Alice Schwarzer schreibt

Amoklauf in Winnenden

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Der Text erschien in der Welt, im Zürcher Tagesanzeiger und im Wiener Standard. Allein bei Standard online liefen in den ersten Tagen über tausend Kommentare auf. Zustimmende wie empörte. Wobei, wie so oft, die Menschen offener sind als die Medien. Für die war der Fall klar: Der Fall Schwarzer. So konstatierte die FAS bei mir eine "Instrumentalisierung der Tat" (weil ich mir erlaubt hatte, den Pornokonsum des Täters zu erwähnen). Und gruselte es dem Berliner Tagesspiegel vor der "gusseisernen Selbstsicherheit", mit der ich geschrieben hätte, der Frauenhass sei ein Motiv des Täters gewesen.

Was soll ich nun dazu sagen? Eingeschüchtert sein und die Klappe halten? Oder schnell mitklagen im Chor der – berechtigten – allgemeinen Empörung über den leichten Zugang zu Waffen für so einen Jungen? Sicher, es ist richtig, dass auch darüber diskutiert wird. Aber an die Wurzel des Übels geht diese Debatte nicht.

Doch genau diese Wurzeln scheinen das Tabu zu sein. Es ist ja auch so viel einfacher zu sagen: Tim K. war krank oder die Inkarnation des Bösen – und nicht ein Junge wie viele, bei dem viel zusammengekommen ist.

Ich habe nicht die Absicht, mir den Mund verbieten zu lassen – und das Denken schon gar nicht. EMMA wird nun selber die Stimmung in Winnenden vor Ort recherchieren. Und den Stoff, aus dem die Täter sind. Denn die Wahrheit ist immer lehrreicher als ideologische Scheuklappen.

Alice Schwarzer

PS 14.04.09: EMMA wollte es ganz genau wissen und forschte nach: vor Ort in Winnenden, bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft – und bei einem jungen Mann, der sich bestens in Tim K. hineinversetzen kann: Sven wäre beinahe selber zum Amokläufer geworden, hat aber im letzten Augenblick einen friedlichen Ausweg gefunden. Die Texte des EMMA-Dossiers apropos Winnenden sind wahre Augenöffner, auch für mich selbst. Mein Editorial zu Winnenden & Folgen steht ab sofort online. Ich bin gespannt auf die Reaktionen.

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