Schwarzer moderiert Maischberger
Am Dienstag, 11. April moderierte Alice Schwarzer an Stelle von Sandra Maischberger, die während ihrer Babypause von prominente Gastmoderatoren vertreten wurde, die Sendung "Menschen bei Maischberger", Thema: "Früher, härter, unromantischer - Sex ohne Liebe". Hier eine Auswahl der Medien-Reaktionen.
Warum gibt es eigentlich keine regelmäßige Alice Schwarzer-Talkshow? Wie die Moderatorin hier, charmant, gut vorbereitet, bei Bedarf sanft ironisch, ihre Gäste dirigierte, das macht ihr so rasch niemand nach. Sogar mit dem Deutschrapper und Pornoproduzenten Manuel Romeike aka "Orgi" blieb die Moderatorin weise und humorvoll - was angesichts eines Orgi gar nicht einfach ist. Orgi dichtet über Mädchen unter dem Titel "Du nichts - ich Mann" Dinge wie "du siehst aus wie Scheiße" oder "blase, bis du kotzt". Er sollte eine Chance zur Einsicht bekommen. Abgeklärt, freundlich erkundigte sich die Moderatorin: "Ist Ihnen so was eigentlich nicht peinlich?" Orgi nun mochte rein gar nichts einsehen. Vielmehr fand er, was er mache sei "Kunst" und "halt auch so 'n bisschen Partystimmung". Den Zweck aber - auf das Publikum einzuwirken - hat Alice Schwarzer erfüllt. Eingeladen hatte Schwarzer auch eine scheue, junge Frau, die mit dreizehn Mutter geworden war, sowie eine andere, die von einem halben Dutzend Männer vergewaltigt worden war. Dass viele Mädchen unter dem Druck einer pornografisierten Gesellschaft, kaum noch ihren Gefühlen trauen und nicht mehr wissen, wann sie "Nein" sagen dürfen oder müssen, berichtete besorgt die Essener Ärztin Esther Schoonbrood. Pornografie werde zur Leitkultur der Unterschicht, pflichtete der alarmierte Präsident der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung bei, Professor Jakob Pastötter. Mit seiner Erkenntnis - wer nicht gelernt habe, über Gefühle zu sprechen, dem werden sie entgleiten - prägte er den Satz des Abends: "Soziale Verwahrlosung kann ich auf einen Nenner bringen: Das ist Sprachlosigkeit." An diesem Abend wurde offen gesprochen, mit Alice Schwarzer als Muse.
Caroline Fetscher, Tagesspiegel, 12.4.2007
Alice Schwarzer legte an diesem Dienstag das Niveau so tief, dass man wohl noch in ein paar Jahren davon sprechen wird. Die EMMA-Gründerin mag viele Qualitäten haben. Moderieren gehört nicht dazu. Sie hört nicht zu und zettelt keine Gespräche an, wohl weil sie das Gefühl hat, jeder Dialog schmälere ihre Redezeit. Bushido habe wegen einer Fußverletzung abgesagt, heißt es beim WDR, statt seiner hatte die Redaktion einen erfolglosen Möchtegern-Rapper und Pornoproduzenten auftreiben können, der den Kreuzbraven gab und sich schwer missverstanden fühlte, als die Gastgeberin fast genussvoll aus seinen schweinösen Texten zitierte. Bei solch weichem Ziel verpuffte die verbale Kraft von Frau Schwarzer, die unter Auslassung wichtiger Vokale ständig von "Sexlität" nuschelte. Dabei wollte Alice den 1,7 Millionen Zuschauern doch so gerne zeigen, dass sie sich im bösen Pornoland bestens auskennt und weiß, wie die wahren Schurken sprechen. Weniger Einfühlungsvermögen bewies sie bei zwei Mädchen, in deren leidvoller sexueller Erfahrung sie kramte wie in einer unaufgeräumten Schublade. Als sie alles gesehen hatte, schob sie die medial ausgeweideten Opfer an den Bildschirmrand und vergaß sie dort. Es sind solch unfassbar zynische Momente, die zeigen, dass Kerner und Beckmann nicht alles falsch machen.
Hans Hoff, Süddeutsche Zeitung, 12.4.2007
Doch die ARD hatte bei der Besetzung der Runde ein gutes Händchen bewiesen und Sexualexperten und Jugendliche eingeladen. Ärztin Esther Schoonbrood erzählte von zwölfjährigen Mädchen, die zwar nicht wissen, was die Periode ist, aber schon Oralverkehr praktizieren, und von Jungen aus der fünften Klasse, die sie dabei mit ihren Handys filmen. Alles Dinge, von denen man lieber gar nichts gewusst hätte, doch Alice Schwarzer kannte kein Erbarmen und sprach auch noch mit der inzwischen 18-jährigen Melanie. Die war als junges Mädchen von ihrem Freund und vier anderen Jugendlichen gemeinschaftlich vergewaltigt worden. Schwarzers einfühlsamen Fragen war es zu verdanken, dass diese Enthüllungen zwar die ganze Tragweite der Tragödie des Mädchens schonungslos deutlich machten, aber nicht ins Sensationslüsterne abdrifteten. Überhaupt schlug sich die „Emma“-Herausgeberin als Talkmasterin bravourös, behandelte das Thema ohne falsche Scham und ihre Gäste mit der richtigen Mischung aus Sachlichkeit und Empathie.
Christian Poh, WeltOnline, 11.4.2007
Die Tatsache, dass Pornokonsumenten immer jünger, die Pornoinhalte immer härter und die Zugangsmöglichkeiten zum Sexstoff immer einfacher werden, ist auf jeden Fall und dringend mehr als eine Diskussion wert. Nur kann Frau Schwarzer leider nicht diskutieren. Sie kann nur lächelnd in den Mund legen, wenn sie etwa die junge Mutti fragt, ob sie sich weiland beim ersten Mal nicht nur dem Willen ihres damaligen Freundes gebeugt habe und auf die Antwort - "nein, ich war verliebt" - nicht eingeht. Sie kann nur voreingenommen implizieren, wenn sie danach in die Frage an die ebenfalls in der Runde sitzende Mutter jener "Teenmom" im Nebensatz ein "ihre sehr schlanke Tochter, schlanker kann man kaum sein" einflicht. Sie kann nicht zuhören, sie kann nicht bloßstellen, noch nicht mal den schlichten Rapper King Orgasmus One, dessen Versuch, seine provokanten, übertriebenen "Ich bin der Größte und besorg's dir, du Hure"-Texte mit Freiheit der Kunst und Ironie zu erklären, so kläglich scheitert, dass es durchaus etwas Amüsantes hat. Schwarzer lässt danach lieber eine 18-Jährige von einem brutalen Sexualverbrechen erzählen und untermauert damit flugs ihre 30 Jahre alte, durchaus fragwürdige "PorNo"-These vom Zusammenhang zwischen Pornokonsum und sexueller Gewalt. Und dann spricht sie nassforsch für alle Frauen, indem sie sämtlichen von der Pornoindustrie lebenden Arbeitnehmerinnen die Freiwilligkeit und die Lust an der Sache sowie sämtlichen durchaus vorhandenen Porno-Konsumentinnen die Existenz abspricht.
Jenni Zylka, Spiegel Online, 11.4.2007