Alice Schwarzer schreibt

Der Kardinal und die Feministin

Alice Schwarzer und Kardinal Meisner 1995 zwischen den Zinnen des Bayenturms/FrauenMediaTurms.
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Ja, ich mochte ihn. Diesen schroffen, wortgewaltigen Schlesier im rheinischen Köln, wo er so deplatziert war. Am meisten beeindruckt hat mich seine Menschlichkeit und sein fast kindlicher Glaube.

Zum ersten Mal war ich Kardinal Meisner im Flugzeug begegnet. Das war im Jahr 1988, und er war noch Bischof in Berlin. Beim Aussteigen in Köln sprach er mich an: "Ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen und war beeindruckt von Ihrem Mut und entsetzt über die Kälte Ihrer Gegnerin. Ich habe Sie darum in mein Gebet eingeschlossen." Ich antwortete: "Das ist sehr lieb. Ich kann es gebrauchen."

Ich kann es immer irgendwie gebrauchen. Damals ging es um meinen, um EMMAs Kampf gegen Pornografie. Ich hatte am Vorabend im Fernsehen mit einer als links ausgewiesenen Soziologie-Professorin ein Streitgespräch über Pornografie gehabt. Meine Gegnerin argumentierte vehement pro Porno, was in dem Satz gipfelte: "Ich finde Pornos geil."

Die zweite Begegnung war 1994 bei einem Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Köln. Ich war eine von nur zwei Frauen in einem Meer von schwarzgewandeten Herren. Verleger Alfred Neven DuMont fragte mich, ob er mich dem Kardinal vorstellen solle. Ich sagte: Ich kenne ihn schon, aber dennoch immer wieder gerne.

Als Kardinal Meisner und ich aufeinandertrafen, scharrten sich umgehend ganz viele Männer um uns herum. Man erwartete offensichtlich einen Eklat. Wir aber lächelten uns nur wissend an - und sprachen sodann über schöne Kleider (Das Thema hatte er angefangen).

Die dritte Begegnung war im Bayenturm. Ich hatte Kardinal Meisner, wie alle Honoratioren der Stadt, zum Eröffnungsfest des FrauenMediaTurm im August 1994 eingeladen. Er war verhindert und kam ein Jahr später, in Begleitung von Kaplan Woelki (heute als Kardinal von Köln der Nachfolger von Meisner). Ich zeigte beiden den Turm, erklärte den Sinn und Zweck eines Frauenarchivs, wir stiegen bis hinter die Zinnen und warfen einen Blick zum Dom. Sodann setzten wir uns zu zweit in eine der Nischen zum Gespräch.

Es wurde ein sehr persönliches Gespräch. Ich fragte Joachim Meisner nach seiner Mutter, die ihn und die Geschwister in Schlesien allein aufgezogen hatte, und nach seinen Geschwistern, die sich mit ihrer Hände Arbeit ernähren. "Nehmen die Ihren Beruf überhaupt ernst?" sagte ich. "Bei so gepflegten Händen und so schönen Ringen." Da musste er laut lachen. Und dann stellte er mir Fragen nach meinem Leben. Das erlebe ich selten, dass zurückgefragt wird.

Die vierte Begegnung war virtuell. In Köln hatte ein katholisches Krankenhaus Anfang 2013 einer vergewaltigten Frau die "Pille danach" verweigert. Das schlug hohe Wellen. Und ich bezichtigte auf EMMAonline Kardinal Meisner, der diese Weigerung befürwortet hatte, der "Scheinheiligkeit".

Acht Tage später veröffentlichte der Kardinal eine Erklärung, die etliche in seinen Kreisen irritierte - aber viele Menschen, vor allem Katholikinnen, freute. Darin hieß es u.a.: "Die Ärzte in katholischen Einrichtungen sind aufgefordert, sich rückhaltlos der Not vergewaltigter Frauen anzunehmen. (...) Wenn nach einer Vergewaltigung ein Präparat, dessen Wirkprinzip die Verhinderung einer Zeugung ist, mit der Absicht eingesetzt wird, die Befruchtung zu verhindern, dann ist das aus meiner Sicht vertretbar."

Ausgerechnet der Kardinal, der in der Vergangenheit die Abtreibung auch schon mal als "Babyholocaust" bezeichnet hatte, ausgerechnet er machte also nun einen Schritt auf uns zu und plädierte für die "Pille danach" bei Vergewaltigung. Immerhin.

Also schrieb ich am 1. Februar 2013 einen Offenen Brief an den Kardinal: "Sie haben in der Debatte um die 'Pille danach' die Menschlichkeit sprechen lassen." Übrigens: Über Abtreibung habe ich nie mit ihm gesprochen. Uns war beiden klar, dass unsere in diesem Punkt so gegensätzlichen Meinungen unveräußerlich sind.

Zum letzten Mal habe ich ihn vor rund einem Jahr gesehen. Er hatte mich in seinen Alterssitz in der Dompropstei zum Kaffee eingeladen. Auf seinem Schreibtisch stand noch das gerahmte Foto seiner Mutter. Und wie immer war es ein recht persönliches Gespräch. Wir hatten es beide gerade nicht leicht.

Da holte er aus seiner Bibel einen Zettel, pappte auf die Rückseite einen gelben Aufkleber und schieb darauf in seiner etwas altmodischen, präzisen Schrift: „Gebetszettel aus meinem Brevier für Sie!“ Auf dem Zettel stand in Druckbuchstaben ein Gedicht der Heiligen Teresa von Avila, Meisners „Lieblingsheilige“. Es beginnt mit den Worten: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe.“ Tröstlich. Wir versprachen, uns in nicht allzu großer Ferne wiederzusehen.

Alice Schwarzer
 

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Alice Schwarzer schreibt

Sehr geehrter Kardinal Meisner

© bilder.erzbistum-koeln.de
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Sie fordern die Ärzte in katholischen Einrichtungen auf, sich „rückhaltlos der Not vergewaltigter Frauen anzunehmen“, und haben endlich auch „nichts mehr dagegen einzuwenden, dass sie (die Ärzte) in diesem Fall auch über Methoden, die nach katholischer Auffassung nicht vertretbar sind, und über deren Zugänglichkeit aufklären – wenn sie dabei, ohne irgendwelchen Druck auszuüben, auf angemessene Weise auch die katholische Position mit Argumenten erläutern“.

Keinen Druck mehr ausüben, das wäre schön! Denn hier geht es ja weniger um Glaubensfragen, hier geht es um die Macht, die die katholische Kirche in Deutschland hat. Allein in Nordrhein-Westfalen ist jedes zweite Krankenhaus in katholischer Hand! Dort ist Ihr Wort und das anderer Bischöfe Gesetz und kann - wie wir gerade wieder erlebt haben - darüber entscheiden, ob einer Frau in Not medizinische Hilfe gewährt wird oder nicht. Es entscheidet auch darüber, ob der jeweilige Arzt, die jeweilige Ärztin es überhaupt wagen kann, einer verzweifelten Frau zu helfen, ohne die Stelle zu riskieren.

Und das alles, obwohl nur 1 Prozent (!) der Mittel eines katholischen Krankenhauses von der katholischen Kirche beigesteuert wird. Der Rest sind staatliche Subventionen, Zahlungen von Krankenkassen etc.

Der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ist der häufigste medizinische Eingriff bei weiblichen Menschen. In Amerika zum Beispiel hat die sich christlich gerierende Propaganda der so genannten „Lebensschützer“ dazu geführt, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr gelehrt wird an den medizinischen Fakultäten. Aus Angst. Fanatisierte „Lebensschützer“ hatten in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Ärzte, die Abtreibungen vornahmen, abgeknallt wie tollwütige Hunde. Einen Familienvater zum Beispiel haben sie vor den Augen seiner Frau und Kinder durch das Küchenfenster erschossen. Soweit sind wir in Deutschland nicht. Noch nicht. Aber auch hierzulande ist sowohl die Einschüchterung der Ärzte als auch der Druck auf die Politik groß.

Sie haben es erreicht, dass PolitikerInnen aller Parteien in Abtreibungsfragen nicht im Sinne der Millionen betroffenen Frauen entscheiden, sondern sich mit Bischöfen beraten. Sie haben es erreicht, dass Ihr absurd-lebensfernes Lebensschützer-Vokabular in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist, in dem Sie von der „Menschenwürde“ eines 0,1 Millimeter kleinen befruchteten Eis sprechen oder der „Tötung eines Kindes“, wenn ein Fötus abgetrieben wird.

Sie haben es erreicht, dass in Deutschland auch nach 40 Jahren Debatte Frauen noch immer nicht das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten haben – wie in allen westlichen Nachbarländern – sondern ihnen nach Bitten um Erlaubnis nur die Gnade gewährt wird, es zu tun.

Sie haben viel erreicht. Doch der Preis, den sie dafür zahlen, ist hoch. Die Menschen wenden sich von Ihnen und Ihrer Kirche ab. Selbst gläubige KatholikInnen können und wollen heute in der Mehrheit Ihrer Argumentation der Unmenschlichkeit nicht mehr folgen. Das haben Sie gerade in einer von Ihrer Kirche in Auftrag gegebenen Sinus-Studie zur Kenntnis nehmen müssen. Die Gläubigen können vieles nicht verstehen, zum Beispiel, dass Missbrauchsfälle nicht rigoros aufgeklärt oder Vergewaltigte in katholischen Krankenhäusern abgewiesen werden, dass die engagierte Basis weiterhin vom Vatikan gegängelt wird und das Berufsverbot für Frauen im Priesteramt ein unerschütterliches Dogma bleibt.

Ich bin nicht katholisch. Aber ich erinnere mich, dass der Papst vor nicht allzu langer Zeit seine Kirche aufgefordert hat, wieder zu ihrer Kernaufgabe zurückzukehren: zu der des Glaubens. Nach meinem Verständnis würde das bedeuten, dass die Kirche endlich aufhört, ihre eigenen Gesetze zu haben, Politik zu machen, Gesetzgebungen zu beeinflussen und Steuergelder zu missbrauchen.

Ihre Erklärung vom 31. Januar ist ein erster zögerlicher Schritt in diese Richtung. Gehen Sie diesen Weg weiter! Auch die Gläubigen würden es Ihnen danken.

Ihre
Alice Schwarzer

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