Wie oft soll sich das wiederholen?
Eigentlich war ja die Entwicklung des 2011 ausgebrochenen „ägyptischen Frühlings“ zum ägyptischen Winter sehr, sehr rasch absehbar – aber dennoch anscheinend unaufhaltsam. Denn die Völker lernen schon nicht aus ihrer eigenen Geschichte, geschweige denn aus der Geschichte von anderen.
Als die Menschen in Ägypten auf die Straße gingen, um für mehr Brot & Arbeit oder Freiheit & Demokratie zu protestieren, da hatten viele sehr große Hoffnungen. Und kaum jemand wollte sich diese Hoffnungen durch genaues Hinsehen vermiesen lassen. Doch gegen den autoritären, aber immerhin weltlichen Herrscher Mubarak protestierten natürlich nicht nur internetaffine Jugendliche oder bevormundete Frauen und Hoffnung schöpfende Arbeitslose. Von Anbeginn an waren auch die religiösen Fanatiker mit dabei, ja sie waren vielleicht sogar die heimlichen Initiatoren.
Der harte Kern dieser Islamisten sind die 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbrüder. Sie sind die Ur-Keimzelle des politisierten Islam. Die Bruderschaft agitiert international und ist bestens vernetzt. In Ägypten waren die Muslimbrüder deshalb bisher als „kriminelle Vereinigung“ verboten. Mohammed Mursi, Professor für Ingenieurswissenschaften, war jahrelang der Pressesprecher der Muslimbrüder, also ihr Propagandachef.
Wie konnte man also in Ägypten wie im Ausland auch nur eine Sekunde lang glauben, dass die Muslimbrüder 1. nicht mitmachen würden bei der Revolte?; 2. angeblich auf keinen Fall an die Macht wollten? und 3. wenn schon Macht, dann diese demokratisch teilen würden? Selbstverständlich hörten die Muslimbrüder ihre lang ersehnte Stunde schlagen. Das unwissende Volk hatten sie mit Geschenken gekauft, finanziert durch saudische Petrodollars. Und durch Einschüchterung gefügig gemacht: Wer nicht für uns ist, kommt in die Hölle!
Zur Abstimmung über die inzwischen verabschiedete schändliche Verfassung – die der Autor Alaa al-Aswani, eine der Symbolfiguren des „arabischen Frühlings“, zurecht „faschistisch“ nennt – gingen 31 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahlurne. Zwei Drittel von ihnen sollen dafür gestimmt haben – also nur knapp jeder und jede Fünfte.
Doch Muslimbrüder brauchen keine demokratische Legitimation. Die Basis der von ihnen diktierten Verfassung ist die Scharia. Und wie die jeweils zu interpretieren ist, bestimmen von nun an nicht mehr Juristen, sondern Islamgelehrte. Ein Gottesstaat tritt an die Stelle des bisherigen – wenn auch noch so brüchigen – Rechtsstaates. Und die Zwangsverschleierung der Frauen ist dabei nur ein erster, wenn auch hochsymbolischer Schritt.
Ägypten fällt. Und das hat schon jetzt fatale Auswirkungen für die gesamte Region, ja die ganze Welt. Syrien wird nach wohl mindestens hunderttausend Toten im Bürgerkrieg denselben Weg gehen, auch da werden die organisierten Islamisten die zerrissene demokratische Opposition schlucken. Libyen ist bereits auf dem islamistischen Weg, Gaddafis Ex-Söldner mischen jetzt den Norden von Mali auf.
Dasselbe gilt für Tunesien, das arabische Land, in dem bis zum so genannten Frühling die Frauen die meisten Rechte hatten: Da sind die Frauen heute zwangsverschleiert und ist die ganze Gesellschaft in der Faust der Fanatiker. Algerien? Das vom Bürgerkrieg zwischen den Islamisten und der Armee traumatisierte Land mit 200.000 Toten in den 1990er Jahren versucht sich rauszuhalten. Und in Marokko könnte es dem respektierten, semidemokratischen König gelingen, die Gotteskrieger in Schach zu halten. Vorläufig.
Der Staat Israel ist umzingelt und bedrohter denn je zuvor. Und Europa? Das Drama spielt sich in Sichtweite ab, gleich gegenüber von der Türkei, Italien, Frankreich.
Werde ich also demnächst mit ägyptischen Taxifahrern fahren? Kaum anzunehmen. Denn die Ägypter sind – im Gegensatz zu den hochgebildeten Persern – zu 52 Prozent Analphabeten. Sie haben noch nicht einmal die Chance zu einem Neunanfang im Exil.
Und zu diesem ganzen Desaster hat die westliche Politik und haben die westlichen Medien kräftig beigetragen. Mal wieder. Mit einer – im besten Fall – naiven Sicht der Dinge. Wie oft soll sich das eigentlich noch wiederholen?