Alice Schwarzer: Biografie
1942 bis 1961: Kindheit und Jugend
Ich bin am 3.12.1942 in Wuppertal geboren. Als uneheliches Kind wuchs ich bei meinen Großeltern auf, die ich Mama und Papa nannte. „Mutti“ hatte den Status einer älteren Schwester (Foto links). Nach der Bombardierung wurden wir nach Stadtlauringen/Franken evakuiert, wo ich bis zum sechsten Lebensjahr auf einem Bauernhof aufwuchs und in der Zwergschule eingeschult wurde. Einer chaotischen Schulzeit folgte mit eine kaufmännische Lehre. Mit 16 war ich ganz brav auf der Tanzschule (Foto Schlussball). Ich tanze bis heute leidenschaftlich gerne.
1962 bis 1963: Aufbruch in die Welt
Eigentlich wollte ich Innenarchitektin werden, landete aber im Büro. Das ödet mich an. In der Freizeit habe ich eine vergnügungs- und tanzwütige Mädchenclique (Foto links: Riverboatshuffle auf dem Rhein). Mein Leben ist: Rock’n’Roll, Nouvelle Vage, Literatur, Jazz und Partys. Mit 20 ziehe ich mit meiner besten Freundin Barbara nach München, wohne in Schwabing, jobbe in einem Verlag und abends als Empfangsdame in dem angesagten Live-Jazz-Club "Nachteule". Ich interessiere mich leidenschaftlich für alles, vor allem für Politik, habe aber keine Berufsperspektive.
1964 bis 1965: Frankreich, die zweite Heimat
Ab 21 habe ich einen Plan: nach Paris gehen. Französisch lernen, den Horizont erweitern und dann ein Volontariat als Journalistin machen. So ziehe ich es durch. In Paris putze ich, tippe und hüte Kinder. Im Sommer 1964 lerne ich den Jurastudenten Bruno Pietszch kennen, der bis 1974 mein Lebensgefährte sein wird. Uns verbindet auch ein leidenschaftliches politisches Interesse. Ich liebe Paris, das für mich zur zweiten Heimat wird, gehe aber nach Deutschland zurück, um bei den Düsseldorfer Nachrichten zu volontieren.
1966 bis 1969: Traumberuf Journalistin
Am 1. Februar 1966 beginne ich mein Volontariat bei den Düsseldorfer Nachrichten. Es macht mir großen Spaß. Mit einem Umweg über eine Frauenzeitschrift in Hamburg gehe ich Anfang 1969 als Reporterin zu Pardon, die mit konkret als eine Medienstimme der APO gilt. Ich sympathisiere stark mit den 68ern, aber die sind aus der Nähe weniger revolutionär als ich dachte. Bei Pardon bin ich die einzige Frau in der Redaktion und Nachfolgerin von Wallraff, also Spezialistin für Rollenreportagen: vom Fließband in der Fabrik bis zum Gast im Club Med in Agadir (im Strandkorb mit Udo Jürgens).
1969 bis 1974: Korrespondentin & Feministin
Im Sommer 69 gehe ich wieder nach Paris. Ich ziehe mit Bruno zusammen und finde als freie Korrespondentin für Funk, TV und Print schnell eine Lücke: als Spezialistin für die Folgen des Barrikaden-Mai 68. Ich interviewe zum Beispiel Jean Paul Sartre zur revolutionären Gewalt und mache ein TV-Porträt über Simone de Beauvoir. Nebenher studiere ich an der „roten“ Fakultät Vincennes, Psychologie und Soziologie (u.a. bei Foucault). Ich bin ab Herbst 1970 eine der Pionierinnen der Pariser Frauenbewegung (MLF). Wir schockieren und verändern rasch die Öffentlichkeit: Die Feministinnen sind da!
1971 bis 1974: Feminismus in Deutschland
Im Mai 1971 exportiere ich die Idee zu dem provokanten Selbstbekenntnis „Ich habe abgetrieben“ nach Deutschland. Die Veröffentlichung am 6. Juni 1971 im Stern wird zum Auslöser der deutschen Frauenbewegung. Im Herbst erscheint mein erstes Buch: „Frauen gegen den §218“, zwei Jahre später das zweite: „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ (über die Un/Vereinbarkeit von Familie und Beruf). Von nun an nutze ich meinen Beruf auch für meine feministischen Anliegen - gerate jedoch zunehmend zwischen die Mühlsteine von hie Professionalität und da Basisbewegung.
Ab 1974: Zurück in Deutschland
Es folgen zwei Jahre großer Aktivität. Ich engagiere mich in der Frauenbewegung und arbeite für TV (Panorama) und Funk (WDR). An der Uni Münster habe ich 1974/75 einen Lehrauftrag bei den Soziologen. Am 2.2.1975 führe ich das Streitgespräch mit Esther Vilar, das die Nation bewegt (Bild über mich: "Die Hexe mit dem stechenden Blick."). Im Herbst 1975 veröffentliche ich „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“, über die Funktion von Liebe und Sexualität bei der (Selbst)Unterdrückung von Frauen. Ab jetzt bin ich die geliebte und gehasste „Feministin Nr. 1 in Deutschland.“
Ab 1977: Die Verlegerin und Chefredakteurin von EMMA
Am 26. Januar 1977 erscheint die erste EMMA. Die Startauflage von 200.000 ist in wenigen Tagen vergriffen, 100.000 werden nachgedruckt. Viele sagen EMMA den baldigen Tod voraus, andere ahnen, dass „hier für die moderne Gesellschaft mehr Sprengstoff liegen wird als in den Traumtänzereien verworrener Systemveränderer" (FAZ). Die Turbulenzen sind groß. Ich bin eine erfahrene Journalistin, aber Chefredakteurin und Verlegerin muss ich noch lernen. Das von mir mit dem Honorar vom „Kleinen Unterschied“ (unter)finanzierte Blatt ist bis heute ökonomisch und politisch unabhängig.