Zum Thema Abtreibung
Nein, ich habe nie abgetrieben. Und ich hätte es vermutlich auch nicht getan. Im Ernstfall. Warum nicht? Nicht aus moralischen Erwägungen. Denn so ernst so eine Entscheidung gewesen wäre, so liegen für mich doch Welten zwischen einem Fötus und dem geborenen Kind. Nein, ich hätte es aus Angst nicht getan. Aus Angst davor, in der Illegalität von Ärzten gedemütigt zu werden oder bei einer Engelmacherin zu verbluten.
Abtreibung. Das war für meine Generation ein Schreckenswort. Man sprach noch nicht einmal mit seiner eigenen Mutter oder der besten Freundin darüber. Darum war es ja ein so ungeheurer Tabubruch, als in dem von mir 1971 initiierten Selbstbezichtigungsappell 374 Frauen im Stern erklärten: „Ich habe abgetrieben und ich fordere das Recht dazu für jede Frau“. mehr
Da brachen alle Dämme. Jetzt redeten die Frauen. Endlich. Über ihr dunkles Geheimnis. Ihre Ängste. Ihren Schmerz. Ihre Hoffnungen. Unter den 374 Bekennerinnen waren etliche, die, so wie ich, nie abgetrieben hatten – aber wir alle hatten es schon im Kopf getan. Panik, wenn die Periode ausblieb – und eine ungeplante Mutterschaft in dieser Lebensphase das ganze Leben über Bord geworfen hätte. Von der Schande, die ein uneheliches Kind damals noch bedeutete, ganz zu schweigen.
Auch darum treiben heute in Deutschland viel weniger Frauen ab als damals (die Zahl sinkt von Jahr zu Jahr). Weil sie damit nicht mehr so allein sind. Weil sie aufgeklärter sind und selbstbewusster – und damit auch selbst bestimmter in ihrer Sexualität.
Trotzdem müssen Frauen in Deutschland auch 38 Jahre nach dieser so mutigen spektakulären Aktion noch immer um das Recht auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft kämpfen. Nur im erzkatholischen Polen sind Frauen in Europa heute so entmündigt, wie in Deutschland. Und jetzt soll diese so halbherzige Reform des § 218 – Gnade statt Recht – also noch stärker eingeschränkt werden.
Denn die religiösen Fundamentalisten sind im Vormarsch. Nicht nur im Islam, auch in der christlichen Welt. Aber Deutschland ist zum Glück ja kein Gottesstaat, sondern ein Rechtsstaat. Oder?