Alice Schwarzer schreibt

Danke! Danke! Danke!

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Liebe Gratulantinnen und Gratulanten,

es ist überwältigend. Das ist kein Sturm, das ist ein Tsunami. Aber ein lieber, kein böser. Fast tausend Menschen haben mir geschrieben: per Postkarte, Brief oder via Mail. Und manche haben sogar noch Geschenke dazugelegt, meist Pralinen :)

Es sind Briefe der Ermutigung („Ich bin nicht immer mit allem einverstanden – aber machen Sie unbedingt weiter so!“), des Vertrauens („Erst durch Sie habe ich begriffen, was mir als Kind in meiner Familie widerfahren ist.“), der Zuneigung („Sie haben mein ganzes Leben begleitet. Ohne Sie wäre ich heute keine erfolgreiche Akademikerin.“).

Es schreiben liebe FreundInnen, alte Bekannte (wie der EMMA-Lithograph aus den 1980er-Jahren, der so gut Rock’n Roll tanzt) oder auch und vor allem: Unbekannte! Frauen wie Männer, Alte wie Junge, hoch Bewusste wie neu zum Feminismus Konvertierte. So viel Häme können noch nicht mal die taz, die Junge Welt oder die Junge Freiheit verbreiten, dass sie nicht von dieser Welle von Liebe überrollt würden.

Mehr Liebe als Hass.
Das war eigentlich immer schon so.

Das war eigentlich immer schon so. Schon nach dem Streitgespräch mit Esther Vilar im Frühling 1975 kamen Waschkörbe von Briefen (damals gab es noch keine Mails). Jeder dritte Brief übrigens von einem Mann und neun von zehn positiv, zustimmend und bestärkend. Nach dem „Kleinen Unterschied“ im Herbst 1975 war es ebenso. Und so ging es weiter.

Allerdings war früher die Kluft im Verhältnis zu mir zwischen Menschen und Medien noch viel, viel größer: die Menschen pro, die Medien contra! Es fehlen übrigens noch immer die Medienstudien, die die Rolle der Medien in Sachen Berichterstattung über die Frauenbewegung und Geschlechter-Emanzipation in den letzten 50 Jahren analysieren. Wieso eigentlich? Die wären sehr aufschlussreich. Und sie würden ohne jeden Zweifel belegen, dass die Medien im Schnitt viel rückständiger sind als die Menschen. Aber das ist vielleicht nicht nur bei dieser Frage so. Genau darum mache ich ja die EMMA.

Haben die Medien ein schlechtes
Gewissen in Sachen Alice?

Diesmal allerdings war es anders. Die Mehrheit der Medien war verhältnismäßig milde, bis wohlwollend. Es gibt weniger gewohnt voreingenommene und viele echt neugierige Interviews sowie etliche freundliche, wenn nicht gar wertschätzende Kommentare. Auch, wenn das Adjektiv „umstritten“ unlösbar an mir klebt. Ja, wie soll denn ein Mensch, der Unbequemes bzw. Neues denkt und öffentlich vertritt, nicht umstritten sein?

Doch nach fast 50 Jahren scheinen einige ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie sind so oft mit der Planierraupe über Schwarzer gefahren – aber die steht immer wieder auf. Ja, sie macht sogar weiter. Und sie vertritt so manches Mal Anliegen, die die lieben KollegInnen heutzutage kaum noch heimlich zu denken wagen.

Außerdem sind diese Alt-Feministinnen doch gar nicht mal so schlecht, oder? Sie stellen zwar konsequent die Machtfrage – und tun das noch -, aber ihr Ziel ist „die Vermenschlichung der Geschlechter“ (ich Anfang der 1970er-Jahre) und nicht die Vernichtung der „alten weißen Männer“.

Der gute alte humanistische Feminismus.
Da kommt Nostalgie auf.

Und die meisten Forderungen, für die eine wie ich in den 1970er- und 1980er-Jahren beschimpft wurde, sind heute selbstverständlich – oder aber werden durchaus inzwischen mit gemischten Gefühlen gesehen. Selbstverständlich – aber relativ neu – ist die uneingeschränkte rechtliche Gleichberechtigung der Frauen. Selbstverständlich ist, dass Frauen alles können, was Männer können (Nur dass auch Männer alles können, was Frauen können, ist noch nicht ganz angekommen). Und fragwürdig inzwischen auch in den Augen der Mehrheit sind Probleme wie der Frauenkauf, die Prostitution, oder die uneingeschränkte Bejahung des Kopftuches, dieser Unsichtbarmachung der Frauen.

Meist braucht es mindestens zwanzig Jahre, bis EMMA-Positionen Mainstream werden. So wird es auch mit aktuellen Jubelthemen gehen.

Für eine menschliche Zukunft.
Für Menschenwürde und Freiheit.

Doch ich will jetzt nicht politisieren. Wir sollten uns freuen, auch und gerade in diesen bedrückenden Zeiten. Freuen auf eine Zukunft, die das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern ebenso verringert wie das Ungleichgewicht in der Welt. Eine Zukunft, in der Frauen und Kinder nicht mehr innerhalb ihrer eigenen vier Wände Opfer von Gewalt werden. Eine Zukunft ohne Krieg. Eine Zukunft, in der Menschen nicht ihre Heimat verlassen müssen, um in Würde leben zu können.

Aber das kriegen wir nicht geschenkt. Da müssen Privilegierte auf Privilegien verzichten, auch weibliche Privilegierte. Müssen Frauen Würde wichtiger finden als „Sexyness“. Müssen auch Opfer wagen, stolz zu sein. Bleiben wir mutig.

ALICE SCHWARZER

 

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