Die eiskalte Merkel
Bei Spiegel Online hatte Philipp Wittrock offensichtlich den Artikel der Kollegin im eigenen Blatt nicht gelesen. Sonst hätte er den Vorgang wohl nicht ganz so unbefangen sexistisch kommentieren können: „Eiskalt“ sei die Kanzlerin beim „Abschalten“ von Ex-Umweltminister Röttgen gewesen; ja „gnadenlos“, zitierte er SPD-Chef Gabriel.
Zeit Online attestierte: „Technokratisch hat man Merkel schon oft erlebt. So eiskalt noch nie.“ Dazu wurde CDU-Bosbach zitiert, der sich „mehr Menschlichkeit“ bei dem Vorgang gewünscht hätte. Die Entlassung eines in der Landespolitik dramatisch gescheiterten Bundesministers ist nach drei Tagen Bedenkzeit also unmenschlich?
Den Vogel aber schoss Jakob Augstein bei Anne Will ab mit dem Satz: „Mutti hat einen von ihren Söhnen geköpft.“ Norbert Röttgen ist 46, Angela Merkel 57 Jahre alt. Erstaunlich, dass einem Journalisten in diesem fortgeschrittenen Alter (45) für eine Frau, die nur zehn Jahre älter ist als er, nur die Kategorie „Mutti“ einfällt. Aber vielleicht hat das ja damit zu tun, dass dieser Mann der ewige Sohn seines Vaters Rudolf ist.
Folgte ein Einspieler in der Will-Sendung, der suggerierte, die Kanzlerin handele nach der Methode Aikido. Dabei wird der Gegner mit der Kraft des Besiegten zu Boden geschleudert. Und hinzugefügt wurde das Sprachbild der „Schlange, die auf ihre Opfer wartet“. Schlange. Mutti. Eiskalt. Was denn nun? Oder etwa eine eiskalte, schlangengleiche Mutti?
FAZ Online verzichtete auf derart plumpe Klischees und stieß nur mit spitzem Mündchen den Satz aus: „Der Absturz Röttgens ist beispiellos in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte.“
Ist er? Der Kollege, der das geschrieben hat, muss jünger sein. Sonst würde er sich vielleicht erinnern, wie die hochverdiente Genossin Marie Schlei – die zwischen 1974 und 1976 das sehr zweifelhafte Vergnügen hatte, als parlamentarische Staatssekretärin im Kanzleramt zwischen einem frisch gebackenen Kanzler Helmut Schmidt und der grauen Eminenz Herbert Wehner zu vermitteln – nach einer beispiellos sexistischen Medienkampagne am 16. Februar 1977 ihre Entlassung als Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit morgens aus der Zeitung erfuhr. Und sie ist beileibe nicht die Einzige.
In der Geschichte beispiellos? Für Männer vielleicht. Bei Frauen hingegen ist so was üblich. Zweierlei Maß. Egal, auf welcher Seite: auf der des „Opfers“ oder der der „Täterin“.
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