Basel: Unsere Versäumnisse
Alice Schwarzer, Sie bezeichnen die Vorkommnisse auf dem Kölner Bahnhofsplatz von Silvester als eine «Gangbang-Party» junger arabischer Männer. Führten diese Männer tatsächlich eine Party durch, wie Sie sagen?
Es scheinen auf jeden Fall keine Einzeltäter gewesen zu sein, sondern eine Gruppe von bis zu 1000 Männern arabischer Herkunft, wie alle Zeugen übereinstimmend sagen. Aus dieser Masse heraus haben sich Gruppen von 20 bis 40 Männern gelöst, die die Frauen eingekreist und gejagt haben. In einem internen Polizeibericht ist von einem wahren Spiessrutenlaufen der Frauen die Rede. Und auch Betroffene schildern es so. Bisher kannten wir solche Schilderungen nur aus Bordellen, wo die Frauen den Freiern bei Gangbang-Partys – Banden-Vergewaltigungen – in der Art ausgeliefert sind.
Sie nennen die Täter das «triste Produkt einer gescheiterten, ja nie auch nur wirklich angestrebten Integration». Die Mehrheit von ihnen seien «Flüchtlinge von gestern». Hat Deutschland in der Integration schon versagt, bevor das Land die Million Flüchtlinge von 2015 integrieren will?
Ja. Deutschland versagt seit Ende der 1980er-Jahre. Und nicht nur Deutschland, ganz Westeuropa. Seither weiss man um das Entstehen von Parallelwelten, in denen die von Iran und Pakistan ideologisch und von Saudi-Arabien ökonomisch munitionierten Islamisten agitieren. Wir haben dem nichts entgegengehalten. Im Gegenteil: Die Segregation der Geschlechter und der pseudoreligiöse Fanatismus wurden verharmlost im Namen einer falschen Toleranz sowie der Religionsfreiheit. Als hätte der Glaube etwas mit dieser Ideologie zu tun.
Gibt es jetzt schon rechtsfreie Räume in Deutschland?
Es sieht so aus. Ich hatte schon befürchtet, dass es manche Strassen in Vorstädten gibt, in die die Polizei sich nicht mehr traut. Aber hier reden wir von dem öffentlichsten Platz der Millionenstadt Köln.
Die Polizei gab sich von den Ereignissen überrascht.
Aus einem internen Papier der Polizei wird jetzt bekannt, dass die 143 Beamten zwischen Dom und Bahnhof völlig überfordert waren. Sie hätten mit Toten gerechnet, heisst es, und seien sehr beschämt. Die Polizeileitung hatte ja sogar die Dreistigkeit, am nächsten Tag eine Pressemitteilung rauszugeben, die Silvesternacht sei «friedlich» verlaufen.
Waren auch Sie überrascht?
Ja, das muss ich zugeben. Solche Szenen hätte selbst ich, die ich seit 30 Jahren vor dieser Entwicklung warne, nicht erwartet. Allerdings war klar, dass eine Eskalation nur eine Frage der Zeit ist.
Wie erklären Sie es sich, dass die Polizeiführung sieben Tage nach den Ereignissen über die Täter offiziell kaum etwas weiss?
Die Hilflosigkeit und Unwissenheit der Kölner Polizei ist beschämend. Ich denke, dass die Verantwortlichen die Konsequenzen ziehen müssen. Inzwischen allerdings scheint man zu wissen, dass – entgegen zunächst auch meiner Vermutung – doch auch aktuelle Flüchtlinge dabei waren. Das ist noch alarmierender.
Die Bild-Zeitung etwa zitiert aus einem internen Polizeibericht einen mutmasslichen Täter: «Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln. Frau Merkel hat mich eingeladen.»
Von Whistleblowern erfahren wir eine Woche nach dem Skandal, dass die Polizei durchaus etwa hundert Männer kontrolliert und viele auch mit auf die Wache genommen hat. Die meisten seien nicht Nordafrikaner gewesen, sondern Syrer, Flüchtlinge, sagt die Polizei jetzt. Damit widersprechen die Beamten ihrer Führung. Sollte das unterdrückt werden? Wenn es stimmt, ist es eine Katastrophe, allerdings nicht kriegsentscheidend. Denn mit den Söhnen der ersten Flüchtlinge, der Migranten, haben wir ja ähnliche Probleme. Wie kommunizieren diese Männer eigentlich? Über welche Kanäle, welche Plattformen? Das müssen wir jetzt erfahren, um es bekämpfen zu können.
Die Polizei war vor Ort, aber ausserstande, die Bürgerinnen zu schützen. Erschüttert Köln grundlegend das Vertrauen in den deutschen Staat?
Klar ist, dass das Laisser-faire mit den orthodoxen Muslimen und Islamisten schon jetzt einen schweren Rückschlag der Frauenrechte in Deutschland bewirkt hat. Nicht nur bei uns.
Ist der gesetzliche Rahmen überhaupt gegeben, dass diesen jungen Männern Respekt vor dem Staat – und Frauen – eingeflösst werden kann?
Nur abstrakt. Es müssen jetzt schnellstmöglich ausführende Gesetze und Vorschriften erlassen werden, mit denen die radikalen Agitatoren und alle rückschrittlichen Kräfte eingedämmt werden können. Auch die Islamverbände, in denen ja nur eine extreme Minderheit organisiert ist, müssen wir jetzt einklagen. Sie spielen sich als die Sprecher aller auf und tönen dabei orthodox bis islamistisch. Anstatt Eltern bei der Klage gegen den Schwimmunterricht zu unterstützen und Klagen von Lehrerinnen für das Recht auf das Kopftuch in der Schule anzuzetteln, sollten sie sich besser für Menschen- und Frauenrechte im Islam einsetzen!
Wie wirkt das auf Sie, wenn Politiker diese Tage verkünden: Frauen sind kein Freiwild. – Ist Deutschland gerade auf dem Weg in die Vergangenheit?
Es ist beklemmend, dass solche Evidenzen im Jahr 2016 noch betont werden müssen.
Die Flüchtlingskrise ist längst nicht ausgestanden, auch im Dezember kamen täglich zwischen 3000 und 4000 Asylsuchende über die Grenze. Kann Deutschland die Integration all dieser Menschen bewältigen oder ist Merkels «Wir schaffen das» bereits eine naive Plattitüde?
Auch ich glaube, dass wir das schaffen können. Wir müssen nur wollen. Wir sind ein starkes und reiches Land. Ich finde es richtig, dass die Kanzlerin diesen Satz gesagt hat: Wir schaffen das! Aber jetzt geht es ans Konkrete. Die Rede ist von Integrationsvereinbarungen, Wertebekenntnissen per Unterschrift.
Bringt das etwas?
Die bereits hier lebenden Muslime müssen ebenso wie die Neuankömmlinge eingeklagt werden. Alle haben sich auf unsere zentralen Werte zu verpflichten wie: Rechtsstaat und Gleichberechtigung der Geschlechter. Und das muss überall umgesetzt werden: in den Flüchtlingslagern, in den Schulen, im gesellschaftlichen Miteinander. Null Toleranz für Demokratiefeinde!
Die Polizei hat die Ereignisse über Tage vertuscht. Sorgt die Flüchtlingskrise für eine Tabuisierung der deutschen Debatte? Darf nicht sein, was sein könnte, nämlich dass auch Schutzsuchende Täter sind?
Aus Angst vor dem Rassismus-Vorwurf und Opportunismus in Bezug auf muslimische Wähler wollte man anscheinend nicht die Wahrheit sagen. Köln ist ja stark rot-grün geprägt. Es ist nur den Anzeigen der Frauen und dem Alarmruf der sozialen Medien zu verdanken, dass der Skandal überhaupt an die Öffentlichkeit kam. Denn es ist in Wahrheit rassistisch, die Frauen und Männer in der muslimischen Community schutzlos den radikalen und orthodoxen Agitatoren auszuliefern. Allerdings müssten die demokratisch gesinnten Muslime endlich auch selber das Wort ergreifen, statt in einer falsch verstandenen Nibelungentreue zu schweigen.
Die deutschen Leitmedien setzten mit ihrer Berichterstattung erst zaghaft am Abend vom 4. Januar ein. Würden Sie Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich beipflichten, der nach Köln von einem «Schweigekartell» spricht?
Es gab dieses Schweigekartell beziehungsweise Verharmlosungskartell über Jahre und Jahrzehnte. Gerade aber stehen die Medien unter Schock – und berichten ganz ordentlich. Immer noch nicht alle, aber doch die meisten.
Wer sich in Deutschland kritisch zur Zuwanderung verhält oder kritisch auf die kulturelle Prägung von arabischstämmigen Männern hinweist, wird schnell als Rassist aus dem Verkehr gezogen. Wie erleben Sie das?
Ich weiss nur zu gut, wovon Sie reden. Ich bin ja seit Jahrzehnten die Lieblings-Rassistin dieser Kräfte. Die sogenannte Political Correctness erweist sich schon länger als Garant für Denkverbote und das Verschweigen von Wahrheiten. Es sind diese Denkverbote, die die vielen Menschen, die ein verständliches Unbehagen haben, in die Arme von Demagogen und Rechten treiben. Damit muss Schluss sein.