der als junger Mann in den Krieg geschickt worden war und dieses Trauma lebenslang nicht verwunden hat – ist dem wenige Jahre jüngeren Merseburger erspart geblieben.
Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Peter Merseburger, der auch mal Journalist beim Spiegel war, in den Jahren 1967 bis 1975 als Leiter des politischen TV-Magazins Panorama, damals noch eine viel mehr beachtete Sendung. Ich habe ihn als freie Mitarbeiterin in den Jahren 1973 bis 1975 immer als offenen, kollegialen Chef erlebt. Jede Art von Machtdemonstration war ihm fremd. Und seine nie ganz ironiefreie Empathie hatte durchaus Charme.
Dennoch, auch Merseburger lebte natürlich in einer Man’s World. Das zeigt auch die Auswahl der von ihm in den späteren Jahren Biografierten: Brandt, Heuss, Schumacher, Augstein. Blicke ich heute auf Merseburgers Leben, muss ich sagen: Er hatte ein beneidenswertes Leben in einer spannenden Zeit – zu der er beigetragen hat.