Alice Schwarzer für Cicero: Gleiche
Wir leben in Zeiten, in denen Deutsche sinnlos am Hindukusch sterben und Soldatinnen und Soldaten von „gerechten Interventionen“ traumatisiert in die Heimat zurückkehren. Auch darum ist jetzt von der Abschaffung der Wehrpflicht die Rede. Und da stellt sich erneut die Frage, ob wir nicht eine „Dienstpflicht“ für beide Geschlechter einführen sollten, bei der Frauen wie Männer wählen können: Ob sie nun den Wehrdienst oder ein soziales Jahr (beziehungsweise Halbjahr) absolvieren.
Die Väter (und vier Mütter) des Grundgesetzes der Bundesrepublik hatten einst noch die Wehrpflicht der Männer und die Gleichberechtigung der Frauen als „gleichrangig“ festgeschrieben – nicht ahnend, dass die Emanzipation eines Tages so ernst genommen würde, dass diese beiden gleichzeitigen Festschreibungen kollidieren könnten. Denn in den 50er Jahren galt der Wehrdienst für Männer noch als „Ehre“ – und wurde der Ausschluss der Frauen aus der Armee mit der „Natur der Frau“ begründet. Das waren noch Zeiten.
Als ich anno 1978 erstmals das Berufsverbot für Frauen bei der Bundeswehr kritisierte – verbunden mit der Forderung nach einem uneingeschränkten, freiwilligen Zugang für Frauen, inklusive Ausbildung an den Waffen –, hagelte es Widerspruch. Die Kritik, vor allem von der Linken und weiten Teilen der Frauenbewegung, war scharf und anhaltend.
In der Folge stand ich in Deutschland über 20 Jahre lang quasi allein mit der Forderung nach Zugang für Frauen zur Armee – obwohl der in den meisten Ländern längst selbstverständlich war. Wenn auch mit den üblichen Folgen für die Pionierinnen in „Männerberufen“: Mobbing und sexuelle Diskriminierung der „Kameradinnen“ bis hin zu Vergewaltigungen.
Die schärfsten Gegner eines Zugangs für Frauen zur Bundeswehr waren damals SPD und Grüne. Es war die hohe Zeit der „Friedensbewegung“, bei der Frauen vorneweg gingen, mit kleinen Schritten, die Kinder an der Hand. Frauen seien schließlich von Natur aus lebensnah und friedlich, hieß es, und Männer irgendwie von Natur aus todesnah und destruktiv. Dahinter stand und steht nichts anderes als das gute alte Tabu der Wehrhaftigkeit von Frauen, die gern als „Flintenweiber“ denunziert werden, wenn sie sich in Männergeschäfte einmischen. Ein besonders bigottes Tabu, starben doch im Zweiten Weltkrieg mehr wehrlose Menschen an der „Heimatfront“ als bewaffnete an der Front – und kann es auch in Friedenszeiten nicht schaden, wenn Frauen sich wehren können. Denn der Krieg der Geschlechter kennt keine Stillhalteabkommen.
Erst vor neun Jahren erzwang das von der Soldatin Tanja Kreil (mit Unterstützung des Bundeswehrverbandes) erstrittene Urteil des Europäischen Gerichtshofes endlich auch in Deutschland den uneingeschränkten Zugang für Frauen zur Armee, inklusive Ausbildung an der Waffe und damit unlimitierten Aufstiegschancen. Bis dahin hatten Frauen in der Bundeswehr nur freiwillig im Sanitätsdienst oder im Musikkorps dienen dürfen. Übrigens: Vorher hätte Deutschland schon rein verfassungsrechtlich keinen weiblichen Kanzler haben dürfen; denn der Kanzler/die Kanzlerin ist im Kriegsfall – der oberste Befehlshaber.
Heute dienen mehr und mehr freiwillige Soldatinnen in der Bundeswehr. Zurzeit sind es 16.100, also neun Prozent. Und wie in allen Männerberufen drängen die Frauen auch in die höheren Posten, es gibt 2.600 Offizierinnen (sieben Prozent) und noch mal ebenso viele Frauen in der Offizierslaufbahn. Eine Generalin schlägt auch schon die Hacken (neben 202 Generälen), zumindest im Sanitätsdienst: Dr. Erika Franke. Doch: Wir haben immer noch keine Wehrpflicht für Frauen.
Diese dem Gleichheitsprinzip klar widersprechende Ungleichheit ist in dem Land der einst so kriegerischen Männer und noch immer fürsorglichen Mütter tatsächlich immer noch rechtens. Am 10. April 2002 ließ das Verfassungsgericht als Antwort auf eine Klage verlauten, die Politik solle die Frage der Geschlechtergerechtigkeit bei der Wehrpflicht entscheiden, und zwar mit „politischer Klugheit und ökonomischer Zweckmäßigkeit“. Doch die Politik schweigt seither zu dieser Frage. Warum? Dazu gibt es in Zeiten von Kanzlerin und Vätermonaten für Babys schließlich keinen Grund mehr. Denn zu Recht lautet die Devise heute: Gleiche Rechte für Frauen und Männer – was selbstverständlich auch die gleichen Pflichten mit sich bringt.
Alice Schwarzer in Cicero, 1.5.2010