EMMA - Das unendliche Abenteuer
Und das wird auch so bleiben. Denn viele Anzeigen hatte EMMA noch nie (trotz nie nachlassender Bemühungen). Also stammen 90 Prozent aller Einnahmen aus dem Verkauf des Heftes – womit EMMA existieren kann, inklusive der übertariflichen Gehälter. Solange die LeserInnen wollen, wird es also EMMA geben – denn die Erfüllung unseres Anliegens ist, trotz gewaltiger Fortschritte, nicht in Sicht.
Hätte mir vor 30 Jahren jemand gesagt, dass ich EMMA noch im Jahre 2007 machen würde – ich hätte wohl trotz dieser Traumbedingungen ungläubig den Kopf geschüttelt. Denn beim Start im Herbst 1976 hatte ich keinesfalls die Absicht, Verlegerin zu werden, ja noch nicht einmal Chefredakteurin. Ich wollte einfach nur dazu beitragen, dass in Deutschland eine unabhängige, öffentliche Stimme von und für Frauen existiert.
Denn wir engagierten Journalistinnen hatten in den bewegten 70er Jahren die Erfahrung machen müssen, dass die so genannten "Frauenthemen" plötzlich Männersache wurden – und nicht selten gar nicht oder nur klischeehaft berichtet wurden.
Ich war 33 Jahre alt, aber bereits eine erfahrene Journalistin: als Volontärin bei den Düsseldorfer Nachrichten, Reporterin bei Pardon und freie politische Korrespondentin in Paris für Print, Funk und Fernsehen. Ab 1971, mit dem Beginn der Frauenbewegung, in der ich zunächst in Paris engagiert war, hatte ich in Deutschland gleichzeitig meine ersten drei Bücher veröffentlicht; zuletzt 1975 den ersten feministischen Bestseller "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen". Und mit eben diesem Bestseller verdiente ich erstmals mehr Geld, als ich zum Leben brauchte.
250.000 Mark lagen auf meinem Konto. Mir schien das schwindelerregend viel, in den Augen von Verlagsprofis jedoch war es lächerlich wenig. Es war noch nicht einmal ein Zwanzigstel der Summe, die Profis für das Minimum zum Start einer neuen Zeitschrift hielten. Doch mein Kapital war schon zu der Zeit weniger das Geld, sondern vor allem mein Name: Nach dem spektakulären TV-Streitgespräch mit Esther Vilar im Frühling 1975 und dem Erscheinen vom "Kleinen Unterschied" im darauf folgenden Herbst, stand mein Name für die Sache. Für die Sache der Frauen. Die von mir angekündigte EMMA wurde also mit Spannung erwartet – und Anspannung.
Für die Jüngeren ist es heute kaum noch vorstellbar, mit welchem Maß an Häme und Agression auf EMMA reagiert wurde. Heute kennen, laut Allensbach-Umfrage von 2007, 57 Prozent aller Deutschen die EMMA, und die EMMA-Herausgeberin sogar 83 Prozent. Jede fünfte Frau liest EMMA bzw. hat sie schon mal gelesen (und jeder zehnte Mann).
Für ein Magazin, das noch nie in seiner Geschichte auch nur einen Pfennig bzw. Cent für Werbung hatte, ist das beachtlich. EMMA ist also nicht nur frauenpolitisch, sondern auch medienpolitisch gesehen eine Pionierleistung. Sie ist meines Wissens in Deutschland nach 1945 die einzige Zeitschriftengründung durch eine (quasi) mittellose JournalistIn, unabhängig von Lizenzgebern, Konzernen oder Parteien; die einzige, die keine "Zielgruppen" und das Anzeigengeschäft im Auge hatte, sondern LeserInnen und eine informiertere, aufgeklärtere Welt. Weltweit scheint EMMA heute das einzige Publikums-Magazin in Feministinnenhand.
Von Anfang an war EMMA allerdings mehr als eine Zeitschrift. Sie ist für so manche ihrer Leserinnen auch beste Freundin ("Seit ich EMMA lese, bin ich nicht mehr allein mit meinen Ansichten."), eine Art nationales Frauenbüro (jeder zweite Anruf in der EMMA-Redaktion ist eine Bitte um Information, Rat oder Hilfe) und ein Symbol. Ein Symbol für die Emanzipation: Schon wenige Monate nach Erscheinen der ersten Ausgabe wurden rebellische kleine Mädchen in der Schule "Emma" genannt.
EMMA informiert und analysiert. Doch wenn es ihr zu bunt wird, geht sie auch darüber hinaus. Dann initiiert sie Aktionen oder Kampagnen. Aktionen wie den Anstoß zum "Girlsday" oder "Die Hälfte vom Ball" für die Fußballerinnen (und das fünf Jahre bevor sie Weltmeisterinnen wurden); Kampagnen wie die gegen Pornografie, von der Stern-Klage 1978 bis zu den PorNO-Aktionen 1988 und 2007, oder die gegen die Verharmlosung von Prostitution, die in den rot-grünen Jahren als "Beruf wie jeder andere" galt, für EMMA jedoch immer eine Frage der Menschenwürde war und ist.
Eine ganz zentrale Funktion von EMMA ist, trotz ihrer kritischen Distanz zu allen Parteien, das Einwirken auf gesetzliche Maßnahmen und politische Initiativen. So hat zum Beispiel bei der Verschärfung des Sexualstrafrechts die kontinuierliche EMMA-Berichterstattung eine Rolle gespielt – und nicht minder EMMAs Initiative für mehr Ganztagsschulen. Es wäre wohl einige Diplom- und Doktorarbeiten wert, dem direkten und vor allem auch indirekten Einfluss von EMMA und ihrer Wirkung auf Gesetzgebung und Politik nachzuspüren.
Und auf die Medien. EMMA war bei vielen Themen, die inzwischen selbstverständlich scheinen, Schrittmacherin – und sie bleibt es. Oft hat EMMA als erste das Schweigen gebrochen, hat Jahre, ja Jahrzehnte vor den anderen berichtet – und dadurch letztendlich auch die übrigen Medien gedrängt, die Tabus zum Thema zu machen.
So berichtete EMMA 1977 erstmals über Inzest und Genitalverstümmelung, warnte 1979 vor den durch den islamischen Fundamentalismus drohenden Gefahren (und blieb seither kontinuierlich am Thema) oder 1984 vor den Folgen des Diätterrors; EMMA forderte schon 1979 einen auch für Frauen uneingeschränkten Zugang zur Bundeswehr und 1984 die Homo-Ehe; EMMA warnte 1985 erstmals vor der Falle Mutterschaftsurlaub und initiierte 2000 eine auch Politik und PädagogInnen einbeziehende Kampagne für Ganztags-Kindergärten und -Schulen. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen. All diese Probleme waren vor EMMA keine öffentlichen Themen.
Von Anbeginn an und sehr bewusst hat EMMA auch die Berichterstattung über "Vorbilder" gepflegt, was in den 70ern in der Frauenbewegung so gar nicht angesagt war. Da verdeckte das Kollektiv das Individuum, sagten die Frauen "wir" – noch bevor sie gelernt hatten, "ich" zu sagen. Nie ging es EMMA dabei um unerreichbare und damit repressive Idole, sondern immer um lebendige Menschen mit Stärken und Schwächen: von dem Star oder der Sportlerin, über die Forscherin oder Politikerin, bis hin zur "Heldin von nebenan". Um Menschen, die Mut machen. Denn Menschen brauchen Vorbilder – und Frauen haben viel zu wenige.
Heute trägt ein engagiertes kleines Team die EMMA: Dass ich mit EMMA nicht allein dastehe, war nicht immer selbstverständlich. Angefangen hatte es eher im – ungewollten - Alleingang, auch wenn ich das selbst zunächst nicht wahrhaben wollte. Und noch vor dem journalistischen stand das verlegerische Knowhow. Ich konnte zwar Artikel schreiben, aber eine Zeitung herstellen, vertreiben und verkaufen, das hatte ich nicht gelernt. Ich kannte überhaupt keine einzige Frau, die Ahnung davon hatte. Dieses Wissen musste bei Männern erfragt werden.
Einige gaben auch bereitwillig Auskunft. Denn von Anfang an hatte EMMA, bei allen Anfeindungen, auch Freunde, die sie tatkräftig unterstützten. Freunde wie den Hersteller Franz Greno, der im ersten Jahr so manches Mal bis in die späte Nacht in der EMMA-Redaktion hockte, um die damals noch per Klebelayout gefertigten Seiten sodann eigenhändig in die Lithografie und Druckerei zu tragen.
Für mich war es ein Learning by doing. Und eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass EMMA alle Klippen überstanden hat: die feministischen, verlegerischen und politischen. Denn angefangen hatte es reichlich naiv. Im Frühling 1976 schickte ich einen Rundbrief an alle Frauenzentren, in dem ich die EMMA-Gründung ankündigte und Frauen suchte, die mitmachen ("An alle Kolleginnen – bitte weitergeben"). Da war mir noch nicht ganz klar, dass nicht alle Frauen Schwestern sind...
Auf dem ersten EMMA-Titel sind vier Frauen abgebildet, doch das versprach mehr, als es hielt. Denn wir vier waren: eine frisch umgeschulte Sekretärin, zwei anderwärts festangestellte freie Mitarbeiterinnen und ich. Klar, dass ich in den ersten Monaten, ja Jahren, Tag und Nacht in der Redaktion hockte, damit EMMA pünktlich erscheinen konnte. Und ich war und blieb auch über weite Strecken und immer wieder die Einzige, die uneingeschränkt einstand für das Abenteuer EMMA. Denn der Gegenwind war scharf – und nicht jederfraus Sache.
Als ich EMMA gründete, war ich noch in dem Glauben, ich sei die Erste in Deutschland, die – über die bereits existierenden alternativen Blätter hinaus - ein eigenes überregionales Magazin für Frauen macht, das an den Kiosk geht. Es gab zu der Zeit lediglich Ms. in den USA, gegründet von meiner Kollegin Gloria Steinem, und die vor EMMA noch regional auf Berlin beschränkte Courage.
Was ich damals noch nicht wusste: Bereits 128 Jahre zuvor hatte die Frauenrechtlerin Louise Otto die erste Frauenzeitung herausgegeben mit dem stolzen Motto: "Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen" – die Frauenzeitung wurde Opfer der staatlichen Zensur, einer eigens geschaffenen "Lex Otto", die Frauen (und Jugendlichen) Publikations- und Versammlungsverbot erteilte. 82 Jahre vor EMMA hatten die Frauenrechtlerinnen Minna Cauer und Lily von Gizicky Die Frauenbewegung veröffentlicht, die "der Vielfalt der deutschen Frauenbewegung eine gemeinsame Stimme" geben und "für die Interessen der Frauen" da sein wollte – sie endete im geschlechterübergreifenden nationalen Wahn des ersten Weltkriegs.
Und 58 Jahre vor EMMA veröffentlichten die feministischen Pionierinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann Die Frau im Staat in der stolzen Hoffnung, "das politische Leben vom Stand der Forderungen und der Mitwirkung der Frauen" zu beeinflussen (inzwischen durften Frauen, nicht zuletzt dank des Einsatzes von Frauen wie Augspurg und Heymann, wählen). Augspurg und Heymann mussten – wie zahlreiche Feministinnen - 1933 vor den nationalsozialistischen Männerhorden in die Schweiz flüchten und starben im Exil. Selbst wir neuen Feministinnen wussten lange nichts von dieser verschütteten, eigenen Geschichte. Wir fingen, wieder einmal, bei Null an.
Als EMMA am 26. Januar 1977 zum ersten Mal erschien, unterschied sie sich von alternativen Blättern aus der Frauenbewegung, wie Courage oder die Frauenzeitung, nicht nur durch etliche andere politische Standpunkte, sondern auch ganz grundsätzlich durch ihre Professionalität und die Absicht, nicht etwa ein Blatt für die Frauenbewegung, sondern eine Zeitschrift für alle Frauen zu sein.
Dass dies gelungen ist, beweist auch die siebte Leserinnen-Umfrage von 2007. EMMA-Leserinnen sind Studentinnen oder Hausfrauen, Managerinnen oder Krankenschwestern, eingefleischte Feministinnen oder frisch Erweckte, Mütter oder Singles; sie lieben Männer (80 Prozent) oder Frauen (20 Prozent). Sie wollen die Welt auf den Kopf stellen – oder nur ein bisschen besser machen. Und sie sind mit durchschnittlich 39 Jahren (Brigitte: 46 Jahre) die jüngsten Leserinnen aller deutschen Frauenzeitschriften.
Dass EMMA von Anfang an kein Blatt "der Frauenbewegung", sondern von Journalistinnen war, die die Inhalte persönlich verantworteten und auch nicht jede feministische Mode mitmachten, irritierte natürlich nicht nur so manchen Kollegen, sondern auch so manche Schwester. Was meist ganz persönlich ausgetragen wurde, auf meinem Rücken. Ich hatte einen Ruf wie Donnerhall, war "keine echte Feministin", "eine Kapitalistin" und "autoritärer als jeder männliche Chef" etc. etc. Rückblickend muss ich zugeben: Es hätte für mich auch in der Resignation enden können (wie es ja für so manche meiner Vorkämpferinnen der Fall war).
Da ist es schon besser zu lachen als zu weinen. In EMMA hat auch darum der Humor – und vor allem der schwarze Humor – nicht zufällig von Anbeginn an eine Rolle gespielt; entgegen dem Klischee, Frauen hätten keinen. So ist gleichzeitig mit EMMA Franziska Becker als Cartoonistin geboren und die satirische Chronistin der Frauenbewegung, Szene und Zeitgeist geworden. Und immer wieder hat EMMA sich auch nicht gescheut, mit ihren Satiren selbst die eigenen LeserInnen zu verärgern. Zum Beispiel mit der Titelgeschichte über die "Wahrheit über Eva Braun", dieses "endlich entdeckte Tagebuch", von vielen für echt gehalten, bei so manchern mit Empörung. Oder auch die berüchtigten "Männerwitze".
Es ist vielleicht der Moment, zu gestehen, dass zunächst einmal die Frauenwitze in Form von "Blondinenwitzen" in der EMMA-Küche kursierten – und, dass die EMMAs sehr, sehr herzlich darüber gelacht haben. Frau kann eben nicht immer nur gut sein. Und wer sich Tag für Tag und Jahr um Jahr für Frauen einsetzt, der (und die) muss auch mal ablästern können. So entstanden dann in Wahrheit unsere Männerwitze. Weil wir ein schlechtes Gewissen bekamen und beschlossen: Jetzt wird zurückgelacht.
Der Text ist ein Auszug aus "Das EMMA-Buch" (Collection Rolf Heyne)