Alice Schwarzer schreibt

Bundespräsident

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Beate Klarsfeld, 73, hat als Au-pair-Mädchen in Paris Serge Klarsfeld kennen- und liebengelernt, und sich von da an zusammen mit der vom Holocaust betroffenen jüdischen Familie der Jagd auf Nazis gewidmet. Sie ist also eine anständige Person, als Präsidentin von Deutschland jedoch denkbar ungeeignet. Schließlich lebt sie seit einem halben Jahrhundert in Frankreich. Und abgesehen von ihrem wackeren Kampf gegen die zum Glück langsam aussterbenden Alt-Nazis ist über ihre politischen Interessen hierzulande herzlich wenig bekannt.

Wahrscheinlich hat die Linke noch nicht einmal geahnt, dass Beate Klarsfeld selbstverständlich eine Anhängerin von Nicolas Sarkozy ist, dem konservativen Präsidenten, der für die Linke vermutlich des Teufels ist. Sie ist unter anderem für Sarko, weil dessen Familie ein durchaus ähnliches Schicksal erlitten hat wie die Familie Klarsfeld. Die Welt ist eben komplizierter als Frau/Mann, rechts/links, Gut/Böse.

Es gab in den Medien Stimmen, die es unpassend fanden, dass ich mich „von der CDU nach Berlin schicken“ lasse. Nun, ich muss sagen, jemand anders hat mir die Aufgabe der Wahlfrau in diesen vergangenen Jahrzehnten noch nie angeboten, weder die SPD, noch die FDP, und die Grünen schon gar nicht. Warum sollte ich also nicht auf Anregung der CDU hin das Staatsoberhaupt mitwählen? Schließlich setzt eine Partei mit den parteiunabhängigen BürgerInnen, die sie für würdig erachtet, den Bundespräsidenten zu wählen, Zeichen. Und das Zeichen, das man mit mir setzt, ist unmissverständlich: Frauen und Emanzipation.

Gleichzeitig mit mir hat die CDU in Nordrhein-Westfalen Mevlüde Genc eingeladen, zur Wahl anzutreten. Wir erinnern uns: Frau Genc war eine der Überlebenden bei dem rassistischen Brandanschlag 1993 auf das Haus der Familie in Solingen. Zwei Töchter, zwei Enkel und eine Cousine von ihr starben in den Flammen. Mevlüde Genc, 69, ist trotzdem in Deutschland geblieben und hat zum 10. Jahrestag des Grauens 2003 eine anrührende Rede gehalten: Frei von Rache und getragen von der Bereitschaft zur Versöhnung. Diese Frau steht also für wahre Integration. In der Gesellschaft von Mevlüde Genc werde ich mich wohl fühlen in Berlin.

Und die SPD und die Grünen? Auch sie machen Klientelpolitik mit ihren Repräsentanten. Die Grünen schicken den Regisseur Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“). Und die Sozialdemokraten den Comedian Ingo Appelt. Hallo Fans, wir lieben euch.

Natürlich ging meine Nominierung CDU-intern nicht so ganz glatt durch. Das wäre ja auch beunruhigend. Der NRW-Generalsekretär Oliver Wittke betonte bei seinem Vorschlag, man wolle damit zwar mein „Lebenswerk würdigen“, aber keineswegs „jede Äußerung in der Vergangenheit gutheißen“. Einige Vorstandsmitglieder hatten ihrem Generalsekretär nämlich bereits im Vorlauf Zunder gemacht: Frau Schwarzer gelte doch als „glühende Abtreibungsbefürworterin“. Die aktive Lebensrechtlerin und Bundesvorsitzende der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), Mechthild Löhr, verstieg sich sogar zu der unerhörten Behauptung, ich hätte „zur Abtreibung aufgerufen, als wäre es ein Verdienst“.
Nun, meine Wahl als Wahlfrau erfolgte dann dennoch ohne Gegenstimmen. Die Kanzlerinnenpartei will im Jahr vor der Bundestagswahl schließlich ihr modernes Gesicht zeigen.

Doch ist das Anlass genug für mich, ein paar klärende Anmerkungen zur Abtreibung zu machen. Selbstverständlich war ich noch nie „für Abtreibung“. Das wäre ja zynisch. Im Gegenteil: Feministinnen wie ich kämpfen seit 40 Jahren dafür, dass Frauen weniger ungewollt schwanger werden und darum auch seltener abtreiben. Und das haben wir erreicht. Noch nie ist in Deutschland so wenig abgetrieben worden wie im vergangenen Jahr: Mit 108.867 sank die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche allein in den letzten zehn Jahren um fast 20 Prozent.

Denn uns ging es selbstverständlich nie um mehr Abtreibungen, sondern immer nur um das Recht von Frauen auf Abtreibung: ohne Demütigung und Lebensgefahr – selbstbestimmt und mit medizinischem Beistand.

Frauen treiben ja nicht etwa aus Übermut ab, sondern aus Verzweiflung. Und sie treiben ab, wenn sie ungewollt schwanger sind und trotz Beratung für sich und ihr Leben keine Möglichkeit sehen, Mutter zu werden. Zwei von drei Abtreibenden sind übrigens bereits Mutter, oft von mehreren Kindern. Diese Frauen treiben, wie wir wissen, unter allen Umständen ab. Auch illegal, auch unter Lebensgefahr.

Diese entsetzlichen Verhältnisse von früher gehören dank der Frauenbewegung weitgehend der Vergangenheit an. Noch. Wir Frauen sind selbstbewusster, selbstbestimmter und unabhängiger geworden in den letzten Jahrzehnten – also werden wir auch seltener ungewollt schwanger und treiben weniger ab.

Doch der Vatikan und die ihm nahestehenden selbsternannten „Lebensrechtler“ – die schockierenderweise bei den Grünen, ja sogar der SPD inzwischen genau so zu Hause sind wie bei der CDU/CSU – geben keine Ruhe. Das Beinahe-Verbot der Präimplantations-Diagnostik (PID) 2011 und die scheinheilige Debatte um die Spätabtreibungen 2010 sind kein gutes Zeichen. Das in Deutschland eh schon durch die Beratungspflicht eingeschränkte Recht auf Abtreibung ist bedroht.

Es geht in der Abtreibungsdebatte also keineswegs nur um meine „Äußerungen in der Vergangenheit“, sondern auch um die in der Zukunft, liebe AbtreibungsgegnerInnen und Frauenbevormunder aller Couleur.

Aber jetzt gehe ich erst mal wählen. Den neuen Bundespräsidenten.

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