Alice Schwarzer als Mercatorprofessorin
Die Gleichstellung von Mann und Frau hat noch einen Weg vor sich, jedenfalls soweit sie sich in der Besetzung der Mercatorprofessur an der Uni Duisburg spiegelt. Doch der Weg wird kürzer. Im vergangenen Jahr lehrte Peter Scholl-Latour, dieses Jahr ist mit Alice Schwarzer mal wieder eine Frau an der Reihe, die sich jüngst mit Familienministerin Kristina Schröder (CDU) über den Feminismus Schwarzer’scher Prägung anlegte – oder diese mit ihr, ganz nach Sichtweise.
Rektor Ulrich Radtke freut sich denn auch, die Publizistin und Bild-Kachelmann-Reporterin zur ersten von zwei Vorlesungen am Dienstagabend mit ihrem aktuellen Diskussionswert vorzustellen: „Sie ist streitbar“, sagt er und erinnert an den Uni-Namenspatron Gerhard Mercator, Kartograf und Universalgelehrter aus dem 16. Jahrhundert, Symbol für Weltoffenheit und Weitblick.
Alice Schwarzer hat sich das Thema „die Funktion der Gewalt im Verhältnis der Geschlechter“ ausgesucht. Sie listet die Erfolge der Frauenbewegung auf, an denen sie in den zurückliegenden 40 Jahren nicht unbeteiligt war. Trotz alledem ist Alice Schwarzer nicht zufrieden: „Wir haben die Zahlen noch einmal zusammengetragen: Wir haben 358 Frauenhäuser in Deutschland, dorthin flüchteten allein 2009 insgesamt 40.000 Frauen mit ihren Kindern“. Sie beschreibt diesen sichtbaren Teil der Gewalt und weist wenig später darauf hin, dass hinter den Fassaden noch viel mehr Gewalt täglich Realität ist. „Wir reden über den Ehrenmord, aber wir vergessen das Familiendrama“, heißt das in ihren Worten, und stets drücke sich männliche Gewalt auch und gerade in sexualisierter Form aus.
Schwarzer beschreibt eine „Pornografisierung der Gesellschaft“ und sieht Frauen als das „gefolterte Geschlecht“. Natürlich erinnert sie daran, dass die öffentliche Meinung bei Vergewaltigungen aus ihrer Sicht zu schnell aus dem Täter ein Opfer macht und zitiert Zahlen, nach denen nur jeder hundertsten Anzeige eine Verurteilung folgt. So erklärt sich auch ihr Engagement für die Belastungszeugin im Kachelmann-Prozess, bei dem sie selbst – wie sie sagt – nicht weiß, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig sei. Doch vorverurteilt ist ihrer Ansicht nach auch die Belastungszeugin, der mancher ein Komplott vorwirft.
Schwarzer muss an dieser Front ihre Waffen schärfen, seit mit Johann Schwenn ein neuer Verteidiger das Wort ergreift, für den Falschbeschuldigungen bei solchen Taten mindestens sehr häufige Ausnahmen von der Regel sind, vor Gericht die Wahrheit zu sagen. Für den eine Psychologin eine „Radikalfeministin“ ist, wenn sie glaubt, Vergewaltiger handelten nicht nur aus sexuellen, sondern auch aus Machtmotiven heraus.
Doch bei aller Lust am Polarisieren weiß Schwarzer zu verbinden: So griff sie letzte Woche im Mannheimer Gericht den Feminismusverächter Schwenn am Arm und ließ ihn nicht mehr los, bis er unter dem Druck ihres bestimmenden Charmes verschüchtert lächelnd alle ihre Fragen beantwortet hatte. Schwarzer ist eben auch eine, die Nähe schaffen kann und will, zumal zu ihren Nachfolgerinnen im Geschlechterstreit, die mit Männern Angenehmeres verbinden als Porno und Gewalt. Sie sollen nicht zur Muttermörderin werden: „Warum sollen wir vorbildlos und geschichtslos sein, warum können wir nicht aufeinander aufbauen?“, fragt sie in das Publikum. „Sie haben eine Stimme.“
Die ihre wird Schwarzer hier im Januar wieder erheben, dann „über Islam, Islamismus und Integration“, wie es angekündigt ist.
Jürgen Zurheide (Duisburg) und Jost Müller-Neuhof (Berlin), Tagesspiegel, 16.12.2010