Was ist Satire bzw. Kunst?
Ja, die Cover von Focus und Süddeutsche Zeitung zur Silvesternacht waren fragwürdig. Und nein, das Cover vom Falter ist nicht rassistisch, sondern Kunst. Aber was ist das Kriterium für Satire bzw. Kunst? 1. Die Qualität des Werkes. 2. die Allgemeingültigkeit. 3. Die satirische Zuspitzung.
Die Grafik in der Süddeutschen Zeitung zeigte eine schwarze Hand, die von unten einer weißen Frau in den Schritt fasste. Die Frau war nackt und nur bis zum Venushügel zu sehen. Das Bild suggerierte: Das Objekt weiße Frau ist in Gefahr. Der schwarze Mann greift danach. Wenig später entschuldigte der Chefredakteur der SZ, Wolfgang Krach, sich schlechtgewissig mit den Worten: Die Zeichnung bediene „stereotype Bilder vom ‚schwarzen Mann‘, der einen ‚weißen Frauenkörper‘ bedrängt“. Das könne „so verstanden werden, als würden Frauen zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollen wir nicht.“ Zu recht nicht. Die Entschuldigung war angemessen, wenn auch übereifrig.
Es geht nicht um "die Muslime“,
sondern um verunsicherte Männer
Focus titelte ähnlich. Mit einem realen nackten Frauenkörper, abgebildet zwischen Venushügel (bedeckt von ihrer Hand) und Mund. Die weiße Haut bedeckt von schwarzen Hände-Abdrucken. Auch diese Abbildung war also sexualisiert und reproduzierte das alte Klischee: schwarzer Mann greift nach weißer Frau. Über der Abbildung lag eine rote Banderole: „Frauen klagen an!“ – Hier hätten die Frauen vor allem darüber klagen können, dass man die sexuelle Gewalt der Silvesternacht nun auch noch pornografisierte. Focus entschuldigte sich nicht. Dabei hätten die nun wirklich Grund dafür gehabt.
Ganz anders die Zeichnung der Cartoonistin Bianca Tschaikner, mit der der linke Wiener Falter titelte. Sie zeigt einen grafisch kunstvollen Cartoon, bei dem es nicht um Sex geht, sondern um Gewalt. Und genau das war ja das Thema der Nacht. Tschaikner verdichtet die reale Situation der Nacht – Frauen, die von hunderten von „arabisch oder nordafrikanisch“ aussehenden Männern eingekreist und angegriffen werden – und spitzt sie zu. Über die Frauengesichter kullern Tränen und die Männerköpfe signalisieren Gewalt. Mitten in dem Getümmel ein hilfloser Polizist.
Es ging ja in der Tat in dieser Nacht um eine Gewaltdemonstration fremder Männer gegenüber einheimischen Frauen. Das ist inzwischen bewiesen: Die „arabisch oder nordafrikanisch“ aussehenden Männer waren überwiegend angereist, sie hatten sich verabredet. Und die individuellen Frauen, die zum Bahnhof gingen oder vom Bahnhof kamen, gerieten in diese kollektiv handelnden Rudel. Inzwischen haben 645 Frauen Anzeige erstattet wegen sexueller Gewalt in der Kölner Silvesternacht.
Tschaikners Cartoon bringt das ohne Sexualisierung und in einem kühlen Schwarz-Weiß-Stil auf den Punkt.
Und weil der gute Falter ganz sicher gehen wollte, setzte er auch noch ein Zitat von Simone de Beauvoir unter die Zeichnung: „Niemand ist den Frauen gegenüber aggressiver und herablassender als ein Mann, der sich seiner Männlichkeit nicht ganz sicher ist.“ Hier geht es also nicht um die „Muslime“ oder um die „Araber“, sondern um verunsicherte Männer, die diese Verunsicherung mit Gewalt kompensieren. An dem Abend waren es eben Ausländer und das nicht zufällig.
Keinen Bock mehr auf Dogmatismus und
Selbstgerechtigkeit von Missy & Co
Aber da hatte der linke Falter nicht mit den selbstverständlich richtig linken an.schlägen und Missys gerechnet. Die Hüterinnen des Anti-Rassismus senkten den Daumen nach unten – ganz wie der österreichische Presserat. Für sie ist der Falter-Titel „rassistisch“. Warum? Weil nach dem schematischen, dogmatischen Rassismus-Verständnis dieser Neo-Feministinnen niemals ein Finger auf die Wunde gelegt werden, sondern immer nur drumrum schwadroniert werden darf. In Wort wie Bild.
Nein, lieber Falter, es gibt keinen Grund zur Entschuldigung. Im Gegenteil: Ihr könnt stolz darauf sein, eine so gute Cartoonistin zu veröffentlichen – und ihre Zeichnung auf eurem Cover auch noch so auf den Punkt gebracht zu haben.
Und nein, Missys & Co, keinen Bock mehr auf Dogmatismus und Selbstgerechtigkeit. Eher Bock auf Offenheit und Selbstzweifel.
Alice Schwarzer