Alice Schwarzer schreibt

Jetzt auch in Libyen die Scharia

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Es gibt nur „gerechte“ Kriege – zumindest aus der Sicht der jeweiligen Kriegsherren. Selbst die Nazis haben ihre Kriege keineswegs als verbrecherische Überfälle auf andere Völker verstanden, sondern als durchaus gerechte Kriege im Sinne ihrer gerechten Sache. Daraus scheinen wir wenig gelernt zu haben. Mit Libyen intervenierte der Westen nun innerhalb von zehn Jahren zum dritten Mal in einem muslimischen Land und vertrieb die Potentaten mit eigenen Bomben sowie der Unterstützung durch die vom Westen bewaffneten islamischen Gotteskrieger.

Resultat: Der 2001 unter dem Vorwand der Jagd auf Bin Laden begonnene Krieg in Afghanistan dauert bis heute an und hat mindestens 19 000 Tote gefordert, darunter knapp jeder fünfte ein westlicher Soldat bzw. eine Soldatin. Der Krieg gegen den Irak geht seit sieben Jahren, hat über 100 000 Tote gefordert, nur noch knapp jeder 20. ist ein westlicher Soldat. Der Krieg gegen Libyen schließlich hat nach jüngsten Schätzungen allein bis zum 152. Tag, also in noch nicht einmal einem halben Jahr, schon 30 000 Tote gefordert! Plus 50 000 Verletzte. Und das Plündern, Morden und Vergewaltigen hat noch lange kein Ende.

Nur eines ist in Libyen ganz anders als in Afghanistan und im Irak: Der in dem nordafrikanischen Land ohne UN-Mandat, also unrechtmäßig Krieg führende Westen hat diesmal nicht einen einzigen Mann verloren. „Keine Kollateralschäden“, wurde vermeldet.

Gleichzeitig wurde öffentlich, dass sich das, neben London, besonders kriegstreibende Paris bereits im Frühling 2011 via Geheimvertrag für die Unterstützung der Rebellen ein Drittel aller Ölreserven Libyens habe zusagen lassen. Derselbe Sarkozy hatte noch drei Jahre zuvor, im Dezember 2007, Gaddafi, den ehrenvoll empfangenen Staatsgast, sein dekoratives Beduinenzelt mitten im Garten des Elysée-Palastes aufbauen lassen. Jetzt aber, im beginnenden Wahlkampf, kann der „Bling-Bling-Präsident“ das Kriegsherren-Image bestens gebrauchen.

Aber es ist nicht nur das Öl. Es ist auch eine globale Machtfrage. Mit Gaddafi hat der Westen jetzt nach Saddam Hussein den zweiten (eigen)mächtigen Potentaten verjagt. Beide waren unangenehme Zeitgenossen – aber religiöse Fundamentalisten waren sie nicht und auch keine Freunde der Burka. Sowohl im Irak wie in Libyen hatten Frauen für diesen Kulturkreis ungewöhnlich weitgehende Rechte. Im Irak studierten vor dem Krieg mehr Frauen als Männer, und Gaddafi hatte als Leibgarde gar seine effektheischende „Amazonengarde“.

Beide Potentaten waren unter den Schurken auch in Bezug auf ihr eigenes Volk üble Burschen, aber es gab und gibt jedoch leider noch bedeutend üblere. Doch die beiden hatten dem Westen die Stirn geboten. Sie wollten unabhängig sein von Moskau wie Washington. Das hat ihnen das Genick gebrochen. Nicht die Opposition im eigenen Land.

Die Berichterstattung im Westen sagt all das natürlich selten. Kriege sind Zeiten der Lüge und der Volksverdummung. Während Die Zeit allen Ernstes noch von „den Rebellen“ und dem sich „erhebenden Volk“ schwärmt und en passant den „Diktatoren dieser Welt“, von Havanna über Teheran bis Peking, droht, sie würden von nun an wohl „unruhiger schlafen“, weil in „Paris und London die moralischen (sic!) und politischen Reflexe funktionieren“ (im Gegensatz zu Berlin) – währenddessen ergreifen gerade die Gotteskrieger in dem bisher zwar keineswegs demokratischen, aber immerhin doch unreligiösen Staat die Macht.

An der Spitze der siegreichen libyschen Islamisten steht der von Nato-Bomben flankierte siegreiche Kriegsherr Abdelhakim Belhadsch. Er eroberte die renitente Gaddafi-Hauptstadt Tripolis. Belhadsch soll in den vergangenen Jahren im Zuge des Antiislamismus-Kampfes sowohl von Gaddafi-Mannen als auch CIA-Leuten gefoltert worden sein, gemeinsam. Er wird es beiden zu danken wissen.

Die ersten Entwürfe für die neue Verfassung Libyens sind bereits öffentlich. Das Land zwischen Ägypten und Algerien soll ein Scharia-Staat unter der Ägide der Muslimbrüder werden. In dem Verfassungs-Entwurf heißt es in Artikel Nr. 1: „Der Islam ist Staatsreligion und die Hauptquelle der Legislative ist die Scharia.“ Was das bedeutet, wissen wir inzwischen.

Nach Beendigung des Bürgerkrieges in Libyen – der zurzeit noch andauert, noch ist Staatschef Gaddafi nicht gefasst – ist erfahrungsgemäß mit einem Anstieg des religiösen Nationalismus zu rechnen. Sollte der übergreifen auf Nachbarländer wie Algerien und das nicht viel weiter entfernte Saudi-Arabien – dann gnade den Menschen dort und dem Westen Gott oder auch Allah. Auf jeden Fall wird es dann sehr, sehr eng für Europa und wohl auch das nicht mehr so ferne Amerika.

Die Opposition in Deutschland bedauerte in den vergangenen Wochen lebhaft, dass die Merkel-Regierung mit Außenminister Westerwelle sich nicht am Libyen-Krieg beteiligt hatte. Und der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer, ausgerechnet, nannte Westerwelles Enthaltung das „vielleicht größte außenpolitische Debakel seit Gründung der Bundesrepublik“.

Sieh an. Das ist nicht ohne Komik. Schließlich war es die rotgrüne Regierung, die führend war bei der Befürwortung des 2001 angezettelten Afghanistan-Krieges, und hatte sie trotz ihrer pazifistischen Parolen den zweiten Irakkrieg 2003 logistisch unterstützt. Vor allem aber war es Außenminister Fischer, der mit der Intervention im Kosovo 1999 den Krieg in Deutschland nach 1945 auch für Linke und Liberale wieder salonfähig gemacht hatte. Damals hatte er die Kriegsverherrlichung mit manipulierten Fotos von angeblichen Massakern der Serben geschürt und dem Spruch: „Nie wieder Auschwitz.“

Er hat sich meines Wissens nie dafür entschuldigt. Und noch etwas kommt auf Fischers Schuldenkonto: die über Jahrzehnte gemeingefährlich naive Iran-Politik des Westens.

Als wäre der machtbewusste Iran jemals bereit gewesen, „freiwillig“ auf die Atomkraft zu verzichten! Vor 10, 15 Jahren hätte man vielleicht noch Druck durch wirtschaftliche Sanktionen etc. machen können – aber der Westen, und Deutschland allen voran, hat es vorgezogen, weiter Geschäfte mit dem Iran zu machen. Auch hier wird die Rechnung nicht lange auf sich warten lassen.

Doch was geschieht? Wird rückblickend die naive bis zynische Politik des früheren Außenministers kritisiert? Nein. Der heutige Außenminister muss sich anpöbeln lassen. Angesichts des anschwellenden Tons stelle ich mir zunehmend eine Frage: Schwingt bei der markigen Kritik eines in der Wirtschaft gut versorgten Pensionärs und alternden He-Mans wie Joschka Fischer auch Kritik an dem Mann Guido Westerwelle mit? Kann es sein, dass manche Untertöne durchaus davon gefärbt sind, dass dieser Außenminister offen homosexuell ist? Es hört sich ganz so an. Darum sei in aller Klarheit gesagt: Westerwelle, der Mann mit dem Guidomobil, mag oft schief gelegen haben. Mit der Abstinenz vom Libyenkrieg aber hatte er ausnahmsweise mal recht.

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