Johannes von Dohnanyi: Das Einfallstor

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Unterwegs nach Zentralbosnien. Links und rechts der Straße kleine schmucke Gehöfte und ausgebrannte Kriegsruinen. Vorbei an Müllhalden, Autowracks und rostenden Stahlskeletten von Fabriken. Kilometer um Kilometer, bis nach Zenica. Eine der typischen bosnischen Kleinstädte aus der jugoslawischen Erbmasse. Graue Rasenquadrate zwischen phantasielosen Plattensiedlungen. Das obligatorische Denkmal für den längst vergessenen Helden. In den wenigen verbliebenen Gassen der Altstadt Restaurants, Bars und kleine Kaffeehäuser.

Hier trafen sich die "Bärtigen". Harte Männer, die stundenlang im kleinen Kreis über Religion, Politik und vor allem über ihren Djihad, den Heiligen Krieg diskutierten. Fremde mit arabischen Zügen, die sich nicht scheuten, allzu neugierige, wiederum ihnen Fremde, mit einer demonstrativ langsam zwischen die Kaffeetassen gelegten Pistole zu warnen.

Zu ihnen zählte auch der Algerier Bensayah Belkacem. Wie tausende von Muslimen aus aller Welt hatte auch er dem Alarmschrei des saudischen Afghanistan-Veteranen Abu Abdel Aziz von 1992 geglaubt, "Christen und Juden" täten auf dem Balkan das, "was sie seit Jahrhunderten am liebsten tun: Sie schlachten alle Muslime ab". Wie viele dieser Mujaheddin war auch Belkacem nach dem Krieg in Bosnien geblieben. Immer wieder waren sie in den Büros islamischer humanitärer Organisationen wie der saudischen "al-Haramayn", im "Iranischen Zentrum" oder bei der "al-Muwafaq Stiftung" aufgetaucht.

Vermutlich kämen Bensayah Belkacem und seine Freunde bis heute in das Kaffeehaus, hätte der Algerier die Attentate auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 nicht so überschwenglich bejubelt. Belkacem hätte wissen müssen, dass die Aufklärer der in Bosnien stationierten multinationalen Friedenstruppe SFOR nach diesem Tag besonders aktiv sein würden. Doch offenbar fühlten sich die Mujaheddin so unangreifbar, dass sie selbst die elementarsten Regeln operativer Sicherheit vernachlässigten. Am Telefon sprach Belkacem offen von der Pflicht, sich körperlich und geistig auf "die nächste Phase des Djihad" vorzubereiten.

Besonders alarmierend für die Lauscher: Ein gutes Dutzend Mal sprach der Algerier mit Osama bin Ladens besten Waffen- und Sprengstoffexperten Abu Mohamed al-Masry in Afghanistan.

Abu Mohamed al-Masry, der während der Angriffe auf Afghanistan ums Leben gekommen sein soll, stand seit den Anschlägen von 1998 auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania auf der Fahndungsliste des FBI. Seine Kontakte zu den Mujaheddin in Bosnien konnten nur eines bedeuten: Das Terrornetz von Osama bin Laden bereitete die nächste Angriffswelle vor. Diesmal in Europa. Bevor sie sich mit einem Sportflugzeug voller Sprengstoff auf einen der US-Stützpunkte in Bosnien stürzen konnten, wurden Belkacem und sein Selbstmordkommando verhaftet. Über 100.000 DM wurden sichergestellt, mehrere islamische Organisationen auf Befehl von Innenminister Mohamed Besic durchsucht.

Bosniens Regierung stehe fest auf der Seite der weltweiten Anti-Terror-Koalition, erklärte Polizeichef Dragan Lucac in Sarajevo. Auf die Frage, warum er in der Vergangenheit nicht energischer gegen die Mujaheddin vorgegangen sei, wollte Lucac nur sagen, dass "der 11. September 2001 auch bei uns viel verändert hat". Damit ist der bosnische Polizist in illustrer Gesellschaft. Denn von einer globalen Strategie des Terrors hatten auch die meisten westeuropäischen Politiker ebenso wenig hören wollen wie von der Gefahr einer Penetration der demokratischen Gesellschaften durch das internationale organisierte Verbrechen. Solche Unkenrufe, erinnert sich ein hoher Nato-Offizier, wurden vor allem als Versuch der Geheimdienste interpretiert, sich mit der Erfindung neuer Feinde auch nach dem Ende des Kalten Krieges neu zu legitimieren.
Doch seit al-Qaidas mörderischem Quantensprung vom 11. September sind das Netz des Terrors und seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität nicht länger zu leugnen. Der balkanische Djihad begann vor gut einem Jahrzehnt. Und zu verantworten haben ihn die westlichen Demokratien. Nach einem relativ kurzen Krieg übten sich der serbische Diktator Slobodan Milosevic und sein kroatischer Gegenspieler Franjo Tudjman beim gemeinsamen Abendessen schon wieder in regionaler Machtpolitik. Auf einer Serviette teilten sie Bosnien unter sich auf. Den Muslimen bliebe nur ein kleiner und auf allen Seiten von Feinden eingeschlossener Landkeil.

Die internationale Konstellation war nicht günstig für die Bosniaken. Moskau fühlte sich den orthodoxen Slawen in Belgrad verpflichtet. Die USA erwarteten, dass Europa im eigenen Hinterhof für Ordnung sorgen würde. Doch von einer gemeinsamen europäischen Position konnte keine Rede sein. Die Mitglieder der Europäischen Union (EU) verfolgten im Wesentlichen eigene nationale Interessen.

Paris, traditionell ein Freund Serbiens, hatte die schnelle Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens durch Deutschland und den Vatikan als Angriff auf die eigene Führungsrolle in Europa verstanden. Großbritannien setzte weiter auf Belgrad als balkanische Ordnungsmacht. Italien sah jede politische Neuordnung im Südosten Europas als Gefahr für die eigene Rolle auf dem Balkan und in der Union. Und Deutschland verspürte wenig Lust, sich erneut gegen den Rest Europas zu exponieren.

Hinzu kam ein genuines Entsetzen der Westeuropäer über die Rückkehr des Krieges auf den Kontinent. Gewalt mit Gewalt zu unterdrücken, war im politischen Instrumentarium der Europäer nicht mehr vorgesehen. Die endlose. Abfolge von Friedenskonferenzen, auf denen selbst Kriegsverbrecher wie Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic hofiert wurden, entlarvte Europa als lächerlichen Papiertiger. Hilflos sahen die Politiker zu, wie die gleichen Männer, die mit ihnen vor der Öffentlichkeit über den Fortschritt auf dem Weg zum Frieden faselten, hinter ihrem Rücken neue Massaker planten.

Immer wieder, schreibt der ehemalige amerikanische Sonderbeauftragte für den Balkan, Richard Holbrooke, in seinen Erinnerungen, habe er nach dem Ausbruch des Bosnienkriegs die Aufhebung des Waffenembargos für die Bosniaken gefordert. Doch dass die US-Geheimdienste konkrete Hilfspläne radikaler islamischer Staaten und Organisationen an Sarajevo meldeten, schien die Europäer nicht zu beeindrucken.
Unter der Führung von Präsident Alija Izetbegovic hatten die Bosniaken schon frühzeitig eine Doppelstrategie entwickelt. Einerseits würden sie alle Friedensinitiativen unterstützen. Andererseits aber würden sie das Waffenembargo der Vereinten Nationen unterlaufen. Und die Bosniaken wussten, an wen sie sich wenden konnten.
Das iranische Regime der Mullahs hatte nicht vergessen, dass Alija Izetbegovic und der bosnische Imam Hasan Cengic für ihre Begeisterung über die Machtübernahme von Ayatollah Khomeini von einem jugoslawischen Gericht verurteilt worden waren.
Teheran versprach doppelte Hilfe. Revolutionswächter würden zusammen mit dem Mullah-Geheimdienst Vevak die Lieferung der Waffen vorbereiten. Zum anderen wollten die Iraner kampferprobte Veteranen aus den Kriegen gegen den Irak und die Sowjets in Afghanistan schicken.
Bei der Umgehung des UN-Waffenembargos half die sudanesische humanitäre Organisation "Third World Relief Agency" (TWRA) in Wien. Niemand schien sich darüber zu wundern, dass der bettelarme Sudan sich eine der reichsten islamischen NGO's leisten konnte. Und dass neben dem offiziellen TWRA-Gründer Elfatih Hassanein-omal-Fatih auch der Bosniake Hasan Cengic im Aufsichtsrat der Organisation saß, fiel ebenso wenig auf wie die Tatsache, dass Alija Izetbegovic und Hassanein langjährige Freunde waren.

Im März 1992 wurde Hassanein vom Osteuropa-Berater der sudanesischen "Nationalislamischen Front" zum stellvertretenden Kulturattache an der Wiener Botschaft befördert. Damit hatte er einen Diplomatenpass, der ihn vor jeder Kontrolle schützte. Nach einer direkten Intervention von Izetbegovic und seinem Außenminister Haris Selaidjic konnte Has¬sanein im Herbst 1992 bei der GiroCredit Bank in Wien ein von der TWRA verwaltetes Bosnienkonto einrichten.

Zwischen 1992 und 1995 flössen nicht weniger als 350 Millionen Dollar über dieses Konto. Der größte Teil der Gelder kam aus Saudi-Arabien, Malaysia, Kuwait und Brunei. Mindestens die Hälfte davon wurde nach Schätzungen westlicher Geheimdienste für Waffen ausgegeben. Die Einkaufsliste für die bosnische Armee stellte Brigadegeneral Dzemal Merdan zusammen, in dessen Büro in Sarajevo nicht die bosnische, sondern die iranische Flagge und ein Bild von Ayatollah Khomeini hingen. Die Logistik des Transports und der Verteilung übernahm Hasan Cengic's Vater Halid.

Mindestens zwei Mal verzeichnete das Bosnienkonto der TWRA auch die Spende eines Afghanistanveteranen namens Osama bin Laden. Und mit Hilfe der TWRA schickte bin Laden auch zwei Container mit gebrauchten sowjetischen und chinesischen Waffen, die aber 1993 an der slowenischen Grenze abgefangen wurden. Wenige Monate später betraten der Saudi bin Laden und der Tunesier Adouni Mehrez die provisorische bosnische Botschaft in Wien. Sarajevo leugnet, dass den beiden damals ein bosnischer Pass ausgestellt wurde. Aber fünf Jahre später wurde Mehrez im Zusammenhang mit den Attentaten auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalaam in der Türkei verhaftet. Bei dem Nordafrikaner wurde ein 1993 in Wien ausgestellter bosnischer Pass gefunden.

Senad Becanin hat nicht nur recherchiert, dass bin Laden während des Krieges mehrfach in Bosnien war. Der Chefredakteur der kritischen Wochenzeitung Dani in Sarajevo hat auch keinen Zweifel daran, dass "bin Laden zumindest in der Vergangenheit einen bosnischen Pass besaß".
Weil Europa trotz des wachsenden islamischen Einflusses auf dem Waffenembargo gegen Bosnien bestand, riskierte Amerika einen gefährlichen Alleingang. Am 27. April 1994 stimmte Präsident Bill Clinton über seinen Botschafter in Zagreb, Peter Galbraith, den iranischen Waffenlieferungen an Bosniens Muslime zu. Washington verlangte lediglich eine Inspektion der Waffen vor der Auslieferung. Zusätzlich wurden offiziell von den USA an Argentinien gelieferte Waffen von Präsident Carlos Menem über Kroatien an Bosnien weitergeleitet.
Die europäische Reaktion war ein Paradebeispiel diplomatischer Heuchelei. Obwohl längst allen klar war, dass es die UN-Sanktionen waren, die die Bosniaken in die islamistischen Arme trieben, war niemand bereit, als Erster die logische Konsequenz zu ziehen. Europa bewahrte sich mit der Rolle des hilflosen Friedensstifters die Fassade der Unschuld und überließ realpolitische Entscheidungen den Anderen. Die Katastrophe war vorprogrammiert.

Denn worauf Washington keinen Einfluss hatte: mit den Waffen kamen auch tausende meist afghanistan-erfahrene Mujaheddin. Ihr Einsatz wurde von der bulgarischen Hauptstadt Sofia aus von dem ägyptischen Integralisten Ayman al-Zawa-hari koordiniert. Al-Zawahiri gilt als religiös-politischer Mentor bin Ladens und als der eigentliche Kopf von al-Qaidas globaler Terrorstrategie.
Am Ende des Bosnienkriegs hatten sich die Islamisten bestens positioniert. Kein einziges Haus war noch repariert, da hatte die jordanische Regierung bereits die erste Moschee finanziert und Teheran in der Innenstadt von Sarajevo eine Bank und ein "Iranisches Kulturzentrum" eröffnet. Von der 7. Mujaheddin-Brigade der bosnischen Armee, die gemäß dem Dayton-Abkommen das Land hätte verlassen müssen, zog nur wenig mehr als die Hälfte ab. Die anderen hatten entweder während des Kriegs einen bosnischen Pass erhalten oder bekamen jetzt durch die schnelle Heirat mit einheimischen Frauen die bosnische Staatsangehörigkeit.

"Fürchtet Allah" schrieben die neuen Bosnier etwa auf ein Schild am Ortseingang von Bocinja Donja. Das Dorf war vor dem Krieg vorwiegend von Serben bewohnt gewesen. Unter Berufung auf die Zusage von Alija Izetbegovic weigerten sich die "bosnischen Araber" jetzt, Bocinja Donja zu verlassen. "So lange auch nur ein Muslim hier lebt, sollte kein Serbe sich herwagen", ließen sie die UN-Verwalter wissen und nahmen für einige Stunden sogar den britischen Vize-Kommandeur von SFOR, Generalleutnant Michael Wilcox, und seine Begleiter als Geisel.
Der Österreicher Wolfgang Petritsch musste bei den bosnischen Behörden sein ganzes Gewicht als hoher Vertreter der Europäischen Union einsetzen, um Ende 1999 wenigstens die Umsiedlung der Gotteskrieger aus dem serbischen Dorf durchzusetzen. Mehr war nicht drin. "Die Mujaheddin haben uns in der Not geholfen", erklärte Präsident Izetbegovic. "Sie sind unsere Gäste, die wir jetzt nicht so einfach rauswerfen können." Ähnlich würden im September 2001 die afghanischen Taliban argumentieren, warum sie den Terrorpaten Osama bin Laden nicht an die USA ausliefern könnten.

Für die islamische Wiederaufbauhilfe für Bosnien hatte Saudi-Arabien von der kroatischen Regierung den halben Adriahafen von Ploce gepachtet. Hier landeten auch die TWRA und andere islamische NGO's wie "al-Haramayn" oder "al-Muwafaq" ihre Container an.
Über die von Abu Dabi aus operierende Bank "al-Baraka" war al-Haramayn zur Unterstützung der in Afghanistan gegen die Sowjets kämpfenden Mujaheddin gegründet worden. Im November 2001 verhaftete die afghanische Nordallianz in Kabul den lokalen "al-Haramayn" Direktor Nasser Bin Mohammed al Gilale. Auf direkte Anweisung aus Riad hatte der "humanitäre" Helfer die "saudischen Familien" in Afghanistan auch nach dem 11. September noch mit Lebensmitteln und Ausrüstung versorgt. Al-Qaida Mitglie¬der hätten bei Verteilung von Hilfsmitteln durch "al-Haramayn" immer Priorität gehabt, erklärten verhaftete Kämpfer der Taliban. Doch "al-Haramayn" hat das Operationsgebiet längst ausgedehnt. Von Somalia, wo al-Qaida schon Anfang der 90er Jahre Fuß fasste, ist die Organisation heute über den Balkan bis hin in den Kaukasus aktiv. Al-Haramayn, meldete 1998 der russische Geheimdienst, sei "entscheidend für die Finanzierung, Aufrüstung und Versorgung der tschetschenischen Terroristen."

Im Sommer 1991 brach der albanische Kommunismus endgültig zusammen. Zehntausende flohen vor Hunger und Armut nach Italien. So aber waren die vom italienischen Fernsehen über die Adria geschickten Bilder westeuropäischer Opulenz nicht gemeint gewesen. Rom brachte mit der "Operazione Pelicano" ausreichend Hilfsmittel in das Land der Skipetaren, um den Exodus zu stoppen. Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen sollte folgen.

Als wenige Monate später die Bosnienkrise ausbrach, überließen Europa und die USA Tirana aber wieder sich selbst. So konnte der vom Leibarzt des kommunistischen Diktators Enver Hoscha zum demokratischem Präsidenten mutierte Nordalbaner Sali Berisha ungestört seine heimlichen groß-albanischen Träume pflegen. Der erste Schritt: Mit Hilfe der albanischen Rebellion im Kosovo wollte Berisha die traditionelle Macht der Südalbaner in der Regierung und Verwaltung in Albanien brechen.

Die von Berisha betriebene Mitgliedschaft Albaniens in der Islamischen Weltkonferenz erwies sich als hilfreich, um die vom Westen hinterlassene Lücke bei Berishas ehrgeizigen Entwicklungsplänen zu füllen. Teherans Mullahs brachten eine erste islamische Bank nach Tirana und einen "Ayatollah Khomeini Verein" in die Kleinstadt Skoder. Für die nach der kommunistischen Herrschaft entislamisierte Bevölkerung gab es, neben Essen und Kleidern, vor allem Kopien des Koran. Ein Jahr später präsentierte sich Osama bin Laden in Tirana als angeblicher Vertreter einer humanitären Organisation aus Saudi-Arabien.

Fast vier Jahre konnte Berisha der Welt demokratische Reformen vorgaukeln, während er mit Hilfe seiner islamistischen Freunde heimlich an der Kosovokrise zündelte. Doch dann brach das auf Betrug gebaute albanische Wirtschaftswunder zusammen. Im Sommer 1997 versank das Land der Skipetaren im Strudel der kollabierenden Pyramidenbanken. Etwa zur gleichen Zeit, während al-Qaida-Instrukteure die ersten Einheiten der kosovarischen UCK auf Berishas Familienbesitz im nordalbanischen Tropoije trainierten und andere im Iran das fromme Kriegshandwerk lernten, befahl bin Laden einen Anschlag auf die amerikanische Botschaft in Tirana.

Der Plan war die Summe der terroristischen Erfahrungen gegen die Sowjetunion und die USA. Wie schon 1989 durch den sowjetischen Abzug aus Afghanistan und vier Jahre später durch den vom Tod von 19 Elitesoldaten diktierten ruhmlosen Rückzug der USA aus Somalia sollte auch in Albanien durch Gewalt ein politisches Vakuum geschaffen werden, aus dem heraus sich der radikale Islam als einziger politisch-militärischer Ordnungsfaktor etablieren würde.

Die Ausgangslage schien günstig. Gut 600.000 Waffen hatten Albaner aus den Arsenalen der Armee gestohlen. Etwa 10.000 Blanko-Pässe waren aus den Tresoren der Verwaltung verschwunden. Im ganzen Land erklärten Familienclans sich zu lokalen Machthabern.
Doch diesmal hatten sich die Islamisten verrechnet. Die Sorge vor einem Bürgerkrieg in Albanien mit unabsehbaren Folgen für die ganze Region führten zum Bruch der USA und der EU mit Sah Berisha. Nach dem erzwungenen Rücktritt des Präsidenten kehrte der Westen hastig nach Tirana zurück.

"Wir waren es", sagt der nach Berishas Sturz von der sozialistischen Regierung zum Direktor des Geheimdienstes Shik ernannte Fatos Klosi, "die den Amerikanern 1997 die entscheidenden Informationen über bin Laden und seine Helfer in Albanien gaben". Die Terror-Connection hatte der Shik Anfang 1997 entdeckt. In Tirana wurde der aus Algerien stammende Franzose Claude Kader wegen des Mordes an seinem albanischen Übersetzer verhaftet. Im Verhör gab sich der 27-Jährige auch als Rekrutierer für al-Qaidas Heiligen Krieg im Kosovo zu erkennen.
Klosi stellte eine lange Namensliste von Mujaheddin in Albanien und dem Kosovo zusammen. "Sie kamen aus Ägypten, Saudi-Arabien, Algerien, Tunesien, dem Sudan und Kuwait." Klosi beschrieb der CIA, wie die albanische und die apulische Mafia Terroristen von al-Qaida über die Adria nach Italien brachten. Er legte Beweise für die Zusammenarbeit von Berisha mit dem internationalen Terrorismus vor.

Und gemeinsam mit der CIA entführten Agenten des Shik den für das geplante Attentat auf die US-Botschaft nach Albanien eingereisten Ägypter Ahmed Ibrahim al-Najjir und sein al-Qaida Kommando. Ohne große Formalitäten wurden die Extremisten an Ägypten ausgeliefert. Wieder waren es die USA, die die entscheidende Weiche stellten. Auch Washington hatte bislang auf den »balkanischen Gandhi« Ibrahim Rugova gesetzt. Die Entdeckung der Kontakte zwischen Osama bin Laden und der UCK führte zu einer radikalen Kurs-Änderung. Im Sommer 1998 machte Washington der UCK ein klares Angebot. Als Belohnung für das Ende jeder Beziehung zu al-Qaida und den "albanischen Arabern" würde die Guerillatruppe von der U S-Terrorliste gestrichen und zu Freiheitskämpfern aufgewertet werden. Der entscheidende Schritt auf dem Weg zum NATO-Krieg gegen Milosevic war getan.

Wer sich nicht an die Abmachung hielt, war die UCK. Sie erlaubte den Heiligen Kriegern von al-Qaida, in der Region zu bleiben. Lange vor Beginn des Kosovokrieges waren die üblichen islamischen Hilfsorganisationen nach Albanien gekommen. Unter dem Namen "Kosovo Relief Fund" hatte "al-Haramayn" ein Büro in Tirana eingerichtet. Nicht weit von den Saudis arbeiteten die "Freiwilligen" von "al-Muwafaq". Und dann war da noch der kuwaitische "Islamische Wiederauferstehungsfond", der den ägyptischen Djihad und später Osama bin Laden unterstützt hatte. Mohammad Hassan Mahmud, der das Tiraner Büro des Fonds leitete, gilt als enger Freund von bin Ladens Vertrautem Ayman al-Zawahiri. Er hatte den verhinderten Botschaftsbomber al-Najjar und dessen Komplizen bei sich beschäftigt.

In der Kosovokrise wollten die Europäer beweisen, dass sie aus ihren Fehlern in Bosnien gelernt hatten. »Nie wieder Auschwitz!« beschwor der grüne Außenminister Joschka Fischer den deutschen Bundestag vor der Abstimmung des ersten bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr außerhalb der Nato-Grenzen. Allerdings: Ganz freiwillig waren die deut¬sche wie die anderen europäischen Regierungen auch diesmal nicht der amerikanischen Politik gefolgt, die das Milosevic-Regime über das Kosovo ein für alle Mal zu Fall bringen wollte. »Nicht nur bei den gescheiterten Verhandlungen in Rambouillet wurden uns die Arme bis zur Schmerzgrenze verdreht«, gestand ein deutscher Sozialdemokrat in der Nacht, in der die serbische Armee die Bewohner von Pristina über die Grenze nach Mazedonien trieb.

Die Erfindung des "humanitären Krieges" war dabei nur politische Augenwischerei für die Öffentlichkeit. Tatsächlich ging es allein darum, nach über zehn Jahren dem Milosevic-Regime den Garaus zu machen und eine gesamt-balkanische Lösung der vor allem von Belgrad verursachten Konflikte auf den Weg zu bringen. Die direkte militärische Konfrontation war dabei vermutlich unvermeidlich. Nichts ließen die huma¬nitären Krieger darüber an die Öffentlichkeit dringen, mit wem sie sich für dieses Abenteuer eingelassen hatten. In der offiziellen Sprachregelung kämpfte die UCK allein um die Freiheit des Kosovo. Ihre Rolle im Drogenhandel wurde ebenso unterschlagen wie ihre Kontakte zum islamistischen Extremismus.

Und so konnte man auch nicht recht reagieren, als die "humanitären" Helfer während des Kosovokriegs alle üblen Propaganda-Register zogen. Mit eigenen Augen habe er gesehen, wie "Christen und Juden" die kosovarischen Flüchtlinge zu bekehren versucht hätten, meldete Saleh Muhammad Ad-Daheeshi zum Beispiel am 8. April 1999 nach Riadh. Nur wer seinen Glauben aufgebe, erhalte Hilfe, verbreitete al-Haramayn die Lügen weiter. "Ich bitte um Allahs Beistand bei unserer Aufgabe, den leidenden Muslims auf dem Balkan zu helfen und ihre Feinde zu vernichten. Europa und die USA schwiegen und kämpften weiter.

An der Mission der Mujaheddin hat sich nichts geändert. Ein Jahr nach dem Kosovokrieg halfen die "balkanischen Araber" zuerst die Rebellion der Albaner im südserbischen Presevo-Tal und im Sommer 2001 dann die Krise in den albanischen Regionen Mazedoniens zu schüren. All diese so genannten "Freiheitskämpfer" stehen entweder in engem Kontakt oder gehören zum organisierten Verbrechen. Und kaum zufällig lagen seit dem Bosnienkrieg alle Konflikte längs der von den Albanern kontrollierten Balkanroute für das afghanische Heroin.
Waffenhandel, Drogendeals, Frauenhandel, Menschenschmuggel, Geldwäsche und Zigarettenschmuggel: Zehn Jahre nach dem Ausbruch des Bosnienkriegs sieht Italiens oberster Mafiajäger Pier Luigi Vigna den Balkan - mit dem Kosovo an der Spitze - dicht vor dem Abgrund eines "europäischen Kolumbien". Der Vergleich ist von bedrückender Realität: Überall in der Region hängen längst auch politische Gruppierungen und Entscheidungsträger am Tropf der illegalen Finanzströme.

Der Balkan hat sich zugleich aber auch zu einem Aufmarschgebiet für radikale islamische Organisationen entwickelt. Viele der islamischen Kriegsveteranen sind in den letzten Jahren mit bosnischen und albanischen Pässen und fiktiven Namen vom Balkan nach Westeuropa eingesickert. Allein in Italien wird die al-Qaida Truppe auf etwa 60 aktive Mitglieder geschätzt. Und so häufig kreuzen sich dabei überall auf dem Kontinent legitime Wirtschaftsinteressen, international operierende Kriminalität und fromme Gotteskrieger, dass eine klare Unterscheidung immer schwieriger wird.

Die UCK war in der ersten Hälfte der 90er Jahre von Exil-Kosovaren in Genf als Alternative zu Ibrahim Rugovas Politik des gewaltlosen Widerstands gegründet worden. Doch legale Mittel für die Untergrundarmee fehlten. Der von der kosovarischen Diaspora gespeiste Solidaritätsfonds "Die Heimat ruft" finanzierte Rugovas Parallelregierung. Weder die Europäische Union noch die USA wollten von einer Guerillaarmee auf dem Balkan etwas wissen. Dass die Hilfe der kosovarischen Mafia dem politischen Aufstand schaden würde, war von Anfang an klar. Die Gangster drängten sich in die Gestaltung der politischen Zukunft der serbischen Provinz. Indirekt mit am Verhandlungstisch saßen damit auch diejenigen, die die kosovarischen Verbrecher seit Jahren mit Drogen versorgt hatten. Aber umsonst, so der zynische Kommentar eines UCK-Kombattanten schon 1997 in einem Interview in Basel, "ist die Freiheit von Serbien nicht zu haben".

Aus Afghanistan stammen fast 80 Prozent der globalen Welt-Opium-Ernte. Von dort beziehen die Kosovaren ihren Drogennachschub. Die Heroin-Route aus dem Goldenen Halbmond führt über die Türkei. Und in Istanbul residiert der Sudanese Elfatih Hassanein, dessen "humanitäre" Third World Relief Agency Anfang der 90er Jahre von Wien aus die islamische Militärhilfe für die bosnischen Muslime koordiniert hatte.

"Wenn Bosnien am Ende des Krieges kein rein islamischer Staat ist, war alles umsonst", hatte Hassanein einmal in einem Interview erklärt. Dann hatte die CIA Telefonate des TWRA-Chefs mit dem blinden ägyptischen Geistlichen Scheich Omar Abdel Rahman in New York abgehört. Der stand unter dem - inzwischen durch eine lebenslange Haftstrafe bestätigten -Verdacht, Drahtzieher des ersten Attentats auf das World Trade Center von 1993 gewesen zu sein. Und von Rahman führte die Spur direkt zu Osama bin Laden. In dem sich abzeichnenden internationalen Terrornetz spielte Hassanein offenbar eine größere Rolle als bisher angenommen. 1995 hatte sich der Westen endgültig für eine Intervention in Bosnien entschieden. Der muslimische Waffenkanal störte jetzt. Hassanein musste Wien verlassen.

Zurückgezogen hat er sich nicht. Unbehelligt koordiniert der Sudanese von Istanbul aus die Logistik für den Djihad in Tschetschenien. Ermittlern gilt er inzwischen auch als wichtige Figur im Drogenhandel zwischen Afghanistan und Europa.

Das afghanische Rauschgift kommt entweder über Zentral¬asien, wo es auch den tschetschenischen Terrorismus mit finanziert. Oder es kommt per Schiff aus Pakistan. Die beiden Ströme treffen in der Türkei wieder zusammen. Seit die Wirtschaftssanktionen der UN gegen Serbien die klassische Balkanroute über Belgrad und Zagreb unterbrachen, wird der Stoff über das südserbische Presevo-Tal oder die albanischen Gebiete in Mazedonien in das Kosovo und weiter nach Westeuropa transportiert.

Nicht erst der Befreiungskampf gegen Milosevic trieb die Kosovaren in die Drogenszene. Als Oberstaatsanwalt von New York musste Bürgermeister Rudolf Giuliani schon in den frühen 80er Jahren lernen, "dass keine andere kriminelle Organisation den Drogenhandel mit solcher Brutalität betreibt wie die albanische und kosovarische Mafia". Auch die NATO wusste, mit wem sie sich da eingelassen hatte. "Die UCK finanziert sich größtenteils über den Handel von Drogen und Waffen sowie über Erpressung von Schutzgeldern von den Auslands-Albanern", schrieben die Analytiker des Bündnisses nur Wochen vor Beginn des Kosovokriegs. Niemanden schien es zu stören, dass die Drogenprofite nicht nur in die Kassen des organisierten Verbrechens und der UCK flössen, sondern auch den Gotteskrieg auf dem Balkan finanzierten. Auf den Drogenfrachtern aus Pakistan reisen in der Regel auch illegale Einwanderer. Bis zu 20.000 Dollar zahlen sie für diese Reise ins Ungewisse. Die meisten von ihnen wollen nichts als eine bessere Zukunft. Aber unter dieses Heer der Habenichtse mischen sich immer wieder auch Männer, die ein anderes und gefährlicheres Handwerk im Sinn haben: Djihad, den Heiligen Krieg.

"Ein Kinderspiel, weil unter den Augen und sicher mit der Komplizenschaft der türkischen Regierung", nennt es ein Fahnder der italienischen Anti-Mafia-Behörde, der sich seit Jahren mit der illegalen Einwanderung und ihren kriminellen Nebenaspekten beschäftigt. An willigen Djihad-Helfern herrscht in der Türkei kein Mangel. Immer wieder ist die Rede etwa von der humanitären Organisation "Kafkafasya Yardimlasma Dernegi" oder der Fatih Moschee und dem Gotteshaus Beyazit in Istanbul.

Der Weg an die Tschetschenienfront führt über das Ausbildungslager bei Ducze auf dem halben Weg zwischen Istanbul und Ankara. Für die anderen, die frommen Terroristen, die in Richtung Westen ziehen, beginnt die Weiterreise am staubigen Busbahnhof am Stadtrand von Istanbul. Gesorgt ist für alles: gefälschte Reisepapiere, korrupte Grenzposten, erfahrene Schleuser. Kein Problem bei der Einreise nach Mazedonien. Von Tetovo reisen die Mujaheddin weiter über das Kosovo zur vorläufigen Endstation: Zenica.
Die zentralbosnische Kleinstadt ist internationalen Terrorfahndern nur allzu gut bekannt. Drei algerische Terroristen, nach denen die französische Polizei im Dezember 1995 nach einer Reihe von Bombenanschlägen auf die Pariser Untergrundbahn fahndete, waren in Afghanistan und in einem Lager bei Zenica ausgebildet worden.

Mitte September 2001 wurden in Brüssel der ehemalige Fußball-Profi Nizar Trabelsi und sein Freund Abdelhrim El Hadouti verhaftet. Im Hinterraum eines arabischen Restaurants hatte das Duo genug Material für eine Bombe mit verheerender Sprengkraft gelagert. Gelernt hatten sie ihr explosives Handwerk bei al-Qaida in Afghanistan. Unterstützung bei ihrem Anschlag sollten die beiden von nordafrikanischen Mujaheddin bekommen, die von Zenica über Mailand nach Belgien unterwegs waren.

Nach Zenica hatte auch der spanische al-Qaida-Vertreter Imad Eddin Barakat Yarkas eine Gruppe von Muslimen zur Ausbildung geschickt. Als Untersuchungsrichter Baltazar Garzon die Yarkas-Gruppe Mitte November 2001 in Madrid verhaftete, besaß er nicht nur stundenlange Abhör-Proto-kolle, in denen die Verdächtigen immer wieder auch Giftgas-Attacken in Europa diskutiert hatten. In Yargas' Wohnung wurden auch die Hamburger Telefonnummern von Mohammed Atta und einigen anderen der Attentäter vom 11. September gefunden. Den Gotteskrieger Karim Said Atmani hatten die kanadi¬schen Behörden 1998 mit einem gefälschten bosnischen Pass entdeckt und deportiert. Zurück auf dem Balkan erhielt Atmani in Zenica einen neuen, diesmal echten Pass, mit dem er wenig später verschwand.

In Kanada hatte Atmani dem Algerier Ahmet Ressam bei den Vorbereitungen für ein Attentat auf den Flughafen von Los Angeles in der Nacht der Jahrtausendwende geholfen. Ressam war am 14. Dezember 1999 mit einem Auto voller Sprengstoff an der amerikanisch-kanadischen Grenze gefasst und zu 140 Jahren Haft verurteilt worden. Im Juni 2001 machte er mit der amerikanischen Justiz einen Deal. Detailliert beschrieb der Algerier nicht nur die innere Struktur von al-Qaida, sondern auch die Versuche der Organisation, nukleare, chemische und biologische Waffen zu erwerben. Zum Lohn wurde seine Strafe auf 27 Jahre reduziert.

Auch der von der CIA aus Albanien nach Kairo entführte äyptische Fundamentalist Ahmed Ibrahim al-Najjar hatte über das Massenvernichtungswaffenprogramm von al-Qaida ausgesagt. Al-Najjar hatte auch von al-Qaidas ersten Flugversuchen berichtet. Schon 1995 hatte sich ein Mujaheddin in San Francisco zum Instrukteur im Drachenfliegen ausbilden lassen. Sein Wissen gab er dann in einem Ausbildungslager bin Ladens am Hindukusch weiter.
Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass die westlichen Demokratien solche Alarmsignale unbeachtet ließen. Im Juni 1994 kam es in der japanischen Kleinstadt Matsumoto zu einer Reihe geheimnisvoller Todesfälle. Die Erklärung fand sich in den Militärarchiven aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen von Matsumoto waren Opfer einer gezielten Attacke mit dem chemischen Kampfstoff Sarin geworden.

Am Morgen des 20. März des darauf folgenden Jahres wurde Sarin auch in der Untergrundbahn von Tokyo freigesetzt. 12 Menschen starben. Fast 5.000 wurden verletzt. Auf einer entlegenen Farm der außerhalb Japans wenig bekannten Sekte Aum Shinrikyo wurde ein Nervengaslabor entdeckt. Weltuntergangsprediger Shoko Asahara und Hunderte seiner Anhänger wurden verhaftet. Die Toten von Matsumoto, gestanden einige, waren nur ein Test gewesen. Nach einigen Tagen der Aufregung ging die Welt wieder zur Tagesordnung über. Die Sarin-Attacke schien sich mit den außerhalb Japans nur schwer zu decodifizierenden Ritualen einer obskuren fernöstlichen Sekte erklären zu lassen.

Eine von Präsident Bill Clinton eingesetzte Expertenkommission erkannte zwar, dass in Matsumoto und Tokyo eines der letzten großen Tabus gebrochen worden war und erklärte den Chemie- und Biowaffen-Terror zur größten Bedrohung der Zukunft. Wie gering solche Warnungen aber bewertet wurden, zeigte sich sechs Jahre später. Als im Oktober 2001 in Florida, Washington und New York die ersten Anthraxfälle auftraten, waren die USA genauso wenig vorbereitet wie Europa, wo die Ermittler ebenfalls immer auf die Spuren chemischer Waffen gestoßen waren.

Die Hinterhof-Moschee in der Mailänder Viale Jenner gilt als eines der europäischen Zentren des islamistischen Terrorismus, seit ihr 1995 in Bosnien erschossener Vize-Imam, Anwar Shabaan, damit begann, aus seiner Gebetsrunde frische Gotteskämpfer für den Balkan zu rekrutieren. Seine Nachfolger haben das "fromme" Werk nie unterbrochen. Wenn die Nachbarn abends durch die dünnen Wände laute Schreie und Explosionen hörten, hielten sie die Gebetsrunde für Anhänger amerikanischer Actionfilme. Stattdessen jubelten die Djihad-Aspiranten über grausame Szenen aus den Kriegen in Bosnien und Tschetschenien, bei denen Mujahed-din ihren Gefangenen den Kopf abschnitten und als Siegestrophäen in die Luft hielten.

Die Miete der als islamisches Kulturzentrum registrierten Moschee zahlte - zumindest bis Ende des Jahres 2001 - der gebürtige Syrer Ahmet Idris Nasreddine. Dieser ist ein enger Freund und Gesprächspartner des naturalisierten Italieners Youssef Nada, dem in der Schweiz wohnenden Syrer Ghaleb Himmat und dem Schweizer Rechtsextremisten und Holocaust-Leugner Albert "Ahmed" Huber, die wiederum Hauptanteilseigner der Anfang 2001 in "Nada Management" umgetauften und Ende des gleichen Jahres aufgelösten al-Taqwa-Gruppe waren. Unter den 600 Anteilseignern der auf den Bahamas registrierten al-Taqwa Bank befanden sich auch zwei Verwandte von Osama bin Laden. In der Vergangenheit war Himmat auch einer der Initiatoren des Islamischen Zentrums in München.

Über "al-Taqwa" flössen 'Spenden' an islamische Hilfsorganisationen wie die in London registrierte "International Islamic Relief Organisation" (IRRO) oder die saudische "al-Haramayn". Tatsächlich so die amerikanischen Ermittlungen, sollen die Gelder für al-Qaida bestimmt gewesen sein. Die Beschuldigten leugnen. Aber das Finanzministerium in Washington setzte die Gruppe um Youssef Nada und ihre Unternehmen sowie die Mailänder Moschee auf die Terrorliste. Auch Mohammed Atta besuchte die Kultstätte mindestens zweimal in den letzten Jahren. Aus München war der 32-jährige Libyer Lased Ben Heni nach Mailand gekommen. Hier träumte er in den ersten Wochen des neuen Jahrtausends mit seinem tunesischen Freund Essid Sami Ben Khemais vom Märtyrertod. "Ich möchte wirklich dieses Gas ausprobieren", hörten die italienischen Fahnder über die in der Wohnung installierte Wanze mit. "Der libysche Chemiker garantiert: es dauert nur Sekunden bis zum Tod." Gott liebe ihn und seine extremistischen Verschwörer, faselte Ben Heni. "Schließlich hat er uns Europa in die Hände gespielt."

Lased Ben Heni wurde im April 2001 in München verhaftet und im November nach Mailand ausgeliefert. Dort wurden auch Essid Sami Ben Khemais und einige andere der Organisation festgenommen. Wenig später wurde auch ein Algerier verhaftet, der von der Moschee in der Viale Jenner aus die Reisen derDjihad-Aspiranten aus Europa in al-Qaidas Trainingslager in Afghanistan organisierte. Hinter Gittern sitzt auch der ägyptische Passfälscher der Organisation. "Der Fall ist wasserdicht", sagt der Mailänder Staatsanwalt Stefano Dambruoso. "Mit den Verhaftungen in Deutschland und Italien haben wir al-Qaida einen schweren Schlag versetzt."

Der in Afghanistan begonnene Djihad, brüstete sich der wegen seines hennaroten Bartes "Barbarossa" genannte Balkanveteran Abu Abdel Aziz auf einer Konferenz radikaler Muslime in den Vereinigten Staaten, sei "in Kaschmir, auf den Philippinen und in Bosnien fortgesetzt" worden. Westeuropa werde die nächste Etappe sein.

1995 schickte der Ägypter Abu Abdel Aziz einen Marokkaner mit einer CD nach Italien. Ihr verschlüsselter Inhalt: detaillierte Bau-Anleitungen für Giftwaffen und Angriffspläne auf die städtische Trinkwasserversorgungs-Anlagen. Es war ein reiner Zufall, dass die CD bei einer Stichproben-Kontrolle an der Grenze bei Triest entdeckt wurde. Aber weil dem Terrorboten konkrete Attentatspläne nicht nachgewiesen werden konnten, schob die Polizei ihn über die Grenze ab.

Das italienische Verhalten war symptomatisch für die Hilflosigkeit, mit der Europa zumindest bis zum 11. September 2001 dem radikalen Islamismus begegnete. Die tiefen Narben, die Kolonialismus, Ausbeutung und Sklaverei im Gewissen des Okzidents hinterlassen haben, hinderten die liberale Gesellschaft daran, den sich seit den 90er Jahren auch in Europa ausbreitenden islamistischen Extremismus öffentlich als Gefahr zu identifizieren. Diese an Dummheit grenzende Toleranz der Intoleranz gegenüber gipfelt darin, Verständnis und oft sogar Sympathie noch selbst für die gewalttätigsten Gruppen zu entwickeln und ihnen das eigene Territorium als Rückzugsetappe zu überlassen. In allen westlichen Demokratien konnten selbst in ihrer Heimat überführte islamistische Terroristen bisher auf politisches Asyl zählen. "Es ist so einfach, diese Idioten zu belügen", hörten die italienischen Fahnder mit, wie Scheich Es Sayed Abdelkader Mahmoud sich im Herbst des Jahres 2000 über sein erschlichenes Asyl amüsierte. Von wegen politisch Verfolgter. In Wahrheit sei er mit 15 Komplizen auf dem Weg zu einem Attentat gegen Israel in Bagdad verhaftet worden, weil "wir die Syrer von der Ankunft des Kommandos nicht informiert hatten".

Offenbar hatten die Terror-Reisenden beste Verbindungen. Der syrische Außenminister Moussa Tlass besuchte sie im Gefängnis. Präsident Assad befahl ihre Freilassung. In Bagdad hätten sie auch die Telefonnummern der palästinensischen Terrororganisationen Hamas und al-Djihad erhalten. "Die Syrer unterstützen uns." Zum Zeitpunkt dieser Aufzeichnung war der Extremist schon seit Monaten im Visier der italienischen Fahnder. Und Schritt für Schritt begriffen sie die wichtige Rolle des Scheichs im globalen Terrornetz. Zu Hause hatte der Ägypter die fundamentalistische AI Jamaa al-Islamiya mitbegründet. Vor der ägyptischen Polizei war er zuerst nach Jemen und von dort weiter nach Sudan und Syrien geflohen. Von Italien aus sollte er nun das europäische al-Qaida-Netz auf Vordermann bringen.
Am 18. August 2000 holte Scheich Es Sayed am Flughafen in Rom den Jemeniten Abdulsalam Ali Ali Abdulrahman ab. Der Mann mit dem Endlos-Namen gehört zu einer Gruppe von al-Qaida Sympathisanten innerhalb des jemenitischen Geheimdienstes. Abdulsalam war mit einer präzisen Order gekommen. Für einen siebentägigen Perfektionskurs für 2.300 neue Gotteskrieger von al-Qaida "brauchen wir Einrichtungen und Ausrüstung für neue Trainingslager." Neue Kurse in Bosnien abzuhalten sei zu auffällig, warnte der Scheich. "Afghanistan ist sicherer", stimmte der Besucher zu.

Es Sayed telefonierte mit den Führern der Palästinenserorganisation al-Fatah. An anderen Tagen sprach er mit Hamas oder mit Terroristen im Sudan. Und am 12. Oktober 2000 erhielt er ein Gespräch aus Syrien: "Für einige Brüder ist es hier sehr kalt geworden. Ihr müsst für sie Aufnahme in Europa finden." Warum nicht von der Türkei über Bosnien nach Italien, schlug Es Sayed vor. Die Route sei ideal. "Mach dich an die Arbeit. Sofort!", befahl der Anrufer und legte auf.
Wenige Stunden zuvor hatte al-Qaida im Hafen von Aden einen Sprengstoffanschlag auf den amerikanischen Kreuzer "Cole" verübt. Siebzehn Seeleute waren dabei ums Leben gekommen. Das Gespräch aus Syrien bewies nicht nur eine operative Verbindung zwischen dem Islamischen Kulturzentrum in Mailand und al-Qaida. Es bestätigte auch die Verbindung des Terrornetzes nach Damaskus.

Am 22. Oktober 2000 fiel der nächste Mosaikstein an seinen Platz. In Ägypten war einer der Gründer der AI Jamaa AI Islamiya von der Polizei erschossen worden. Al-Qaida befahl Mailand einen Vergeltungsschlag. "Wir sind bereit", versprach Es Sayed und löste damit überall Großalarm aus. Denn angerufen hatte Emir Rifa'ai Ahmad Taha Mousa. Er gilt nach Osama bin Laden und Ayman al-Zawahiri als die Nummer Drei von al-Qaida. Diesmal kam der Anruf aus dem Iran. Auch Teheran hat jede Beziehung zu bin Ladens Terrornetz stets geleugnet.

Am 27. Oktober landete Rifa'ai Ahmad Taha Mousa auf dem Weg nach Saudi-Arabien in der Schweiz. "Wir brauchen Eure Hilfe bei diesem großen Projekt", drängte der Topterrorist Minuten vor dem Weiterflug. Und dann: "Wir kommunizieren nur noch über Internet. Das ist am sichersten." Noch einmal konnten die Italiener im Juni 2001 dem Ägypter Es Sayed bei letzten Instruktionen an seine Gruppe zuhören. Wie die übrigen Europäer seien auch die Italiener bei der Aufnahme von Ausländern misstrauisch geworden. "Unsere Djihadi werden überall verfolgt. Die Europäer sind die wahren Terroristen!" Als die Polizei nur Minuten später die Wohnung stürmte, war Es Sayed bereits verschwunden. Seitdem haben sich seine Spuren verloren.

Es hat seit dem 11. September 2001 Teilerfolge im Kampf gegen den islamischen Terrorismus gegeben. Die Bilder vom Einsturz des World Trade Center haben auch Europa endlich aus dem Schlaf gerissen. Doch es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, das Problem mit einigen Verhaftungen aus der Welt geschafft zu haben. "Der europäische Djihad hat zwar in Bosnien begonnen", hatte der Kommandant der 7. islamischen Brigade in Bosnien, Abu Abdel Aziz schon zu Beginn der 90er Jahre das Ziel vorgegeben. "Aber enden wird der Heilige Krieg erst, wenn wir unsere Brüder überall in Europa, und Europa insgesamt, von der Herrschaft der Ungläubigen befreit haben."

Johannes von Dohnanyi, in "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz" (Hrsg. Alice Schwarzer, KiWi, 9.95 €)

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