Alice Schwarzer in anderen Medien

Schweiz: Schwarzer für Burka-Verbot

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Frau Schwarzer, in der Schweiz stimmen wir in einem Monat über eine Volksinitiative ab, die ein Verhüllungsverbot auf Verfassungsebene fordert. Würden Sie zustimmen?
Ja.

Weshalb?
Lassen Sie es mich so sagen: Die Vollverhüllung eines Menschen gehört nicht in eine Demokratie. Es ist schon bedrückend genug, dass Millionen Frauen in den sogenannten Gottesstaaten unter den Schleier gezwungen werden. Der Koran schreibt das übrigens nicht vor. Diese Tatsache haben auch die höchsten islamischen Geistlichen längst bestätigt. Begründet wird der traditionelle und vom Siegeszug der Islamisten neu befeuerte Verschleierungszwang damit, dass Haar und Körper einer Frau «Sünde» seien. Nur der eigene Mann soll seine Frau sehen – alle anderen Männer würden dadurch gereizt.

Eine Nikabträgerin sagte kürzlich im NZZ-Interview, der Nikab schütze sie gegen Männerblicke.
Ein eigenartiges Männerbild: Als wären Männer Tiere, die sich auf jede nicht verhüllte Frau stürzten. Es geht zudem nicht nur um subjektive Befindlichkeiten, sondern auch um objektive Signale. Die Verschleierung der Frauen ist die Flagge des politischen Islam. Aber ist es das, was wir nach 200 Jahren Aufklärung und 50 Jahren Kampf um Gleichberechtigung in unseren Demokratien wollen? Verhältnisse, in denen eine Frau unsichtbar sein muss, um sich vor Männerblicken zu schützen? Ist jeder Männerblick gefährlich? Das ist doch lachhaft! Sollen Frauen sich zwischen Entblössung und Verhüllung entscheiden müssen? Zwischen Prostitution und Burka? In beiden Fällen wird ja gerne mit der «Freiwilligkeit» argumentiert. Aber Freiheit impliziert auch die Pflicht, die Menschenwürde zu achten – selbst die eigene. Wir würden ja auch nicht zulassen, dass sich ein Schwarzer halbnackt und mit Ketten an den Füssen durch Zürich schleifen lässt.

Kann es aus feministischer Sicht nicht so etwas wie selbstbestimmte Verschleierung geben?
Laut Scharia sind Frauen Unmündige. Jede Frau, die die Burka oder den Nikab freiwillig trägt, bestätigt also ihre Rechtlosigkeit. Der Verschleierungszwang ist immer verbunden mit der Scharia, nach der Frauen rechtlose Unmündige sind und Männer das Gewaltmonopol über Frauen und Kinder haben sowie über alle «Ungläubigen». Als im August 2016 die syrische Stadt Manbij vom IS befreit wurde, rissen sich die Frauen die Schleier vom Körper und machten ein Freudenfeuer damit. Diesen Millionen Frauen in den islamischen Staaten gehört meine Solidarität – und nicht der obskuren Minderheit, oft verhetzt in Moscheen und finanziert von Saudiarabien oder der Türkei, die in Demokratien für das «Recht» aufs Kopftuch auch in Schulen und die Verhüllung der Frauen in der Öffentlichkeit kämpft.

Würden Sie sagen, dass die islamische Welt ein grösseres Problem mit den Frauenrechten hat als die christlich geprägten Kulturen? Das Alte Testament ist ja auch nicht gerade ein Leitfaden zur Gleichberechtigung. Ist Religion per se antifeministisch?
So ist es. Darum zitiere ich so wenig den Koran wie die Bibel, in der ja auch so einiges Fragwürdiges steht. Mein Thema ist der Missbrauch, die Politisierung des Glaubens, diese Übergriffe im Namen Gottes auf unser Leben und unsere Freiheit. Und da sehe ich die Rolle des Vatikans bei der Abtreibung oder die der Evangelikalen in Amerika, die zu 80 Prozent Trump gewählt haben, nicht weniger kritisch als die der Gottesstaaten sowie der Agitatoren und Islamverbände in unseren demokratischen Ländern.

In Deutschland bezeichnen linke Stimmen Sie oft als "Rechtsfeministin". Trifft Sie das?
Ich bin selbst ein Teil der Linken!

Ja, aber Sie werfen der Linken vor, bei jeder Kritik am Islamismus reflexhaft "Rassismus" zu rufen.
Es ist ein alter Trick der Islamisten, die Teile der Linken solide unterwandert haben und seit einem Vierteljahrhundert auch im Westen in der Offensive sind: Sie diffamieren jegliche Kritik am politischen Islam als angebliche Kritik am Islam, dem Glauben. Eine französische Kollegin, Caroline Fourest, hat jüngst in der «Emma» geschrieben, wir linken Islamismuskritiker müssten, wenn wir die Wahrheit sagen wollten, den Mut haben, uns von den selbsternannten «Antirassisten» als «rechts» und «islamophob» diffamieren zu lassen. Habe die Ehre.

Viele Musliminnen und Muslime in der Schweiz sagen, die sogenannte Burka-Initiative ziele auch auf den Islam und damit auf alle Muslime. Trifft das aus Ihrer Sicht zu?
Ganz im Gegenteil: Es hilft der Mehrheit der Nichtfundamentalisten, wenn man sie vor diesen Fanatikern schützt. Ich habe es schon oft gesagt, sage es aber gerne noch einmal: Ich habe noch nie ein Wort über den Islam verloren. Der ist nicht mein Thema. Der Islam ist ein Glaube, und ich bin für Glaubensfreiheit. Mein Thema ist der politische Islam. Dieser Islamismus, der den Glauben in Geiselhaft nimmt, ist keine Religion, sondern eine faschistoide Ideologie, die nicht nur den Frauenhass predigt, sondern auch den Judenhass und die antidemokratische Scharia. Die ersten Opfer dieser Islamisten sind die ganz normalen Muslime. Sie werden von den Fanatikern auf die Knie beziehungsweise unter den Schleier gezwungen.

Das - hier leicht gekürzte - Interview führten Christina Neuhaus und Simon Hehli. Es erschien zuerst auf nzz.ch am 6.2.2021.

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