Wieso sind wir eigentlich überrascht?

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Wieso sind wir eigentlich alle so überrascht? Wir Europäer. Wir Fortschrittlichen. Wir Frauen. Wieso waren wir uns so sicher, dass diese Frau zur ersten Präsidentin von Amerika gewählt wird? Eine Frau, die zu einer Generation gehört, die eigentlich Housewife hätten werden sollen, dann aber Ärger machten als Frauenrechtlerinnen. Eine Frau, die seit Jahrzehnten Männerjobs macht, dabei aber immer „ganz Frau“ bleiben sollte. Eine Frau, der bis zur letzten Sekunde vorgeworfen wurde, sie sei „kaltherzig“ und man wisse nicht, was sie „wirklich fühlt“. Eine Frau, die seit 40 Jahren gedemütigt und mit Dreck beworfen wird – und die in den letzten Monaten im Schlamm versank.

Ich weiß nicht mehr, wer es war, es war auf jeden Fall ein eher fortschrittlicher Kollege, ein deutscher Fernsehkorrespondent in Amerika. Und der sagte vor einigen Wochen mit fester Stimme in den Abendnachrichten: „Amerika hat die Wahl zwischen Pest und Cholera.“ Und er war nicht der einzige Fortschrittliche, der so getönt hat.

Pest und Cholera? Pest okay. Dieser Trump, ein Hasardeur, Rechtspopulist und Frauenhasser, der keine Ahnung hat von Politik, dafür aber goldene Wasserkräne in seinem Badezimmer und wechselnde, immer jünger werdende Models an seiner Seite, dieser Trump ist tatsächlich die Pest. Aber wer ist die Cholera? Hillary Clinton?

Nicht nur die Trump-Anhänger haben Hillary begrabscht und gedemütigt

Wie kommt die brillante Juristin, mitregierende First Lady („Wählt einen – ihr kriegt zwei“), Ex-Senatorin von New York und Ex-Außenministerin unter Obama zu so einem Ruf? Sie gehöre zum so genannten „Establishment“, hieß es über die Kandidatin. Geschenkt. Welcher Präsidentschaftskandidat in den USA gehört nicht dazu? Allen voran der Milliardär Trump. Sie mache eine fragwürdige Außenpolitik, sei eine kalte Kriegerin und pro Interventionen. Stimmt. Aber welcher US-Präsident ist das nicht? Und was wohl haben wir von einem Präsidenten Trump zu erwarten?

Hillary Clinton, 69, ist eine sehr erfahrene, demokratische Politikerin. Sie ist eine Frau, ja sogar bekennende Feministin. Sie wäre nach 44 US-Präsidenten endlich, endlich die erste Präsidentin gewesen! Und sie wäre es auch geworden, wenn - wie die ersten Wahlanalysen belegen - nur Frauen, nur Schwarze oder nur junge Leute gewählt hätten.

Sie ist es nicht geworden. Nicht nur darum nicht, weil die Angry White Men sie bekämpft haben. Sie ist es auch nicht geworden, weil sie am Ende einfach zu angefasst war. Und da bleibt immer etwas hängen.

Doch nicht nur die Trump-Anhänger haben diese Frau in einer nie dagewesenen Art begrabscht und gedemütigt. Die Kandidatin Clinton war für alle in diesen letzten Wochen und Monaten vogelfrei.

Dass wir uns heute nicht über die erste Präsidentin Amerikas freuen können, verdanken wir also nicht nur den Männern von gestern. Wir verdanken es auch den Neunmalklugen, wie zum Beispiel ihrem Parteikollegen Bernie Sanders. Diesen BesserwisserInnen, denen Hillary nicht genug dies oder nicht genug das war, aber die in Wahrheit einer Frau diesen Job einfach nicht zutrauen, schlimmer noch: die einer Frau diesen Job nicht gönnen. Jetzt haben sie den 45. Mann. Und was für einen.

Alice Schwarzer

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Frauen und Schwarze wählten Hillary

Josh Haner/ NYT
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Es gab wohl noch keine Wahl in Amerika, die so entscheidend von der Geschlechterdebatte bestimmt war: die bekennende Feministin gegen den bekennenden Sexisten. Und darum war dieser Wahl auch der „größte Gender Gap aller Zeiten“ prognostiziert worden. In diesem Fall hatten die Meinungsforscher recht. 54 Prozent der Frauen wählten Hillary Clinton – aber nur 41 Prozent der Männer.

Die männlichen Wähler wollten mehrheitlich den Macho-Mann, der ihnen nicht nur versprach, ihre verlorenen Jobs zurückzuholen (und selber in China produzieren lässt) – sondern der auch für die guten, alten „Family Values“ steht: der Mann als Familienoberhaupt. Frauen trauern diesen für sie nicht ganz so guten, alten Zeiten offenbar nicht so nach: Nur (oder immerhin?) 40 Prozent wählten Trump. In Wahlmännern ausgedrückt: Hätten nur Frauen gewählt, hätte Hillary Clinton 37 Bundesstaaten und damit 458 Wahlmänner geholt (von 583), Trump nur 80. Dem Wahlmänner-System hat Trump im übrigen letztlich seinen Sieg zu verdanken, denn die Mehrheit der WählerInnen wählte Clinton: Die Kandidatin bekam 59.415.096 Stimmen, der Kandidat und jetzt gewählte Präsident weniger, nämlich 59.229.732.  

54 Prozent der Frauen wählten Hillary

Allerdings: Prognosen hatten bis zu 65 Prozent der weiblichen Wählerstimmen für Clinton prognostiziert. Ein Grund dafür, dass es nun doch „nur“ 54 Prozent waren, könnte sein, dass Clinton von den religiösen Gruppen abgelehnt wurde: Zwei Drittel der Protestanten, darunter die in den USA traditionell zahlreichen Evangelikalen, und der Mormonen sowie über die Hälfte der Katholiken wählten Trump. Die Pro Choice-Politik von Clinton, also für das Recht auf Abtreibung, ihre positive Haltung gegenüber zur Homo-Ehe und natürlich ihr fortschrittliches Frauenleben dürften auch so mancher evangelikalen Frau ein Dorn im Auge gewesen sein.

Eine wahrhaft überwältigende Mehrheit bekam Clinton bei ihren schwarzen WählerInnen. 88 Prozent stimmten für Clinton. Bei Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten der US-Geschichte, waren es noch 93 Prozent gewesen. Auch 65 Prozent der Hispanics stimmten für Clinton. Allerdings, so berichtet CNN, seien sowohl Schwarze als auch Latinos „nicht in einem ausreichenden Ausmaß zur Wahl gegangen, um Clinton ins Weiße Haus zu wählen“.

Zwei Drittel der Evangelikalen wählten Trump

Das gilt auch für die jungen WählerInnen: 55 Prozent der 18- bis 24-Jährigen stimmten für Clinton, und auch bei den 25- bis 39-Jährigen hatte sie die Mehrheit. Aber auch diese Wählergruppe blieb in zu großem Ausmaß den Wahlurnen fern, um die Entscheidung pro Trump zu kippen.

Hinzu kommt: Viele Wähler aus der Arbeiterschaft, die ursprünglich links standen, haben durch Krise und Globalisierung ihre Jobs verloren und glauben nun offenbar ausgerechnet den Versprechungen eines skrupellosen Milliardärs. Dennoch: So manche Frau, deren Familie Haus und Einkommen verloren hat, glaubt vermutlich mit. 

Übrigens: Nur drei Prozent der Trump-Wähler trauen laut Umfragen dem neuen Präsidenten den Job zu. 70 Prozent wählten ihn, weil sie sich einen „Wandel“ wünschten. Den wird es geben.

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