Alice Schwarzer schreibt

Liebe Elisabeth Niejahr, liebe ZEIT!

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Denn Sie unterstellen ausgerechnet mir allen Ernstes, ich und EMMA, wir hätten uns noch nie für die "ökonomische Gleichstellung von Mann und Frau" interessiert, sondern immer nur "für Sex".

Was Sie unter "Sex" verstehen, darauf komme ich noch. Reden wir zunächst von der Ökonomie. Sie veröffentlichen Ihren Text, in dem Sie meine Arbeit und mein Engagement beurteilen, mit so viel demonstrativer Unbefangenheit wie unübersehbarer Unkenntnis. Denn aus Ihrer Argumentation muss ich schließen, dass Sie noch nie einen Text von mir gelesen haben und ebenso wenig jemals die EMMA. Was Ihr gutes Recht ist. Nur sollten Sie in diesem Fall dann nicht darüber befinden, was ich vertrete und was nicht.

Und bitte: Ich bin nicht die Frauenbewegung. Und es handelt sich auch nicht um meine Frauenbewegung. Im Feminismus gibt es viele, auch kontroverse Stimmen. Ich verantworte ausschließlich das, was ich selber schreibe und tue - und was Monat für Monat in EMMA erscheint.

Sie, liebe Elisabeth Niejahr, sind Wirtschaftsjournalistin, und zwar eine sehr gute. Viele Ihrer Texte aus den vergangenen Jahren hätte ich gerne genau so in EMMA gedruckt. Aber es freut mich natürlich, dass diese Themen endlich auch in anderen Medien aufgegriffen werden. Endlich. Denn eine Feministin wie ich beschäftigt sich nun seit über vierzig Jahren damit - also schon zu einer Zeit, als es noch so gar nicht angesagt war.

Viele Ihrer Texte
hätte ich gerne
in EMMA gedruckt

Als ich 1973, also vor 41 Jahren, mein Buch mit dem programmatischen Titel "Frauenarbeit - Frauenbefreiung" veröffentlichte (edition suhrkamp), da standen die meisten Forderungen, die jemand wie Sie heute für neu hält, schon drin: Das Recht auf Berufstätigkeit für Frauen (das wir in Westdeutschland erst 1976 bekamen)! Die Warnung vor den traditionellen "Frauenberufen"! Die Gefahr der Teilzeitarbeit! Die Forderung nach gleichem Lohn für Frauen und Männer! Der Traum von einer gerechten Teilung der Haus- und Kinderarbeit zwischen den Geschlechtern!

Zwölf Jahre später legte der Verlag das Buch erneut auf, diesmal unter dem nicht minder programmatischen Titel: "Lohn : Liebe". Programmatisch, weil eben alles zusammenhängt. Frauen arbeiten gratis in der Familie "aus Liebe". Frauen stecken zurück im Beruf "aus Liebe". Frauen träumen seltener von einer Karriere und öfter von der Liebe. Das ist bis heute so. Die ökonomische Frage ist also unlösbar mit der emotionalen Frage verknüpft, und die emotionale Frage mit der sexuellen Frage. Wir kommen nochmal darauf.

Die erste EMMA erschien am 26. Januar 1977. Da waren Sie zwölf Jahre alt. Also sei hier für Sie nachgetragen: Von der ersten Ausgabe - bis heute! - ist die Frage der ökonomischen Eigenständigkeit von Frauen, das heißt, ihre Berufstätigkeit, eines der zentralen Themen in EMMA. Denn ich, die EMMA-Macherin, bin der Überzeugung, dass die ökonomische Autonomie für jeden Menschen eine Grundvoraussetzung ist zur Unabhängigkeit, also Voraussetzung (wenn auch nicht zwingend Erfüllung) jedweder Emanzipationsbestrebung von Frauen.

Vielleicht erschreckt es Sie ja doch, wenn ich Ihnen jetzt sage: Alle Themen, mit denen Sie sich heute so kompetent beschäftigen, hat ausgerechnet EMMA vor Jahrzehnten angestoßen. Oft alleine, aber immer als erste, und immer zunächst verhöhnt und verlacht. Denn bis die Probleme von Frauen ZEITfähig werden, vergehen in der Regel nicht ein paar Jahre, sondern ein paar Jahrzehnte.

Die ökonomische
Unabhängigkeit:
1. Schritt zur
Emanzipation!

Konkret: Seit den 70er bzw. 80er Jahren kämpft EMMA für: gleichen Lohn, die 32-Stunden-Woche für Eltern von Kleinkindern, gerechte Steuerklassen, gerechte Renten, mütterliche Väter und alleinerziehende Mütter (wie Sie eine sind). Gehen Sie mal in den EMMA-Lesesaal in dem 37 komplette EMMA-Jahrgänge stehen, und geben Sie die entsprechenden Stichworte ein. Ihnen wird eine Flut von Artikeln entgegen kommen, aus denen auch Sie, die Expertin im 21. Jahrhundert, zweifellos noch heute lernen könnten. Schade eigentlich, dass Sie das nicht getan haben. Denn in Kenntnis des bereits Gedachten, Geschriebenen und Getanen, hätten Sie gewiss kühner weiter denken können.

Und weder für mich noch für EMMA, die deutsche Frauenzeitschrift mit den jüngsten Leserinnen, sind diese Themen historisch, denn sie sind ja leider noch lange nicht erledigt. In der nächsten EMMA-Ausgabe zum Beispiel geht es im Dossier (mal wieder) um das Dauerthema "Beruf und Familie" - zahlreiche Ihrer Kolleginnen Wirtschaftsjournalistinnen tragen kompetent dazu bei.

Warum also schreiben Sie so etwas? Bzw. warum veröffentlicht Ihre Zeitschrift, die doch den Anspruch auf journalistische Seriosität hat, so etwas? Sie müssten es beide doch besser wissen. Geht es also um Diffamation? Oder um Anbiederung?

Vielleicht ja um beides. Denn wie sonst könnten Sie sogar so weit gehen, mir zu unterstellen, ich würde über die von Ihnen so genannten "Sexthemen" aus journalistischem Kalkül schreiben, weil man damit "in der Öffentlichkeit provozieren" kann (und so die konzernunabhängige EMMA am Kiosk besser verkaufen?).

Es ist schon sehr aufschlussreich, dass Sie unter "Sexthemen" zum Beispiel den Kindesmissbrauch verstehen, über den ich auf Wunsch im vergangenen Jahr auch in der ZEIT geschrieben hatte. Und die Prostitution. Beides hat zwar wenig mit "Sex" und viel mit Macht zu tun, aber beides hängt in der Tat mit der ökonomischen Frage zusammen.

Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass Frauen das unterbezahlte Geschlecht sind, weil sie das käufliche Geschlecht sind? Sehen Sie wirklich nicht den Zusammenhang der Abwertung? Eine Sorte Mensch, die man kaufen kann, die ist nicht viel wert. Wie heißt der aktuelle Streik-Slogan von ver.di so schön? "Wir sind es wert!" Frauen sind es in der Regel nicht wert. Für Freier sind sie schon für 50 Euro zu haben - oder auch mal 20 oder 10 Euro auf dem Straßenstrich.

Es gibt einen
Zusammenhang
zwischen Prostitution
und Pay Gap

Eine solche Sicht auf unser Geschlecht schlägt sich selbstverständlich auch auf das Gehalt nieder. Auch födert das Wissen von Männern, wie billig Frauen sein können, nicht gerade die Bereitschaft, ihre Männerbünde zu lockern und Frauen in ihren Reihen aufzunehmen.

Was nun den frühen sexuellen Missbrauch und die (meist sexuelle) Gewalt in Beziehungen angeht: Ist Ihnen wirklich noch nie in den Sinn gekommen, dass diese Demütigungen und Brechungen eine Rolle spielen könnten bei dem mangelnden (beruflichen) Selbstbewusstsein von Frauen? Es handelt sich bei der sexuellen Gewalt ja schließlich nicht um individuelle Ausrutscher, sondern um ein strukturelles, ein Massenproblem. Was kein Zufall ist. Gewalt ist immer der dunkle Kern von Machtverhältnissen, ausgeübte oder drohende Gewalt. Leider auch zwischen den Geschlechtern.

Und haben Sie als Wirtschaftsjournalistin wirklich noch nie darüber nachgedacht, warum alle Appelle an die Mädchen und Frauen so wenig fruchten? Warum die Barbie-Mädchen immer noch scharenweise in die unterbezahlten, begrenzten zehn "Frauenberufe" streben? Warum es den Karriereknick bei Frauen gibt, sobald sie Kinder haben? Warum älter werdende Frauen sich trotz zunehmender beruflicher Kompetenz verunsichern lassen mit der Suggestion, sie seien nicht mehr begehrenswert?

Schreiben Sie, Kollegin Niejahr, also tatsächlich über all diese ökonomischen und sozialen Fragen - ohne das Ganze im Blick zu haben? Ohne zu sehen, dass die helle Seite des Fortschritts weiterhin überschattet ist von der dunklen Seite? Oder, um es mit Ihren Worten zu sagen: Sie, die Karrierejournalistin, sind also so gar nicht auf unserer Seite? Wie schade.

Alice Schwarzer

Offener Brief von Elisabeth Niejahr an Alice Schwarzer in der ZEIT

 

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