Die desaströsen Folgen des Falles K.
Reden wir also noch einmal vom Fall Kachelmann. Wobei es in Wahrheit gar nicht um ihn geht. Denn der Fall ist durch: Eine Frau behauptet, ein Mann habe sie vergewaltigt. Er streitet das ab. Eine Strafkammer gelangt nach neun Monaten Verhandlung und einer Flut von ZeugInnen und GutachterInnen zu der Auffassung, dass sie die Wahrheit nicht finden konnte. Sie spricht am 31. Mai 2011 den Angeklagten frei, aus „Mangel an Beweisen“.
Doch das genügt dem Freigesprochenen nicht. Er erklärt nun in alle immer wieder bereitwillig hingehaltenen Mikrophone: Die Frau sei eine Lügnerin und habe aus Rache sein Leben ruinieren wollen. Die Frau will das nicht auf sich sitzen lassen und gibt nun auch ihrerseits ein Interview, in dem sie auf ihrer Version beharrt: Ihr Ex-Freund habe sie in der Nacht, in der sie ihn verlassen wollte, vergewaltigt, „um die alten Machtverhältnisse wieder herzustellen“.
Eigentlich geht
es gar nicht
mehr um K.
Der Fall hat die Nation gespalten. Denn es ging in diesem Prozess um viel mehr als nur um diese beiden Menschen. Es ging um die sexuelle Gewalt zwischen den Geschlechtern, diesen dunklen Kern der Männerdominanz. Mehr noch: Es ging um die dramatischste Variante der Sexualgewalt – die innerhalb von Beziehungen. Dass diese Gewalt als Unrecht empfunden wird, ist relativ neu. Erst nach langem Kampf von Feministinnen wurde 1997 das Gesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe verabschiedet. Bis dahin war sie ein Herrenrecht. Zwanzig Jahre. Das ist nicht viel im kollektiven Bewusstsein.
Und überhaupt erst seit Mitte der 1970er Jahre ist Vergewaltigung - ob im Krieg, auf der Straße oder im Ehebett - ein öffentliches Thema. Dank der Frauenbewegung. Bis dahin existierten Missbrauch und Vergewaltigung einfach nicht – und wenn doch mal, war es eine Schande für das Opfer, und nicht für den Täter (So ist es ja in manchen Regionen der Welt bis heute). Vierzig Jahre. Auch das ist nicht viel im kollektiven Bewusstsein.
Bis heute müssen darum Opfer um ihre Glaubwürdigkeit ringen. Bis heute riskieren Opfer, zu Täterinnen gemacht zu werden, vor Gericht wie in den Medien und an den Stammtischen.
Im 21. Jahrhundert wird in Deutschland nur jede zwölfte Vergewaltigung angezeigt, so eine Studie des Bundesfamilienministeriums. Und von diesen angezeigten Fällen wird am Ende nur jeder zehnte Angeklagte auch verurteilt, so eine kriminologische Studie. Das heißt: In Deutschland wird noch nicht einmal jeder 100. Vergewaltiger auch verurteilt (Und da sind die bei Sexualverbrechen nur sehr niedrigen Falschbeschuldigungen schon eingerechnet).
99 von 100 Vergewaltigern müssen nicht mit Folgen rechnen. Vergewaltigung ist das risikofreiste Verbrechen. Denn unser Rechtssystem ist gerade im Bereich der (Sexual)Gewalt täterorientiert, auf Kosten von Kindern und Frauen.
Wenn also ein Fall wie Kachelmann vor Gericht kommt und aufgrund der Bekanntheit des Angeklagten besonderes Aufsehen erregt, dann geht es in Wahrheit nicht nur um den einen Angeklagten und das eine mutmaßliche Opfer – es geht um die Sache. Zumindest in Medien und Öffentlichkeit. Dabei ist entscheidend, wie man grundsätzlich zur Sexualgewalt steht: Nimmt man das Problem ernst und hält es für denkbar, dass es passieren kann – oder ist man von vorneherein der Auffassung, es sei unwahrscheinlich, weil die meisten Kinder und Frauen eh lügen, und sich nur an den Männern rächen wollen.
Der Freispruch aus "Mangel
an Beweisen"
genügte K. nicht.
Vor Gericht allerdings darf es nicht um die Problematik an sich gehen, sondern muss die individuelle Schuldfrage bzw. Glaubwürdigkeit geklärt werden. Doch auch Richter stehen nicht außerhalb der Welt, auch sie sind nur Menschen. Im Fall Kachelmann war der Druck auf das Provinz-Gericht enorm. Dem hat das Gericht sich entzogen, indem es weder dem Angeklagten noch der Nebenklägerin gerecht wurde. Nicht gerecht werden konnte?
Der Vorsitzende Richter Michael Seidling erklärte wörtlich bei der Urteilsverkündung: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist.“ Und er fuhr fort: Die Öffentlichkeit möge „bedenken, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat“. Aber: „Bedenken Sie auch umgekehrt, dass Frau D. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.“
Die „Öffentlichkeit“, also die Medien, folgte diesem weisen Rat des Richters nicht. Das Urteil wurde als definitiver Unschuldsbeweis pro Kachelmann gefeiert. Und auch Kachelmann selber wollte seinen Sieg nun uneingeschränkt genießen. Er erklärte allerorten, er sei das Opfer einer „Falschbeschuldigerin“ geworden und zettelte nun seinerseits eine Flut von Klagen an: gegen manche Medien, darunter EMMA, sowie gegen die Ex-Freundin. Seither sind viele, viele Gerichte immer wieder mit dem Fall Kachelmann beschäftigt. Zuletzt erregten zwei Entscheidungen Aufsehen – die erste allerdings bedeutend weniger als die zweite.
29. April 2016. Das Verfassungsgericht hebt die Entscheidungen von drei Gerichten auf: des Landgerichts Köln, des Oberlandesgerichts Köln und des Bundesgerichtshofs. Zwei der Gerichte waren in dem von Kachelmann angestrengten Zivilverfahren zu dem Urteil gelangt, der Kläger habe recht. Seine Ex-Freundin dürfe nicht länger behaupten, er habe sie vergewaltigt.
Das sahen die drei VerfassungsrichterInnen anders. Sie wiesen darauf hin, dass in dem Strafverfahren 2010/2011 nicht geklärt werden konnte, ob nun die Angaben von Kachelmann oder die von Dinkel der Wahrheit entsprechen. Die höchsten Richter befanden darum, Claudia Dinkel habe das Recht auf ihre „subjektive Sicht“ der Nacht, das sei eine Frage der „Meinungsfreiheit“. Denn schließlich habe das Geschehen objektiv nicht geklärt werden können. Und außerdem habe Kachelmann mit seiner Behauptung, sie habe sich „das nur ausgedacht“, Dinkel provoziert.
Verfassungs-
richter: Dinkel
darf ihre Version
der Nacht
behaupten
Das Karlsruher Verfassungsgericht verwies den Fall zurück an das Kölner Oberlandesgericht. Nun müssen die Kölner sich noch einmal den Kopf darüber zerbrechen, ob nur der eine das Recht hat, zu behaupten, „Die Frau hat gelogen“ – oder ob auch die andere behaupten darf: „Ich habe die Wahrheit gesagt.“
Vier Gerichte, zwei Meinungen. Wir sehen, es ist gar nicht so einfach mit der Wahrheitsfindung. Der Ermessensspielraum bei der Urteilsfindung ist groß. Und in Fällen der Sexualgewalt, bei denen es in der Regel keine Zeugen gibt, ist er sehr groß.
28. September 2016. Der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts Frankfurt, Thomas Sagebiel, verkündete in einem Zivilverfahren Erstaunliches: Claudia Dinkel habe „wissentlich eine unwahre Strafanzeige erstattet und so – wie von ihr beabsichtigt – die Anordnung der Untersuchungshaft gegen Kachelmann herbeigeführt“. Sie habe sich darum „der Freiheitsberaubung schuldig gemacht“. Dinkel müsse deswegen Kachelmann die 7.000 Euro erstatten, die er für einen der zahlreichen Gutachter gezahlt hatte, der seine Unschuld belegen sollte. Das Frankfurter Gericht war sich seiner so sicher, dass es abschließend noch bekräftigte: „Die Beklagte hat mit direktem Vorsatz gehandelt. Es kam ihr darauf an, die Verhaftung des K. herbeizuführen.“
In einem Zivilverfahren von zwei Tagen will ein Richter also nun herausgefunden haben, was in einem Strafverfahren von neun Monaten nicht geklärt werden konnte. Dazu hatte Richter Sagebiel einen weiteren Gutachter hinzugezogen, den Rechtsmediziner Prof. Marcel Verhoff. Er sollte sich zu den strittigen Verletzungen von Claudia Dinkel äußern, die diese als Beweis für die nach ihrer Aussage mit Gewalt verübte Vergewaltigung angeführt hatte.
Zivilrichter:
Dinkel hat
wissentlich
gelogen
Um diese Verletzungen war es bereits im Strafverfahren in mehreren Gutachten gegangen – die sich allerdings immer wieder widersprachen. Auch der Frankfurter Rechtsmediziner mochte sich nicht eindeutig äußern. Verhoff: Es sei "nicht auszuschließen, dass einzelne Komponenten des Verletzungsbildes durch fremde Hand oder akzidentiell entstanden sind". Richter Sagebiel schloss es kurzerhand aus.
Bliebe das Urteil so stehen, würde das bedeuten, dass in Zukunft bei Freisprüchen „mangels Beweisen“ jede Frau, die den Vorwurf der Vergewaltigung erhoben hat, riskiert, dem Angeklagten Gutachterkosten erstatten zu müssen – und, falls der Beschuldigte in Untersuchungshaft war, wegen „Freiheitsberaubung“ angeklagt zu werden. Denn Freiheitsberaubung ist ein so genanntes Offizialdelikt, es müsste also jetzt gegen Dinkel auch strafrechtlich vorgegangen werden.
Doch vielleicht hat das Urteil ja auch keinen Bestand, wie so viele Urteile im Fall Kachelmann. Dinkels Anwalt, Manfred Zipper, ist jedenfalls entschlossen, eine so genannte „Gehörsklage“ einzureichen – weil ein Gegengutachten vom Gericht nicht anerkannt und auch ansonsten alle Beweisanträge abgelehnt wurden.
Für die meisten JournalistInnen allerdings ist nach dem Frankfurter Verdikt schon jetzt klar: „Ex-Geliebte hat Vergewaltigung durch Kachelmann erfunden“, titelte der Berliner Tagesspiegel; „Rache ist süß“ Die Zeit. Und mit dem Zitat „Ich wollte kämpfen, nicht um Gnade winseln“ titelte der Stern.
Das Hamburger Magazin gab Kachelmann, der seit Jahren mit Schaum vor dem Mund eine Schmutzkampagne im Internet führt, Gelegenheit, als Bub im karierten Hemd und mit lustigen Schweizer Hosenträgern auf einer „Sommerwiese“ zu posieren, unweit der Wohnung, wo „Ehefrau Miriam und ihr gemeinsames kleines Kind auf ihn warten“ (Stern). So durfte Kachelmann sich nochmal produzieren. Gegen Claudia Dinkel („Ich wurde bewusst verleumdet“).
Und gegen mich. Ich hätte bei meiner Berichterstattung über den Prozess „nicht als unabhängige Journalistin, sondern als politische Aktivistin agiert“. Mehr noch: „Dass ich unschuldig bin, war ihr vollkommen egal. Aus ihrer Sicht war es absolut notwendig, dass ich verurteilt werde. Nur das passte in ihre politische Agenda.“
Zeit-Journalistin:
Kennt Urteile
noch vor ihrer
Verkündung
Was natürlich ein hanebüchener Unsinn ist. Erstens überhaupt ausgerechnet mir zu unterstellen, ich nähme die Verurteilung eines Unschuldigen aus politischer Räson in Kauf! Und zweitens in diesem konkreten Fall. Im Gegenteil: Als im März 2010 in der EMMA-Redaktion erstmals darüber geredet wurde, Kachelmann sei der Vergewaltigung angeklagt, habe ich entschieden die Position vertreten: Wir berichten bis auf weiteres nicht, denn das ist eine sehr schwere Anschuldigung, die einen Menschen ruinieren kann. Ehrlich gesagt, konnte ich mir das auch zunächst nicht vorstellen. Ich hatte Kachelmann bis dahin als witzigen, leicht anarchistischen Kollegen kennen und schätzen gelernt, und auch zwei, drei Sendungen mit ihm gemacht. Also: abwarten.
Richtig hellhörig geworden im Fall Kachelmann bin ich erst am 24. Juni 2010. Da erschien ein ganzes Dossier in der Zeit, in dem behauptet wurde, Kachelmann sei unschuldig und seine Ex-Freundin lüge aus Rachsucht. Drei Monate vor Beginn des Prozesses!
Das Dossier zeugte von Detail- und Akten-Kenntnis und war geschrieben von der Zeit-Redakteurin Sabine Rückert. Die ist seit längerem eingeschossen auf Fälle, in denen Männer „fälschlicherweise“ des Kindesmissbrauchs oder der Vergewaltigung bezichtigt werden. Solche Fälle gibt es selbstverständlich. Doch sie sind gar nicht so einfach zu finden, denn der Prozentsatz der Falschanschuldigungen bei Sexualverbrechen liegt im sehr niedrigen, einstelligen Bereich (Eben weil die Opfer nicht selten zu Tätern gemacht werden, sobald sie sich wehren). Aber Rückert findet die unschuldig Verdächtigen. Gemeinsam mit dem Hamburger Anwalt Johann Schwenn.
Schwenn hatte zwar im Juni 2010 noch nichts mit dem Fall Kachelmann zu tun, verdrängte jedoch wenig später den Kölner Anwalt Birkenstock aus dem Verfahren, mit tatkräftiger Hilfe von Rückert. Hans Leyendecker, der in der Süddeutschen Zeitung über die zunehmend aggressiv agierenden Anwälte, Staatsanwälte und Journalisten in Prozessen räsonierte, schrieb im August 2010: „Am aggressivsten agierte im Fall Kachelmann die Zeit-Journalistin Sabine Rückert.“
Leyendecker zitierte eine Email von ihr an Kachelmanns Anwalt Birkenstock. Da schrieb die Gerichtsberichterstatterin: „Wir können nur zusammenkommen, wenn Ihre Verteidigung in einem angedeuteten Sinne professionalisiert wird. Dazu sollten Sie sich überlegen, einen Kollegen einzubinden, der Verfahren dieser Art auch gewachsen ist.“ Gewachsen, das war klar, war Rückerts langjähriger Gefährte in der Sache, Johann Schwenn.
Während also mir vorgeworfen wurde, ich schriebe parteiisch, handelte die Kollegin. Sie drängte Kachelmann einen bestimmten Anwalt auf – und stellte ihm in Aussicht, dann mit seiner Verteidigung „zusammenzukommen“. Ein fetter Fall für das erprobte Duo Rückert/Schwenn.
Staatsanwalt:
Würde Tochter
nicht zur
Anzeige raten
Überhaupt scheint die Zeit-Journalistin nicht nur bemerkenswert im Aufspüren unschuldig des Missbrauchs oder der Vergewaltigung Verdächtiger zu sein. Sie kennt auch die Urteile offensichtlich so manches Mal lange vor Urteilssprechung. So schrieb Rückert am 24. Mai 2016, diesmal vier Monate vor Verkündung des Urteils, an eine Zeit-Abonnentin. Die hatte sich über das Verschweigen des Verfassungsgerichts-Entscheides zugunsten von Dinkel in der Zeit beschwert. Rückert antwortete der Leserin persönlich: „Vielleicht wissen Sie, dass Jörg Kachelmann vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wegen Falschbezichtigung einen Zivilprozess gegen Claudia D. führt. Lassen Sie uns doch einfach den Ausgang dieses Prozesses abwarten und sehen wir dann, wie es um die ‚Opfer‘-Eigenschaft der Beklagten wirklich bestellt ist. Nur so viel sei vorausgeschickt: Es steht nicht gut für Frau Dinkel.“
Unabhängig von dieser einzelnen, erstaunlich involvierten Journalistin ist seit langem auffallend, dass viele GerichtsberichterstatterInnen die Neigung haben, sich für verpasste Staatsanwälte oder Richter zu halten. Sie berichten nicht nur über die Verfahren, sondern erteilen dem Gericht Ratschläge und Noten. Und je mächtiger das Blatt ist, in dem sie schreiben, desto stärker die Einschüchterung von Staatsanwälten und Richtern. So beeinflussen Journalisten Verfahren und Urteile. Das ist eine fatale Entwicklung. Denn Journalisten sollen Rechtsprechung ja nicht beeinflussen, sondern darüber berichten, wenn nötig kritisch.
Dass ihr aktiver Eingriff in den Kachelmann-Prozess öffentlich wurde, hat der Zeit-Journalistin übrigens nicht geschadet. Sie berichtete bis zum Ende als „Beobachterin“ über den Kachelmann-Prozess und ist heute stellvertretende Chefredakteurin.
Und ich? Ich gelte in der Causa Kachelmann sozusagen als die zweite „Falschbeschuldigerin“, ganz wie das mutmaßliche Opfer. Denn ich hätte angeblich geschrieben, Kachelmann habe die Frau vergewaltigt. Nur: Ich habe das – wie in EMMA und auf EMMAonline Wort für Wort nachlesbar – nie behauptet!
Ich habe lediglich die Vorverurteilung des mutmaßlichen Opfers zurückgewiesen und von Anfang bis Ende diese Position vertreten: Wenn Kachelmann das Recht auf die Unschuldsvermutung hat – dann hat auch Dinkel das Recht auf diese Unschuldsvermutung. Denn es kann zwar sein, dass sie gelogen hat – aber es kann auch sein, dass sie die Wahrheit gesagt hat. Das heißt, ich habe exakt die Position vertreten, und vertrete sie noch, die Richter Seidling nach neun Monaten Verhandlung vertreten hat. Fünf Jahre später schließen sich die Verfassungsrichter der Einschätzung des Mannheimer Richters an.
Rechtsstaat:
Ist Täter-
orientiert
Nach meiner Irritation über die hemmungslose Vorverurteilung von Claudia Dinkel in der Zeit – und später auch im Spiegel etc. – saß ich im Juli 2010 in einer Talkshow, Anne Will, zum Thema. Neben mir saß ein erfahrener, im Ruhestand befindlicher Staatsanwalt. Und der erklärte ganz ruhig: Wenn seine Tochter vergewaltigt worden sei und hätte ihn um Rat gefragt – er hätte ihr geraten, die Vergewaltigung nicht anzuzeigen.
Damals war ich tief schockiert über diese Aussage. Ein Staatsanwalt, der kein Vertrauen in den Rechtsstaat hat.
Inzwischen verstehe ich ihn. Und: Ich fürchte, ich würde in manchen Fällen heute genau das gleiche raten. Das ist für mich die schrecklichste Erkenntnis aus dem unwürdigen Umgang mit dem Fall Kachelmann: der Triumph der (möglichen) Täter und die Verlorenheit der (möglichen) Opfer.
Alice Schwarzer
Hinweis: Dieser Text ist keine Reaktion von Alice Schwarzer auf die Zeit-Kolumne von Richter Fischer. Er wurde vorher geschrieben.
PS vom 13.10.2016: Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof (!) in Karlsruhe, hat eine "Rechtskolumne" auf Zeitonline. Dass seine Kommentare befremdlich sind, vor allem für einen amtierenden Richter, ist die Regel. Am 11. Oktober 2016 aber flippte der Mann völlig aus. Er bezeichnete EMMA u.a. wegen der Berichterstattung von Chantal Louis im Fall Kachelmann als "Hetzschreiberinnen", die ein "erbärmliches Geschäft" betreiben und in einem "totalitären, antidemokratischen Denken stecken" etc. etc. So etwas schreibt ein Richter. Und die Zeit veröffentlicht es.