Alice Schwarzer in anderen Medien

Neue Westfälische: Applaus für Alice

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Paderborn. So muss es sein! Kein freier Parkplatz, die Aula des Goerdeler-Gymnasiums zum Bersten voll. Alice Schwarzer ist der Popstar der modernen Frauenbewegung, innovativ, mutig und polarisierend wie sonst niemand. Endlich wieder in Paderborn, das letzte Mal ist satte 30 Jahre her. Zu verdanken ist dieser Besuch der Beharrlichkeit von Ute Schöttler von der Buchhaltung Linnemann und der Gleichstellungsstelle. Alice Schwarzers aktuelles Buch trägt den schlichten Titel "Lebenslauf", eine im letzten Jahr verfasste Autobiografie, aus der sie vorlesen will. Doch alle im Saal wissen: ein Abend mit Alice Schwarzer ist mehr als eine Lesung, denn als Freestylerin ist die Grande Dame der Emanzipation am Allerbesten.

Und schon zünden die Gags wie im Kabarett: Frau Schwarzer lobt das üppige Bildungsangebot der "Professionelle nouvelle" und bedauert ernsthaft, nicht beim intuitiven Bogenschießen am Nachmittag dabei gewesen zu sein, aber bei der EMMA wird sie immer noch gebraucht, was viel Zeit koste. Offen bleibt, ob sie das jetzt wirklich ernst meint - auch wie sie den Begriff "administrativer Feminismus" benutzt, birgt jede Menge Interpretationspotential.

Dieser "administrative Feminismus" sei wahrscheinlich verantwortlich dafür, dass kaum Männer im Publikum sitzen. Die bilden sich sicher beim gleichzeitig stattfindenden Seminar "Ich koch für dich" fort, einem Männerkochkurs der Gleichstellungsstelle.

Alles vollkommen entspannt, in jenem freundlich nonchalantem Plauderton, den wir aus ihren Fernsehauftritten kennen und der sie nur verlässt, wenn sie sich so richtig aufregt. Doch dafür gab es am Freitag keinen Grund. Auch das Lesen gleicht eher dem Erzählen, immer wieder schweift sie ab, erklärt, erläutert und peppt den sowieso schon spannenden Text mit eigenen Anekdoten auf.

Im "Lebenslauf" geht es um die bewegten Jahre von ihrer Geburt 1942 bis zum Start von Emma 1977, frau darf sich also auf weitere Bände freuen. Um Bomben auf Wuppertal, die erste Tanzstunde: "Doch jetzt begreife ich schlagartig: Mein Wert hängt einzig und allein davon ab, ob ich einem der Jungen, die da sitzen, gefalle und in den nächsten Sekunden aufgefordert werde - oder sitzen bleibe."

Alice Schwarzer hebt den Blick, schaut in die Menge und erläutert ihre eigene Lesedramaturgie: "Ich mach hier mal so’n suspence . . . " Und die alten Muster wirken noch immer, frau will tatsächlich dringend wissen, ob nun oder ob nicht. Sie wird!

So vergehen anderthalb Lesestunden unglaublich schnell, bis die ersten Fragen kommen, da wird es noch spannender. Was sagt sie zum Sadomaso-Bestseller "50 shades of grey"? Tatsächlich hat die immer wache Journalistin zwei der Bände ganz gelesen, die anderen beiden aufmerksam durchgeblättert und kann die Damen im Saal beruhigen: Nur der Mann sei erwartungsgemäß ein kleiner Sadist, die Dame in dem Buch bei weitem keine Masochistin, sie liebe ihn nur. Und im dritten Band sind sie auch schon verheiratet. Die Koordinaten stimmen also, kein Grund zur Aufregung.

Warum hat sie im Kachelmann-Prozess die windige Bild-Zeitung als Sprachrohr genutzt? In Spiegel und Zeit habe es lange vor dem Prozess die ersten Verdächtigungen gegen das Opfer gegeben und da die Bild-Zeitung immer noch mehr LeserInnen erreicht als die EMMA, habe sie sich für Bild entschieden.

Doch die meisten Frauen im Publikum wollen sich einfach bedanken und tun das auch, ohne dass es peinlich wird. Alice Schwarzer hat unser Leben begleitet, immer die richtigen Fragen gestellt und Kampagnen eingeläutet, sei es beim Paragraph 218, beim kleinen Unterschied, bei allem eigentlich, und es ist ein schönes Gefühl, dass da jemand ist, der ganz genau hinschaut. Und wer sich jemals gefragt hat, wie Alice Schwarzer soviel Konflikte und Anfeindungen ausgehalten hat und aushält, bekam spätestens während der lang anhaltenden Standing-Ovations eine Ahnung. Alice Schwarzer wird gebraucht, immer noch!

Ulla Meyer, Neue Westfälische, 23.9.2012

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