Schwarzer: Flagge der Islamisten

Foto: Bettina Flitner
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Nasrin kann nicht hier sein. Sie ist wieder im Gefängnis. Ich habe heute Morgen mit ihrem Mann Reza Khandan telefoniert: Nasrin wird gerade in das Evin-Gefängnis verlegt. In diesen Stunden ringt sie um ihre Menschenwürde und um, ja, um ihr Leben.

Preisverleihung des Heldinnenawards im Wappensaal des Roten Rathauses in Berlin. - Foto: Bettina Flitner
Preisverleihung des Heldinnenawards im Wappensaal des Roten Rathauses in Berlin. - Foto: Bettina Flitner

Wir verleihen heute im Namen der von mir gegründeten Stiftung erstmals den HeldinnenAward. Nicht zufällig an die Iranerin Nasrin Sotoudeh.

Der Kampf der Frauen um ihre Menschenwürde begann im Iran nicht erst 1979. Er begann, wie im Westen, Mitte des 19. Jahrhunderts, wie wir gleich von Mansoureh hören werden.

Der Schleier war nie „nur ein Stück Stoff“, wie manche hierzulande gerne behaupten. Er war von Anbeginn an im iranischen Gottesstaat die Flagge des politischen Islam. Nicht im islamischen Glauben, sondern in der islamistischen Ideologie, die den Glauben in Geiselhaft nimmt. Dessen erste Opfer sind nicht wir, sondern die Muslime.

Wenige Wochen nach seiner Machtergreifung ließ Ayatollah Khomeini ausgerechnet am 8. März, dem internationalen Frauentag, alle nicht verschleierten Frauen aus den Universitäten und Büros und von den Straßen jagen. Begründung: Sie sollten sich „sittsam“ anziehen, also verschleiern.

Es waren genau die Frauen, die in den Jahren zuvor den Schah bekämpft und die Rückkehr Khomeinis begrüßt hatten. Nicht selten mit der Kalaschnikow unter dem Tschador. Sie waren bereit, ihr Leben für die Freiheit zu riskieren – aber sie waren es nicht wert, in Freiheit zu leben.

Der Schleier war nie "nur ein Stück Stoff",     wie manche hierzulande gern behaupten

In den folgenden Jahren schlugen die Revolutionsgarden, die Sittenwärter, den Frauen einen verrutschten Schleier auch schon mal mit Nägeln in den Kopf. Und bis heute werden unverschleierte Frauen – wie Nasrin auf der Beerdigung der 16-jährigen Armita Garavand – geschlagen und verhaftet. Und nicht selten auch ermordet.

Die Verschleierung der Frauen ist eine wahre Obsession der Islamisten. Es geht dabei um die vollständige Beherrschung und Auslöschung der Frauen. Während sich die Frauen in den westlichen Demokratien entblößen sollen, müssen die Frauen in den islamistischen Autokratien und Diktaturen sich verhüllen. Das sind letztendlich zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Unterdrückung der Frauen wird auf dem Schlachtfeld Körper ausgetragen. Die Zwangsverschleierung ist der totale Sieg des Patriarchats über die Frauen.

10. März 1979. Die Iranerinnen gehen für ihre Rechte und gegen den Schleier auf die Straße.
10. März 1979. Die Iranerinnen gehen für ihre Rechte und gegen den Schleier auf die Straße.

Im April 1979 folgte ich gemeinsam mit einigen Französinnen und einer Ägypterin dem Hilferuf von Iranerinnen, wenige Wochen nach Machtergreifung Khomeinis. Das Regime versuchte, uns in der Umarmung zu ersticken. Wir hatten Gelegenheit, mit den mächtigen Frauen der Frauenunion zu reden, alle Töchter und Ehefrauen der neuen Machthaber. Mit den Ayatollahs wie Taleghani. Und mit dem Ministerpräsidenten – der wenig später ins Exil flüchtete.

Verschleierung und Entblößung der Frauen sind zwei Seiten ein und derselben Medaille

Die neuen Machthaber antworteten uns ohne Zögern offen und mit Stolz: Ja, selbstverständlich Steinigung bei Ehebruch der Frau! Ja, selbstverständlich Steinigung bei Homosexualität! Ja, selbstverständlich keine vollen Bürgerrechte für Frauen und für jede einen Vormund! Undsoweiter undsofort.

Ich kam zurück nach Deutschland und schrieb, was ich gesehen und gehört hatte. EMMA berichtete seither über den weltweiten Siegeszug der Islamisten: nach Afghanistan, Tschetschenien, Algerien und ganz Nordafrika sowie bei den Palästinensern – und bis mitten in die westlichen Metropolen. Wir berichten seither kontinuierlich auch über den Widerstand der Iranerinnen, oft auch über den Kampf von Nasrin Sotoudeh.

Alice Schwarzer (2. v. li) 1979 mit dem "Commitée Simone de Beauvoir" in Iran.
Alice Schwarzer (2. v. li) 1979 mit dem "Commitée Simone de Beauvoir" in Iran.

Mit dem Resultat, dass vor allem Linke mich als „Rassistin“ beschimpfen. Die totale Unterwerfung der Frauen war von Anbeginn an das Ziel der Islamisten. Der Frauenhass und der Judenhass ist Teil ihrer DNA.

Die ägyptischen Muslimbrüder, der harte Kern der Islamisten, kooperierten schon in den 1930er Jahren mit dem Naziregime. Ziel: Die Vernichtung der Juden.

In den 1950er Jahren forderten die Muslimbrüder von Staatspräsident Nasser, der eher sozialistisch orientiert war, die Einführung der Zwangsverschleierung. Der lachte ihnen ins Gesicht.

Die ägyptischen Muslimbrüder kooperierten scon in den 1930er Jahren mit den Nazis

Und auch den „Arabischen Frühling“ unterwanderten die Islamisten rasch und füllten das durch die Verjagung der Autokraten entstehende Machtvakuum aus. Seither sind die Verhältnisse schlimmer denn je zuvor.

Seit Mitte der 1980er Jahre unterwandern die Islamisten die muslimischen Parallelgesellschaften im Westen und das Bildungswesen. In den Universitäten, den Medien und Parteien sind sie längst allgegenwärtig. Sie und ihre Anhänger und Anhängerinnen wagen es tatsächlich, in unseren Ländern weiterhin für ein „Recht auf das Kopftuch“ zu agitieren. In Zeiten, in denen das Kopftuch längst Symbol für die brutale Unterdrückung von Frauen geworden ist.

Von der 1995 eröffneten „König Fahd Akademie“ in Bonn konnte man vom ersten Tag an wissen, dass es eine Propagandazentrale des Islamismus war, EMMA berichtete vielfach. Doch erst über ein Vierteljahrhundert später wurde das entdeckt und der Wahnsinn gestoppt.

Lange waren die Vorsitzenden des „Zentralrates der Muslime“ bekennende Muslimbrüder. Bis heute sitzen in fast allen islamischen Organisationen in Deutschland Muslimbrüder und ihre Anhänger an entscheidenden Stellen. Doch niemand will es wahrhaben. Bis heute nicht.

Nasrin Sotoudeh ist Frauenrechtlerin,           sie ist Universalistin und Pazifistin

Auch die Palästinenser sind schon lange im Bann der Islamisten. Die einst so sichtbaren palästinensischen Heldinnen sind unter dem Schleier unsichtbar geworden.

Wir leben heute in einer Welt des Hasses, in der gegen den jeweiligen Feind alles erlaubt ist.

Wir aber ehren heute eine Frau, die für das Gegenteil steht. Nasrin Sotoudeh ist nicht nur eine Frauen- und Menschenrechtlerin, sie ist auch Universalistin. Und Pazifistin.

Ich bin glücklich, mit diesem Preis eine so ungewöhnlich mutige Kämpferin unterstützen zu können. Eine Frau, für die Gemeinsamkeiten schwerer wiegen als Unterschiede. Auch zwischen Frauen und Männern.

Und ich bin sicher, damit heute hier nicht allein zu sein.

Die komplette Aufzeichnung der Veranstaltung, 72 Minuten, steht auf youtube.
Weitere Informationen auf der Website der Alice-Schwarzer-Stiftung

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