Wie sage ich es den anderen?
Als Simone de Beauvoir am 9. Januar 1978 70 Jahre alt wurde, bin ich von Köln nach Paris zu der Freundin gefahren, um mit ihr zu feiern. Und am Nachmittag des Tages habe ich sie interviewt: über das Alter, ihr Alter. Zu der Zeit hatten wir schon eine Serie von Gesprächen geführt und Routine. Doch diesmal lief es anders, ganz zäh. Beauvoir wirkte regelrecht verstockt auf mich. Sie konnte ja störrisch sein wie ein Maulesel, wenn ihr etwas nicht passte. Diesmal passte ihr etwas nicht. Nach dem Gespräch nahm ich ein Taxi – und als ich ausgestiegen war, stellte ich fest: Ich hatte das Tonband im Taxi liegenlassen. Heiliger Freud.
Am nächsten Tag wiederholten wir das Gespräch – und es wurde eines der besten, das wir je geführt hatten. Eine Bilanz ihres Lebens und Wirkens (veröffentlicht in „Simone de Beauvoir - Weggefährtinnen im Gespräch“, KiWi). Erst jetzt, 35 Jahre später, wo ich selber 70 werde, frage ich mich: Wie konntest du nur so taktlos sein, und sie ausgerechnet an ihrem 70. Geburtstag zum Alter befragen?! Kein Wunder, dass sie dicht gemacht hat.
Beauvoir selber hatte schon mit Mitte 50 einen Altersschock bekommen. Nach ihrer allerletzten Loveaffair mit Nelson Algren, der sie in Paris besucht hatte. Da glaubte sie wohl: Das war’s jetzt (Es sollte anders kommen). Und sie begann zu schreiben. Wie immer. Sie schrieb ihren großen, bis heute als der Klassiker gültigen Essay über „Das Alter“, der für diese Menschengruppe dieselbe Bedeutung hat wie „Das andere Geschlecht“ für Frauen.
Doch auf meine Frage, ob sie aufgrund der Tatsache, dass sie an der Schwelle zum Alter dieses fundamentale Werk geschrieben hat, ihr eigenes Alter bewusster erlebe, antwortete Beauvoir wortkarg: „Nein.“ Punkt. Und zitierte Sartre, der geschrieben hatte, das Alter sei „das Unrealisierbare“. Es existiere „nur für die anderen, aber nicht für einen selbst“. Beauvoir: „Das Schlimme am Alter ist, dass man jung ist.“ Ein Satz, den ich inzwischen bestätigen kann.
Einen Vorteil allerdings hätten die Frauen beim Älterwerden, befand Beauvoir treffend: „Sie können nicht so tief runter fallen, da sie nie oben waren. Aber die Männer, die halten sich ja für wichtig, die glauben, sie hätten Macht und Verantwortung – und haben das ja oft auch. Wenn die altern, das ist schrecklich. Das ist ein richtiger Bruch.“ Auch nicht schön. Aber auch nicht tröstlich. Zumindest für mich nicht.
Zurzeit lese ich nachts vor dem Einschlafen immer ein paar Seiten Friederike Mayröcker. Die Arme. Die ist nun echt alt. Wird jetzt 86. „Ich sitze nur grausam da“ heißt das so poetische Buch. Reichlich erotische Fantasien drin. Zwischendurch ruft mal Maria Lassnig bei Mayröcker an. Auch echt alt. Nämlich 93. Doch die besten Bilder dieser genialen Malerin sind ihr „Spätwerk“. Bilder aus den letzten zwei, drei Jahren. Immerhin. Das tröstet.
Ich gehe jetzt erst mal feiern. Aber so richtig! Bis mindestens zwei, drei Uhr nachts wird getanzt. Rock ’n’ Roll, was sonst. Denn was mich angeht, ganz ehrlich: Ich fühle mich alterslos. Aber: Wie sage ich das den anderen?