Alice Schwarzer schreibt

Recht ohne Rache

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Dabei hatte der Stalker, der damals der Studentin die Schwefelsäure auf ihrem Heimweg ins Gesicht geschüttet hatte, im letzten Augenblick noch mal nachgeladen. Ihr deutscher Verlag, mit dem sie gestern telefonierte, berichtet, der von seiner Familie begleitete Täter habe sie vor aller Augen noch bis zuletzt beschimpft: Unter Tränen habe er ihr entgegengeschleudert: „Du fette Kuh, du alte Jungfer. Du wirst büßen, für das, was du tust!“

Ameneh tat es nicht. Nach ihrer Erklärung, dass sie auf die Vollstreckung des Urteils verzichte, sprang Madschid auf, küsste ihr die Hände und Füße und flehte: „Bitte heirate mich. Ich möchte für immer dein Diener sein.“ Doch so einfach ist es nicht mit einer Kämpferin wie Ameneh, die heute im Westen lebt und über das Verbrechen, das ihr in ihrer Heimat, wo eine Frau nicht Nein sagen darf, widerfahren ist, ein international beachtetes Buch geschrieben hat („Auge um Auge“).

Die junge Frau antwortete ihrem Fast-Mörder: „Ich werde dich niemals heiraten! Ich habe nicht deinetwegen verzichtet, sondern meinetwegen.“ Sie sagt heute, sie habe diesen Entschluss, um ihr Recht auf Rache zwar zu kämpfen, es aber nicht zu vollstrecken, schon vor sieben Jahren gefasst, aber niemandem etwas davon gesagt.

Noch sitzt der seit 2008 inhaftierte Madschid Mowahedi im Gefängnis. Denn noch steht die Entscheidung über die Schadensersatzklage aus. Mit den geforderten 150.000 Euro könnte das Opfer wenigstens einen Teil der bisher sieben Operationen bezahlen, mit denen die Ärzte um ein Minimum ihrer Sehfähigkeit und ein menschliches Gesicht kämpfen.

Ich hätte es verstanden, wenn Ameneh sich gerächt hätte. Aber ich finde es noch bewundernswerter, dass diese so geprüfte Frau sich nicht vom Gegner die Menschlichkeit rauben lässt. Sie hat es eben nicht „Auge um Auge“ heimgezahlt – aber sie hat den Frauen und Männern in ihrem Land und in der ganzen Welt bewiesen, dass selbst im Iran eine Frau Rechte hat. Wenn sie darum kämpft.

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