Alice Schwarzer schreibt

Was ich sagte - und was dann da steht

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Eine Stunde lang habe ich mit dem durchaus geschätzten Kollegen vom Stern über die Kanzlerin geredet. 1993 war ich ihr zum ersten Mal begegnet - da war sie noch Frauenministerin und wurde wegen ihres Gleichstellungsgesetzes angegriffen. Seither habe ich ihren Weg immer wieder mal gekreuzt. Geplaudert haben wir über einige meiner Erfahrungen mit ihr und meine Eindrücke. Von der einen Stunde sind dann drei, vier Minuten O-Ton übriggeblieben. So ist das mit den Medien. Die Zitate, die der Kollege dann in seiner Story über die Kanzlerin verwenden wollte, hatte er durchaus verabredungsgemäß mit mir abgestimmt. Soweit, so üblich. Aber was jetzt im Stern steht...

Das sind die mit mir abgestimmten Zitate für den Stern:

Über den Schröder-Auftritt: So richtig miteinander zu tun hatten wir eigentlich nur in den Wochen nach ihrer Wahl, als Schröder diesen historischen Auftritt im Fernsehen hingelegt hatte. Das war ganz großes Kino. Er brachial: Die kann das nicht! Sie verunsichert, weil ihr Sieg kleiner war als erwartet. Das hat mich schockiert. Erst da hab ich mich für sie engagiert und den Artikel in der FAS geschrieben: "Ein Mann sieht rot". Denn ich fand ganz einfach, dass jemand, der in einer Demokratie gewählt worden ist, dann auch regieren sollte - selbst wenn dieser jemand eine Frau ist. Aber das haben über Wochen alle versucht zu verhindern, die Opposition ebenso wie ihre eigene Partei. In der SPD hat mir das, glaube ich, bis heute niemand verziehen. Ich war ja von links die einzige, die das öffentlich als skandalös bezeichnete.

Über die erste Frau an der Spitze: Sie war ja quasi ein Betriebsunfall im Männerbund Politik. Nach der Ober-Macho-Dosis Schröder & Fischer hatte niemand mit einer Frau gerechnet. Selbst Freundinnen haben gesagt: Meinst du, die kann das? Jetzt ist das Land so weit. Nicht alle Frauen haben gleiche Chancen. Aber Angela Merkel hat bewiesen, dass eine Frau es kann.
Über die Vereidigung: Ich saß 2005 während der Vereidigung in Sichtweite ihrer Familie. Und während selbst ich schlucken musste - da hebt gerade zum ersten Mal eine Kanzlerin die Hand zur Vereidigung, hallo – saß ihre Familie da mit versteinertem Gesichtsausdruck. Stil: Nun wollen wir aber nicht übermütig werden; nun wollen wir uns nichts drauf einbilden; nun wollen wir schön bescheiden bleiben. Danach hat sie, glaube ich, Erbsensuppe gegessen. Ich finde, man hätte auch Champagner knallen lassen können.

Über eine Begegnung: Ein oder zwei Wochen, bevor sie Parteivorsitzende wurde, haben wir zusammen gefrühstückt, im Manzini in Berlin. Wir saßen hinten, da kam die CDU-Boygroup rein -  Wulff, Merz, Koch und so. Mir war sofort klar: Die Kombination Merkel und Schwarzer, das ist too much, einfach kastrierend. Die haben gedacht: Merkel und Schwarzer -  was ist denn jetzt los? Also sage ich: Tut mir echt leid, Frau Merkel, aber ihr Ruf ist jetzt ruiniert. Da hat sie gelacht und gesagt: Da kommt es jetzt auch nicht mehr drauf an.

Über die Vorbildrolle: Am Samstag vor Weihnachten habe ich immer Kindertag in meinem Haus auf dem Dorf. Weihnachten 2005 hatte es geschneit. Für eine kleine Verschnaufpause habe ich die Kinder in den Garten geschickt zum Schneemann-Bauen. Da klingelt es plötzlich Sturm: Vor der Tür steht ein Mädchenpulk und brüllt: "Alice, du musst sofort rauskommen! Die Jungs machen uns unsere Schnee-Merkel kaputt!" Da war Merkel mal gerade ein paar Wochen Kanzlerin. Und die Mädchen bauten sich schon eine Schnee-Merkel statt einen Schneemann. Soviel zu Merkels Funktion als Vorbild für Frauen.

Über Merkels Regierungsstil: Sogar die SPD-Frauen waren in der Großen Koalition unter Merkel selig, die konnten ihr Glück gar nicht fassen. Die waren vorher so gedemütigt worden von Schröder und Fischer. Die durften gar nicht den Mund aufmachen, da waren sie schon einen Kopf kürzer. Merkel muss niemanden demütigen, um jemand zu sein.

Über die Kanzlerin: Manchmal ärgere ich mich auch über sie. Aber ich mag ihre Sachlichkeit und Bescheidenheit, auch das Tollpatschige. Das hat ja schon fast Kultstatus.

Über Merkels Frauenpolitik: Sie scheint zu denken, es genügt, dass sie eine Frau ist. Sie hat in den vergangenen Jahren alle Konzessionen an den rechten Flügel auf Kosten der Frauen gemacht: die Befürwortung eines Verbotes der PID, die Blockade der Quote, das Mitmachen beim Betreuungsgeld.

Über Bayreuth und Tirol: Wir bei Emma jauchzen immer über Bayreuth. Kinder, sie hat wieder ein Taftkleid an! Taft - geht gar nicht! Stola - geht gar nicht! Farblich passende Schuhe - gehen gar nicht! Aber dann folgt Tirol. Jenseits aller High Heels und des ganzen Mode-Blablahs stapft die Kanzlerin auf ihren Wanderungen mit den gleichen Hosen, den gleichen Anoraks, den gleichen Schuhen wie ihr Mann durch die Berge. Das ist schlicht die Verkörperung des Ideals von der Gleichheit der Geschlechter. Ich finde das einfach wunderbar!

... und das wird jetzt im Stern von mir zitiert:

Von Stil und Haltung: Wir bei EMMA jauchzen immer über Bayreuth. Kinder, sie hat wieder ein Taftkleid an! Taft - geht gar nicht! Stola - geht gar nicht! Farblich passende Schuhe - gehen gar nicht!

Von Gegnern und Gockeln: Sogar die SPD-Frauen waren in der Großen Koalition unter Merkel selig. Die waren so gedemütigt worden von Schröder und Fischer. Merkel muss niemanden demütigen, um jemand zu sein.

Von Gefühl und Kalkül: Ich saß 2005 während der Vereidigung in Sichtweite ihrer Familie. Während ich schlucken musste, saßen sie da mit versteinertem Gesichtsausdruck - nun wollen wir uns nichts drauf einbilden, nun wollen wir schön bescheiden bleiben. Danach hat sie, glaube ich, Erbsensuppe gegessen. Ich finde, man hätte auch Champagner knallen lassen können.

Vom Kreuz mit der Partei: Sie hat alle Konzessionen an den rechten Flügel auf Kosten der Frauen gemacht: die Befürwortung eines Verbotes der PID, die Blockade der Quote, das Mitmachen beim Betreuungsgeld.

Ist es wirklich ein Zufall, dass nur ein paar läppische, kritische bis hämische Sätze übriggeblieben sind? Was will der Stern, der doch den Anspruch der Objektivität haben dürfte, uns damit sagen? Dass die "Frauenrechtlerin Schwarzer", die "Merkel-Freundin" (wie die taz bis zum Erbrechen schreibt), sich abwendet von der Kanzlerin?

Irrtum! Sie wendet sich nur ab von dieser Art von Journalismus.

Alice Schwarzer

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