Wie normal ist die Homo-Ehe?
„Union gibt Widerstand gegen Homo-Ehe auf.“ So lautete am Samstag die Schlagzeile auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung, die mir am Bahnhofskiosk in die Augen sprang. Umgehend kaufte ich die Zeitung. Denn dieser eine Satz machte mir schlagartig klar, was für eine Kulturrevolution wir da gerade erleben. Erst 1969 ist der Paragraph 175 abgeschafft worden, der männliche Homosexualität mit Gefängnis bestrafte (und weibliche ignorierte). Und erst seit Beginn der 1970er Jahre forderte die Frauenbewegung, sowie die darauf folgende Schwulenbewegung, die Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität - unter dem Kopfschütteln der meisten Bürger und Bürgerinnen in unserem Lande. Und selbst als EMMA 1984 als erste in Deutschland die Homo/Lesben-Ehe forderte (Titelstory!), da tat sie das versehen mit einem Fragezeichen. Die Forderung schien uns zwar konsequent, doch utopisch. Denn auch die Mehrheit der „antibürgerlichen“ Linken sowie „anti-Ehe“ Feministinnen war dagegen und kritisierte damals EMMA scharf. Und selbst ich, die ich damals erstmals das Recht auf die Homo-Ehe forderte – mit dem Argument, es sei „glatt revolutionär“ und eine „Unerhörtheit, die homosexuelle Liebe so ernst zu nehmen wie die heterosexuelle“ – selbst ich konstatierte gleichzeitig: „Ich bin sicher, dass diese Gesellschaft homosexuellen Frauen und Männern nie das uneingeschränkte Eherecht zugestehen wird!“ Ich sollte mich irren. Jetzt also auch noch die CDU.
Es sind die JuristInnen, es ist das Bundesverfassungsgericht, das mit seiner grundsätzlichen Haltung, die Ungleichbehandlung von Hetero- und Homopaaren nicht länger zu rechtfertigen, die Politik zwingt, auch gesetzlich nachzubessern. Schritt für Schritt. In Deutschland stehen jetzt nur noch das Adoptionsrecht und das Steuerrecht (Splitting) aus – und selbst das scheint in naher Zukunft zu kippen.
Das heißt, beim Splitting wird hoffentlich umgekehrt angeglichen: Indem das skandalöse Splitting nicht auch noch für Homo-Paare eingeführt, sondern für Hetero-Paare abgeschafft wird! Seit 30 Jahren protestieren Feministinnen und Juristinnen vergeblich gegen diese Milliarden-Subvention der Hausfrauenehe – jetzt scheint sie wirklich gefährdet. Denn im Zuge des aufflammenden konservativen Protestes gegen die Ausweitung des Splittings auf die Homo-Ehe – allen voran durch die CSU – könnte endlich das ganze Splitting kippen.
Das uneingeschränkte Adoptionsrecht allerdings muss in bälde auch Frauen- bzw. Männerpaaren eingeräumt werden. Unsere westlichen Nachbarn machen vor, wie das geht, allen voran Skandinavien und Frankreich.
50 Jahre also seit der von Feministinnen geforderten Gleichbehandlung der Liebe zwischen wie unter den Geschlechtern und fast 30 Jahre nach der ersten Forderung nach der Homoehe wird es ernst. Viel Zeit? Ja und Nein. Für ein Menschenleben sind ein paar Jahrzehnte viel, für eine Gesellschaft aber sind sie wenig bei einer so fundamentalen Änderung von Sitten und Gesetzen.
Doch geht das einfach so durch? Kaum anzunehmen. Auch bei den Konservativen wird es noch heftige Debatten geben. Denn wenn wir eines gelernt haben in den letzten Jahrzehnten, ist es dies: Wo Fortschritt ist, droht immer auch Rückschritt.
Und in der Tat: Während nicht nur Liberale und Linke, sondern auch Konservative sich der Logik beugen, dass eine Ehe, die nicht länger nur Produktionsgemeinschaft für Kinder, sondern vor allem ein Bund der Liebe ist, eben die „Ehe für alle“ (Präsident Hollande) sein muss – währenddessen rüsten die Dunkelmänner und –frauen auf.
In den islamistisch beherrschten Ländern steht auf Homosexualität im Jahr 2013 die Todesstrafe. Auch mitten unter uns bedeutet in fundamentalistischen Milieus, islamischen wie christlichen oder jüdischen, die offene Homosexualität für die Betroffenen das Aus: Liebesentzug, Ächtung, Enterbung. Und auch in den homophoben Ex-Militärdiktaturen Osteuropas bleiben homosexuelle Frauen und Männer Aussätzige, ja droht ihnen bis heute Gefängnis.
Nicht zufällig haben alle religiösen Fundamentalisten und autoritären Regime als erstes die Emanzipation der Frauen und als zweites die Homosexualität im Visier. Beides erschüttert schließlich die Liebesordnung und damit auch die patriarchale Hierarchie.
Wo soll das hinführen, wenn Frauen auch Frauen lieben können – und Männer für sie nicht länger das Maß aller Dinge sind? Wo sollen wir hinkommen, wenn Männer auch Männer lieben können – und die sado-masochistische, männliche Herrschaftsstruktur nicht mehr auf Verdrängung bauen kann? Denn der Nährboden, auf dem Ergebenheit und hündische Unterwerfung wachsen, ist ja nicht zuletzt die mit einem schlechten Gewissen und Schuld beladene, verdrängte Homosexualität – die dann masochistisch bzw. sadistisch ausgelebt wird.
Eines ist klar: Die Kluft zwischen hie Akzeptanz, ja Normalität der Homosexualität, und da Verdammung, ja Verfolgung, wird immer größer. Doch was heißt das für die Zukunft?
Es heißt, dass wir auf eine Zerreißprobe zusteuern. Unausweichlich. Die jetzt erreichten Rechte sind nicht gesichert. Umso mehr, meine ich, sollten alle Frauen, die Frauen lieben, und Männer, die Männer lieben, die Freiheit, das zu tun, genießen – und sich gratulieren, dass wenigstens sie zur richtigen Zeit im richtigen Land leben.
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