"Das hätte ich sein können!"
Denn einen Weißen hätte der selbsternannte Bürgerwehrler wohl nicht so rasch in Verdacht gehabt, ein Übeltäter zu sein. Der amerikanische Präsident erinnerte daran, dass ein Gerichtsurteil in einem Rechtsstaat akzeptiert werden müsse – auch wenn der Freispruch noch so fragwürdig sei. Aber er stellte sich dennoch auf die Seite des Opfers sowie der Zehntausenden von Protestierenden, die über dieses Urteil empört sind.
Obama ist nicht allein mit seiner Empathie und seiner Identifikation mit dem Opfer. Denn das Opfer ist männlich. Und es ist schwarz.
Und wäre es eine weiße Frau gewesen? In Deutschland zum Beispiel? Eine Frau, die vergewaltigt wurde oder gar Opfer eines Sexualmordes – und deren Täter mit einem fragwürdigen Urteil freigesprochen wird? Hätte da jemand protestiert? Nein. Das vermute ich nicht. Das weiß ich aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte. In der Zeit wurden Gattenmörder, Vergewaltiger und Sexualmörder reihenweise entweder schlankweg freigesprochen („mangels Beweisen“) oder bekamen grotesk niedrige Strafen, manchmal sogar gleich auf Bewährung („verletzte Männerehre“). Über diese Prozesse hat bestenfalls EMMA berichtet, aber selbst wir kamen und kommen keineswegs immer nach. Es sind zu viele. Und es sind zu wenige, die erkennen, was da passiert und dagegen protestieren. Nicht eine Frau oder auch Feministin in Deutschland ist seit dem Ihns/Andersen-Prozess 1974 wegen einer sexistischen Prozessführung oder eines fragwürdigen Urteils auf die Straße gegangen.
Oder wäre es vorstellbar, dass zum Beispiel die Bundeskanzlerin einen solchen Freispruch kommentiert – und gar den großen Satz sagt: „Das hätte ich sein können“? Nein. Das ist ganz und gar undenkbar. Eine Frau, die es geschafft hat, muss schon Feministin sein, um öffentlich zuzugeben, dass sie zu derselben Sorte Mensch gehört. Zu der Sorte, die vergewaltigt oder aus Frauenhass ermordet werden kann. Egal wie hoch wir auf der sozialen Leiter gekommen sind: Unser Geschlecht kann uns jederzeit wieder runterholen.
Und damit wären wir bei dem Kernproblem der Frauen: der mangelnden Solidarität. Frauen beziehen sich traditionell nicht auf andere Frauen, starke Frauen schon gar nicht. Die versuchen in der Regel, möglichst rasch zu vergessen, dass auch sie trotzalledem „nur“ eine Frau sind. Und schwache Frauen? Die haben schon selber genug Probleme, die können nicht auch noch die Kraft aufbringen, sich um die Opfer zu kümmern.
Weiße Männer identifizieren sich mit Männern. Klar. Männer sind stolz auf andere Männer. Männer haben Mitgefühl mit anderen Männern. Und schwarze Männer? Die haben sich, Seite an Seite mit den schwarzen Frauen, aus der Sklaverei befreit und kämpfen seither um Gleichberechtigung. Einige sind dabei sehr weit gekommen, so wie Barack Obama. Aber – sie haben dennoch nicht vergessen, dass sie schwarz sind. Sie beziehen sich auf andere Schwarze – ohne sich im Schwarzsein einzuschließen. Obama ist nicht nur das Kind eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter, sondern er ist auch der Präsident aller AmerikanerInnen, egal welche Hautfarbe sie haben. Aber er ist schwarz. Das hat er nicht vergessen.
Und wir Frauen? Könnten wir nicht endlich anfangen, das auch zu lernen?!
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Von Weimar bis Memmingen (EMMA April 1989)
Männerjustiz (EMMA 2/1977)