Alice Schwarzer schreibt

Marilyn: Eine Liebeserklärung

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Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Es war der 6. August 1962. Ich machte gerade in Timmendorf meinen ersten Urlaub alleine mit meiner besten Freundin (das heißt ohne Erwachsene). Auf dem Weg zum Strand kamen wir an einem Kiosk vorbei. Und da hing die Bild mit der Schlagzeile: „Marilyn Monroe tot!“ Unfassbar. Die so lebendige Marilyn tot? Ich ließ mich auf den Bordstein fallen und begann hemmungslos zu schluchzen.

Damals aber, im Todesjahr von Marilyn, war es für eine moderne junge Frau wie mich gar nicht so selbstverständlich, für dieses Pin-Up Girl aus Amerika zu schwärmen. Im Gegenteil: Das galt sogar als peinlich. Denn, so lautete trotz zahlreicher Gegenbeweise das Klischee: Marilyn ist ein Spind-Girl; ein blondes Gift, das den Männern mit wiegenden Hüften und weichem Busen den Kopf verdreht – aber selbst keinen hat.

Da hatte Marilyn, die mit 36 Jahren starb und nach dem anfänglichen Verschleiß in der Hollywoodfabrik als dümmliche - und trotzdem hinreißende Blondine schon längst unter Beweis gestellt, was für eine großartige, komische, intelligent-erotische Schauspielerin sie war. Ob in „Bus stop“ als anrührendes Tingel-Tangel-Girl; in „Der Prinz und die Tänzerin“, wo sie den großen Sir Laurence Olivier mit kindlichem Lächeln an die Wand spielte; oder in „Manche mögen’s heiß“, dem besten Film von Billy Wilder, den der, neben Lemmon und Curtis, vor allem ihr verdankte. Der Regisseur lohnte es ihr, indem er noch Jahre nach ihrem Tod erzählte, dass diese verdammte Monroe an jedem Drehtag spät und später am Set erschienen sei.

Ja, Marilyn kam in Hollywood zu spät. Und immer später. Das hatten auch die Jahre auf der Couch der Analytikerin in New York nicht ändern können. Die Welt machte ihr zunehmend Angst. Eine Angst, die sie in den letzten Jahren nur noch mit – von Ärzten zu bereitwillig verschriebenen – Tabletten und Alkohol in Schach halten konnte. Diese Mischung war es wohl auch, die sie das Leben gekostet hat. Selbstmord? Mord? Pfuscherei der Ärzte? Die Gerüchte sind nie ganz verstummt.

Marilyn ist am 1. Juni 1926 als drittes Kind von Gladys Pearl Baker, geborene Monroe, auf die Welt gekommen. Der Vater ist unbekannt, die Mutter stirbt nach Depressionen und "schizophrenen Anfällen" in der Psychiatrie. Das kleine Mädchen namens Norma Jeane ist bis zum 16. Lebensjahr abwechselnd in insgesamt zwölf(!) Pflegefamilien (die dafür fünf Dollar die Woche kassieren) oder im Waisenhaus.

Gefragt nach ihren allerersten Erinnerungen, antwortete Marilyn Monroe in ihrem Todesjahr: "Meine früheste Erinnerung? Das ist die Erinnerung an einen Kampf ums Überleben. Ich war noch ganz klein… ein Baby in einem Bettchen, ja, und ich kämpfte um mein Leben. Aber ich möchte lieber nicht darüber sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Das ist eine grausame Geschichte, die nur mich etwas angeht."

Mit 16 wird Norma Jeane von ihrer Pflegemutter an einen Nachbarsjungen verheiratet, mit 19 als Pin-Up entdeckt, mit 20 kommt sie zum Film. Es gibt massenhaft Männer, die etwas von ihr wollen, für eine Nacht oder auch fürs Leben. Ihre zweite Ehe schließt sie mit dem Baseballspieler Joe DiMaggio (der sie geschlagen hat, aber ihr lebenslang ein Freund blieb).

Für ihre dritte Ehe tritt sie zum jüdischen Glauben über und versucht zweimal, Mutter zu werden, beide Male hat sie eine Fehlgeburt. "Der Körper und der Kopf" werden sie genannt, sie und ihr Mann, der amerikanische Schriftsteller und in der McCarthy Ära als „Kommunist“ geächtete Arthur Miller. Es gehörte Mut dazu, sich in der Zeit zu diesem Mann zu bekennen. Anderthalb Jahre vor ihrem Tod lassen Miller und Monroe sich in Mexiko scheiden.

Miller, das war wohl nicht nur der Traum von Sicherheit und Glück; Miller, das war für die wissensdurstige, belesene Marilyn auch die Sehnsucht nach Intellekt und Bildung – eben das, was man der einstigen Fabrikarbeiterin, die so perfekt in die Phantasmen der Männer passte, nicht zugestehen wollte. Kopf oder Körper, eines von beiden. Da hat eine Frau sich zu entscheiden. Die mit dem Kopf, die begehrt man nicht. Und die mit dem Körper, die achtet man nicht. Dabei hatte Marilyn immer beides: Erotik und Verstand.

Marilyn Monroe, diese Tochter einer verletzten, hilflosen Mutter, ist früh, sehr früh, gedemütigt, missbraucht, benutzt worden. Dennoch hat sie diesen beeindruckenden Aufstieg geschafft. Und auf dem Höhepunkt ihrer Hollywoodkarriere hat sie es sogar gewagt auszusteigen – und ihre Filme selbst zu produzieren, an der Ostküste. Aber dann hat es sie doch wieder eingeholt.

Hätte Marilyn Monroe eine Chance gehabt, wenn sie zehn, zwanzig Jahre später geboren wäre und als Schauspielerin in der Zeit der erstarkenden Womens Liberation Karriere gemacht hätte? Vielleicht. Der so begehrte wie verachtete Star wurde Jahre nach dem Tod schließlich nicht zufällig zur Ikone des Feminismus. Denn keine verkörperte wie sie die Tragik und den Triumph, eine Frau zu sein.

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