Die ZEIT zu Besuch in Köln
Neun ReporterInnen berichteten in Text und Bild über 19 Seiten des ZEIT-Magazins vom 23. Juni über die Silvesternacht von Köln. Die sei „zur Projektionsfläche in der Flüchtlingsdebatte“ geworden, trotz der allgemeinen Erregung sei jedoch „eine Frage unbeantwortet“ geblieben: „Was geschah wirklich?“ – Umso frustrierender für die geneigten LeserInnen, dass die ZEIT-Journalisten sich genau diese Frage noch nicht einmal wirklich gestellt haben, geschweige denn beantwortet.
Ginge es nach der ZEIT, ist in dieser Nacht in Köln nur das übliche Silvester-Chaos etwas stärker als sonst aus dem Ruder gelaufen. Doch jetzt bestätigt ein gerade veröffentlichter Bericht des Bundeskriminalamtes: Da ist etwas bisher in Europa noch nie Erlebtes passiert! Allein in Köln hatte es in der Silvesternacht 650 sexuelle Übergriffe gegeben. Gesamt – mit Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf – haben allein in dieser Nacht über 2000 Männer 1.200 sexuelle Gewalttaten verübt. Doch nur 120 Täter wurden ermittelt, mehrheitlich Nordafrikaner und Neuankömmlinge – und bisher nur vier verurteilt und zwei freigesprochen.
Agitierten Provo-
kateure tausende
Männer, die
im Schwarm
agierten?
Warum? Das liegt an deren Methode, nicht individuell zu handeln, sondern kollektiv. Die Gruppe schützt die einzelnen Täter und verwirrt und bedroht verstärkt die Opfer. Auch die Identifikation der Verantwortlichen wird so erschwert. Es ist ein Phänomen, das Nordafrikanerinnen und Ägypterinnen nur zur Genüge kennen und das sie den „Höllenkreis“ nennen.
Dieser Methode versucht nun das reformierte Sexualstrafrecht Rechnung zu tragen, wo es im § 184 jetzt im schönsten Juristendeutsch heißt: „Wer eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 und 184 begangen wird.“ Diese Paragraphen betreffen die „sexuelle Nötigung“ und Vergewaltigung sowie die neu unter Strafe gestellte „sexuelle Belästigung“. Der Widerspruch von Grünen und Linken ausgerechnet gegen diesen Passus ist befremdend, weil arg realitätsfern.
Bleibt die zentrale Frage: War die Nacht geplant? Justizminister Maas hatte früh von „organisierter Kriminalität“ gesprochen. Dafür gäbe es keine Hinweise, erklärte nun BKA-Präsident Holger Münch. Und in der Tat muss man sich das wohl etwas anders vorstellen. Eher agitierten vor (und in) der Nacht einige wenige Provokateure gezielt; die Nachricht vom „Feiern“ am Kölner Hauptbahnhof verbreitete sich sodann im Schneeballsystem – und in der Nacht selbst agierte die Masse schwarmartig. Das sind, wie gesagt, neue Methoden, die erst einmal erkannt werden müssen, um sodann angemessen bekämpft werden zu können.
Wer hat Youssef angesimst, und was stand in den Nachrichten?
Doch leider haben die ZEIT-Reporter sich all diese Fragen noch nicht einmal gestellt. Dabei waren sie mindestens einmal ganz dicht dran. Bei Youssef, dem Marokkaner. Seine Spur haben sie sogar bis nach Casablanca verfolgt. Und erfuhren dort von seiner Mutter, dass Youssefs Vater genauso ein Hänger war, wie es der 19-jährige Sohn heute ist: arbeitslos und auf Alk & Drogen.
Nach Köln, sagt Youssef, sei er über Spanien gekommen, wo er mit harten Drogen gedealt hat („Weil es dort keine Arbeit gibt“). Und dann, via Tante in Paris, nach Deutschland, "wegen der Willkommenskultur“. Gereist sei er in Zugtoiletten. Und gelandet ist er in der Flüchtlingsunterkunft Willich bei Köln.
Angeklagt war Youssef nach Silvester wegen „Diebstahls einer Pfandflasche“. Mehr konnte man ihm offensichtlich nicht nachweisen. Mehr habe er sich auch nicht zuschulden kommen lassen, beteuerte er treuherzig. Sein Verteidiger gab sich empört und sprach von „allgemeiner Hysterie“ und „Hetzjagd“ auf Ausländer. Youssef war also bald raus aus der U-Haft. Und nur 48 Stunden später ging es in Dortmund schon wieder um Alkohol, Drogen und einen Handy-Diebstahl. Inzwischen ist der Marokkaner abgetaucht. Vermutlich nach Paris.
Die Rechtsreform
trägt der neuen
Gruppengewalt
Rechnung!
Was für eine vertane Chance der ZEIT-Reporter! Denn sie berichten zwar: „Kurz vor Jahresende erschienen auf Youssefs Handy mehrere Nachrichten, dass man in Köln ein bisschen feiern könne“. Doch haken die Journalisten nun nach? Fragen sie: Von wem kamen denn die Nachrichten? Was stand genau darin? Und in welcher Art von Kontakt standen Sie mit den Planern dieser Nacht in Köln? Nein, das alles wurde nicht gefragt. Warum nicht?;
Über die Youssefs in Brandenburg würde gewiss anders berichtet, da würde nachgehakt. Sie heißen Kevin oder Dennis. Sie haben ganz ähnliche Lebensläufe wie der Marokkaner. Auch sie sind perspektivelos. Auch sie sind frustriert. Und was tun sie? Sie gehen Ausländer klatschen. Denn der Rassismus ist ihre Art, den Frust abzuladen und sich nicht mehr so klein zu fühlen – sondern größer als die verachteten Anderen.
Die marodierenden Jungmänner in deutschen Landen sind stolz, Rechte zu sein. Die meisten von ihnen aber wissen noch nicht einmal, was "rechts" ist. Sie kaschieren nur ihr kleines Ich in einer großen Sache. Dasselbe gilt für die marodierenden Jungmänner in muslimischen Ländern. Sie sind stolz, Muslime zu sein, haben aber oft keine Ahnung vom Koran (wie auch Studien über die in den Dschihad ziehenden jungen Männer zeigen). Auch sie verstecken ihr kleines Ich in la Grande Cause. Doch sie folgen keineswegs einem aufgeklärten Islam, sondern den rückwärtsgewandten Parolen der Schriftgläubigen und Gotteskrieger. Sie leben nicht nach dem Koran; sie saufen, nehmen Drogen, sind gewalttätig. Ganz wie die Militanten des selbsternannten Islamischen Staates, die ebenfalls für sich in Anspruch nehmen, sie seien die einzig "wahren Muslime"
Wenn Kevin & Denis in Brandenburg Ausländer klatschen...
Doch diese Youssefs aus Casablanca oder Algier gehen keine Ausländer bzw. Deutsche klatschen, sie gehen Frauen klatschen. Warum? Weil der Sexismus ihre Art ist, Frust abzureagieren und sich nicht mehr so klein zu fühlen – sondern größer als die verachteten ewigen Anderen, die Frauen. (Und bei der Gelegenheit dissen sie die deutschen Männer als „Muschis“ gleich mit.) Ihre Untermenschen sind die Frauen. Sie sind stolz, Männer zu sein. Und diese Schlampen haben es eh nicht besser verdient, wenn sie in der Nacht auf der Straße rumlaufen. Doch der ideologische Hintergrund der vom Islamismus Infizierten scheint die wohlmeinenden deutschen Medien nicht zu interessieren. Es geht ja nicht um Rassismus, sondern nur um Sexismus.
Richtig, die Frauenverachtung ist nicht neu für die Söhne dieser Länder. So haben vermutlich schon Youssefs Vater und Großvater in Casablanca gedacht. Denn das Patriarchat hat in Nordafrika wie Nahost eine lange Tradition und ist nie von einer starken Frauenbewegung erschüttert worden. Und das in fast allen muslimischen Ländern geltende islamische Familienrecht, das aus Frauen Unmündige und Abhängige macht, macht es nicht gerade besser. Aber das alles genügt noch nicht für den aktuellen Wahnsinn.
Man muss wissen, dass Länder wie Marokko oder Algerien, woher die meisten Täter der Silvesternacht kamen, in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren weitgehend von den Islamisten unterwandert wurden. Die Attitüde des radikalen Islam gehört auf der Straße dazu. Das beschreiben auch arabische Autoren wie Kamel Daoud oder Boualem Sansal eindringlich in ihren aktuellen Texten, die regelrechte Hilferufe an die freie Welt sind. Sie beklagen, dass wir Europäer sie im Namen einer falschen Toleranz im Stich lassen und den radikalen Islamisten ausliefern.
Nicht zufällig sind diese Länder die Herkunftsländer so vieler Terroristen. Denn der selbsternannte Islamische Staat ist für die Youssefs dieser Erde ein Land der Verheißung, und seine Killer sind ihre Helden.
Der Islamismus
lässt die Flammen
hoch schlagen.
Diese frustrierten, entwurzelten jungen Männer drangsalieren nicht nur ihre eigenen Frauen - mehr denn je! -, sondern ziehen nun bis nach Europa und überfallen auch hier die „zu freien“ Frauen. Dass das im 21. Jahrhundert so ist (Köln war nicht der einzige und nicht der letzte Fall dieser Art), das hat mit der Offensive des politisierten Islam zu tun. Er liefert das ideologische Gerüst: den verschärften Männlichkeitswahn, Frauenverachtung inklusive. Dieser Islamismus ist der Funken, der jetzt die Flammen des schon lange glimmenden Feuers hochschlagen lässt.
Aber das will nicht nur bei der ZEIT niemand wissen. Begriffe wie Muslime, Islam und Islamismus kommen nicht vor in dem 19-seitigen ZEIT-Artikel. Oder doch, einmal. Da, wo der bei mir recherchierende Kollege mir „Islamkritik“ unterstellt – und das, obwohl ich ihn nach unserem Gespräch noch einmal schriftlich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ich mich noch nie zum Islam geäußert habe (der ist für mich als Glaube Privatsache), sondern ausschließlich zum politisierten Islam, dem Islamismus.
Doch den Unterschied zwischen Islam und Islamismus scheint man leider nicht nur bei der ZEIT auch im Jahr 2016 - auch nach Paris, Brüssel, Köln oder Istanbul - immer noch nicht begreifen zu wollen. Also geht es immer weiter mit dem politisch korrekten Wegsehen und Leugnen der Probleme. Da darf man sich nicht wundern, wenn auch die AfD-WählerInnen den Unterschied zwischen Islam und Islamismus nicht kennen.
Kein Wunder, dass auch AfD-Wähler nicht unterscheiden zwischen Islam & Islamismus.
Die Frauen in den muslimischen Ländern aber kennen den Unterschied sehr wohl. So ist zum Beispiel gerade in Frankreich eine Biografie über Loubna Abidar erschienen. Die Marokkanerin spielt die Hauptrolle in dem vielfach preisgekrönten Film „Much Loved“. Die Schauspielerin verkörpert darin eine Prostituierte – woraufhin sie in Marokko als „Hure“ geschmäht, verfolgt, ja geschlagen wurde. Es eskalierte so, dass Abidar nach Frankreich fliehen musste.
Auch Loubnas Mutter und Großmütter könnten ein Lied singen von Rechtlosigkeit und Gewalt. Doch wie wir heute erleben, ist die Entrechtung der Frauen in der islamischen Welt noch steigerbar. Am Ende des Gesprächs sagt Loubna zu Marion Van Renterghem, der Le-Monde-Reporterin, mit der sie das Buch gemacht hat: „Vor zehn Jahren wäre ich nicht so verfolgt worden in Marokko, nur weil ich diese Rolle gespielt habe. Dass es so läuft, liegt weder an der muslimischen Religion, noch an der muslimischen Tradition – der Grund ist der neue Islam.“
Alice Schwarzer
Der Artikel erschien zuerst in der "Welt"
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"Der Schock – die Silvesternacht von Köln", hrsg. von Alice Schwarzer (KiWi). mehr